Die andere Seite des Dimitri Schostakowitsch

Die andere Seite des Dimitri Schostakowitsch

Lesezeit: [lesezeit]

Elisabeth Ritonja

16. Oktober 2025

Die andere Seite des Dimitri Schostakowitsch

Elisabeth Ritonja

16. Oktober 2025

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Foto: (Ingo Petramer, Oper Graz )

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Die Grazer Oper präsentierte ein Werk von Dimitri Schostakowitsch, das selten auf deutschsprachigen Bühnen zu sehen ist. ‚Moskau Tscherjomuschki‘ kam in einer konzertanten Fassung auf die Bühne, unterstützt von großem Orchester und Choreinsatz.

Die Grazer Oper landete mit der Operette ‚Moskau Tscherjomuschki‘ von Dimitri Schostakowitsch einen Publikumserfolg. Das wäre höchstwahrscheinlich nicht der Fall gewesen, hätte die Programmierung nicht Harald Schmidt eingeladen, die Rolle des Hausmeisters zu übernehmen. Schmidt, in Österreich hauptsächlich als ehemaliger Late-night-talker deutscher TV-Sender in Erinnerung, übertönte beim Kartenkauf sicherlich den Namen Schostakowitsch, der nicht dafür bekannt ist, Schlangen an der Abendkasse hervorzurufen.

Tatsächlich ist dieses Werk für Schostakowitsch untypisch. Uraufgeführt im Jahr 1959, zeigte es sich in seiner konzertanten Fassung in Graz als ein Pasticcio mit einer Reihe von musikalischen Leichtgewichten wie Walzer, Märschen, Galopps, Polkas und vereinzelten Interludien oder Vorspielen. In diesen zeigte Schostakowitsch sein wahres musikalisches Können. Ungewöhnliche Harmonieabfolgen und die geschickte Ausnutzung des gesamten, großen Orchesterapparates gehören unter anderem dazu. Hohen Unterhaltungswert hingegen boten die Duette und Soli und jene Passagen, die mit großem Chor Ohrwürmer produzierten. Früh zu Ruhm gelangt, der Komponist war noch keine 20 Jahre alt, als seine 1. Sinfonie enthusiastisch gefeiert wurde, waren seine Kompositionen dem stalinistischen Regime ein Dorn im Auge. Opern wurden nach wenigen Aufführungen abgesetzt und die Art, wie die Presse darauf reagierte, sowie seine vielfachen Vorladungen zu Verhören, zermürbten den Musiker und ließen ihn sein ganzes Leben lang nicht mehr los.

Harald Schmidt, Grazer Philharmoniker

Harald Schmidt, Grazer Philharmoniker (Foto: Ingo Petramer, Oper Graz)

„Moskau Tscherjomuschki“ fiel in die Anfangszeit des Tauwetters unter Nikita Chruschtschow und dürfte wohl ein Auftragswerk gewesen sein. Mit ihm sollte der wirtschaftliche Aufschwung der Sowjetunion gepriesen werden: vornehmlich die Bemühungen, der Bevölkerung in den Ballungsgebieten Wohnraum anbieten zu können. Interessant am Libretto von Vladimir Maas und Michail Tscherwinski, in den 50er-Jahren in Moskau bekannten Kabarettisten, ist, dass es viele satirische Anspielungen enthält und auch offen die Korruption im Baugewerbe anspricht. Drei junge Paare bewerben sich für eine Wohnungszuteilung, da sie in unwürdigen Behausungen leben müssen und sehnlichst die Fertigstellung der angekündigten Trabantenstädte erwarten. Der Chef der Baubehörde, der sich ebenfalls in einer neuen Beziehung befindet, hat es da schon leichter. Er bzw. sein Adlatus bestimmen, wer eine Wohnung erhält, ohne Rücksicht auf etwaige dringliche Notwendigkeiten.
Harald Schmidt unterhielt das Publikum nicht nur in seiner Rolle als Hausmeister, sondern agierte als Conferencier, mit der Möglichkeit, in Couplets die bissig-humorische Seite der Geschichte zu verkörpern.

Mikhail Agrest, der russisch-amerikanische Dirigent, der seinen Wohnsitz in Deutschland hat, dirigierte das große Orchester und den Männer- und Frauenchor der Grazer Oper souverän und mit sichtbarem Vergnügen. Auch dem Ensemble, welches in dieser konzertanten und gestrafften Aufführung vor dem Orchester Platz gefunden hatte, sah man dies an. Von lyrisch bis stimmgewaltig, von innig bis brillant, sind die Duette und Soli angelegt. Schostakowitsch wusste genau, wie das Publikum einzufangen ist. Bis heute. Dass er selbst jedoch von dieser Arbeit nicht überzeugt war, erfährt man aus einem Brief, den er anlässlich der Proben kurz vor der Uraufführung in Moskau an seinen Freund Isaa Glikmann schrieb. „Ich benehme mich ganz korrekt und besuche die Proben meiner Operette. Ich schäme mich zutiefst. Wenn Sie vorhaben, zur Premiere zu kommen, rate ich Ihnen, es sich noch einmal zu überlegen. Es lohnt sich nicht, Ihre Augen und Ohren mit meiner Schande zu belasten. Langweilig, einfallslos, dumm. Das ist, ganz unter uns, alles, was ich Ihnen zu sagen habe“.

Harald Schmidt, Corina Koller, Will Frost, Katharina Melnikova, Ivan Oreščanin, Nikita Ivasechko, Ted Black, Sofia Vinnik

Harald Schmidt, Corina Koller, Will Frost, Katharina Melnikova, Ivan Oreščanin, Nikita Ivasechko, Ted Black, Sofia Vinnik (Foto: Ingo Petramer, Oper Graz)

Das regimetreue Libretto mit einem an den Haaren herbeigezogenen Schluss, darf man getrost aus seiner Erinnerung streichen. Wer ein dramatisches, symphonisches Werk mit Tiefgang erwartete, wird eher enttäuscht gewesen sein. Liebhaber der leichten Muse kamen jedoch voll auf ihre Kosten.

Ivan Oreščanin, Sofia Vinnik, Katharina Melnikova, Nikita Ivasechko, Ted Black, Will Frost und Corina Koller ist der stimmliche Wohlklang zu verdanken, der jeden und jede Einzelne auszeichnete.