Ketevan Sepashvilis Klavierspiel wirkt wie eine Droge

Die aus Georgien stammende und in Wien lebende Pianistin Ketevan Sepashvili sprang am 22. Jänner für einen verunfallten Kollegen ein. Im Konzertsaal der Gesellschaft für Musiktheater, im 9. Bezirk, fesselte die Künstlerin das Publikum von Beginn an.

Ihr Programm – zwei Scherzi und zwei Chopin-Sonaten – beutelte sie quasi aus dem Ärmel. Denn sie wurde nur drei Tage vor dem Auftritt gebeten, einzuspringen. „Ich kam gerade aus dem Urlaub“, erklärte sie nach dem Konzert bei einem Gespräch. Unglaublich, benötigen doch gerade die Chopin-Sonaten stete Aufmerksamkeit in der Probenarbeit. Eine Aufwärmphase von gerade einmal drei Tagen meistern nur diejenigen, welche die Stücke so verinnerlicht haben, dass sie zu einem Teil ihres musikalischen Selbst geworden sind. Ketevan Sepashvili ist eine jener Personen, auf die dies zutrifft.

Das Scherzo in h-Moll, Op. 20 begann Sepashvili kompromisslos und kräftig, trocken und ohne Pathos. Eines ihrer Markenzeichen zeigte sich im Mittelteil des Stückes, nämlich eine Reduzierung des normalerweise ohnehin schon langsamen Tempos. Dies hatte eine wunderbare und extrem nachvollziehbare Singstimme der rechten Hand zur Folge. Der Überleitungsakkord am Ende des romantischen Trios zum Hauptteil kam, besser hätte es nicht interpretiert werden können, wie ein Stich ins Herz. In der Sonate in b-Moll, Op. 35 zeigte sich eine ihrer großen Stärken. Die linke Hand erschien im Staccato-Teil des 1. Satzes wie ein böses, gefährliches und bissiges Monster, vor dem man sich fürchten muss. Im Scherzo nahm die Künstlerin das Tempo abermals extrem zurück und gestaltete besonders ihre Ritardandi logisch reizvoll. Wie herrlich waren die beiden letzten Noten in der linken Hand hingetupft, bevor die rechte mit einem Abschlusston antwortete. Der „Marche funèbre“, wohl einer der bekanntesten Trauermärsche in der Musikliteratur überhaupt, hielt eine beinahe ätherisch schöne Überraschung bereit. Nicht nur, dass sich zur Trauer auch eine große Portion an Unbehagen, wenn nicht gar Angst hinzugesellte; Sepashvili öffnete im Mittelteil ein Fenster in die Vergangenheit der zu betrauernden Person und zwar so weit, dass man das pralle, sonnendurchflutete Leben förmlich spüren konnte. Diese Klänge hatten nichts Tröstliches an sich, wie es in Analysen zu dem Werk vielfach zu lesen ist. Vielmehr konnte man sich in Zeiten versetzen, in denen das Leben dieses verstorbenen Menschen an Leichtigkeit nicht mehr zu überbieten war. Umso grauenvoller war anschließend dann der Begräbniszug mit dem Katafalk, der einem unweigerlich vor dem inneren Auge erscheint, wieder wahrzunehmen. Man mag diese Zeilen vielleicht als übertriebene Gefühlsausbrüche deuten. Wenn es jemand jedoch schafft, mit Musik derartige, intensive Assoziationen hervorzurufen, so ist dies einer gesonderten Erwähnung wert.

Nach dem Scherzo in b-Moll Op. 31, bei dem eine interessante Fingerhaltung in den absteigenden Läufen der rechten Hand zu sehen war – die Pianistin spielte diese mit durchgestreckten Fingergliedern – endete der offizielle Teil mit der 2. Sonate von Chopin, nämlich jener in h-Moll, Op. 58. Im ersten Satz halten sich die emotionalen, parlierenden Stellen mit den brillanten, technisch schwierigen im permanenten Wechsel die Waage. Eine hohe technische, aber vor allem auch höchste Konzentration verlangende Herausforderung, die von der jungen Pianistin mit Bravour gemeistert wurde. Das Tempo, das sie im Scherzo, das mit Molto vivace überschrieben ist, vorlegte, war schlicht atemberaubend. Die Musik brauste in einer Wucht durch den Saal, dass die Ohren nach der Beendigung dieses Satzes mit dem durchsichtigen und fast perlenden Largo beinahe unterfordert waren. Die teuflischen Läufe der rechten und etwas später der linken Hand des Finales zeigten noch einmal, mit welcher Präzision und Kraft Sepashvili aufwarten kann. Dass dabei der Ausdruck nicht auf der Strecke bleibt, ist ganz unglaublich.

Ketevan Sepashvili (c) European Cultural News

Ketevan Sepashvili (c) European Cultural News

In zwei der drei Zugaben, der Träumerei von Robert Schumann und dem Walzer von Chopin in a—Moll, Op. 34 Nr. 2 wurde klar, dass die Technik für Sepashvili nur Mittel zum Zweck ist. Wie Fingerübungen erschienen die beiden bekannten Werke gespielt und im Ausdruck, als ob es keine natürlichere Interpretation davon geben könnte. Wie sehr sich diese Ausnahmepianistin mit der Musik von Chopin identifiziert, wurde noch einmal klar. Der so schwere Satz aus Chopins letzter und dritter Sonate in h-Moll, Op. 58 durfte das Publikum abermals in Staunen versetzen. Wieder war es auch hier die linke Hand, die wie eine Pranke das Klavier marterte, sodass man den Eindruck hatte, Sepashvili würde damit auch noch die letzte, verborgene Klangressource aus dem Flügel herauszwingen.

Der Abend war zum großen Teil getragen von einer nicht erklärbaren Diskrepanz, die sich aus der physischen Beschaffenheit der Pianistin und den herausfordernden Werken, die sie spielte, ergab. Wie schafft es diese Frau mit ihren schmalen Händen Chopins wahnsinnige Klangmassen nicht nur zu bändigen, sondern sie in einer Art und Weise zu kontrollieren, die beinahe unheimlich ist? Sepashvilis Mimik lässt den Schluss zu, dass es ihr gelingt, in jene höchste Stufe des Klavierspiels einzutauchen, die es erlaubt, sich für die Dauer des Spiels aus der Welt vollkommen auszuklinken. Dieser Zustand setzt ähnliche Glückshormone frei, wie das normalerweise sonst nur Drogen können. Dass dieses Gefühl auch das Publikum im Saal ergriff, konnte man an diesem speziellen Abend spüren.

Am 7. März ist ein weiterer Konzertabend von Sepashvili in der Gesellschaft für Musiktheater angesetzt. Auf dem Programm stehen Werke von Rachmaninow.

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