Eigentlich könnte man das Stück an diesem Punkt als beendet ansehen. Aber Enrico Tedde verblüfft sein Publikum und tanzt weiter. Er schafft mit einem ganz anderen Schluss eine große, übergeordnete Klammer und führt mit dieser den Anfang und das Ende seines Abends noch einmal zusammen. Zu Beginn stand sein Mensch mitten im Leben, wurde dann aus diesem gerissen, um wiedergeboren zu werden und im Zeitraffer noch einmal alles zu erleben, was es zu erleben gibt, bis hin zum erlösenden, freudvollen Tod. Um danach in jenem Leben weiter zu machen, das ihn noch nicht entlassen hat. So zerstört der Tänzer mit wildem Getöse, wie von Sinnen, das Bühnenbild. Kippt den Stuhl auf den Boden, lässt den Schreibtisch zusammenkrachen und verheddert sich gefährlich nahe am Verunfallen – in den zahllosen Stricken. Kein Stein scheint auf dem anderen zu bleiben, kein Seil in seiner ursprünglichen Spannung. Der Mann, der einmal zur Hölle, dann zum Himmel und wieder retour fuhr, scheint nichts dazugelernt zu haben. Es schmerzt beinahe zu sehen, dass alles Leid umsonst war; aber es tut auch gut zu sehen, dass er noch am Leben ist und die Chance hat, hier, an diesem Ort, weiter zu machen. Völlig erschöpft, mit der eigenen Wut und Rastlosigkeit doch am Ende, erwacht Tedde plötzlich wie aus einem bösen Traum. Was ihm jetzt noch bleibt, ist das selbst angerichtete Chaos zu ordnen. Den Stuhl und den Schreibtisch an ihre angestammten Plätze zu stellen und Ordnung in den Seilen zu schaffen. Eine nun erst erkennbare, wohldurchdachte Ordnung, die das Leben zwar einengt – ihm aber zugleich auch sicheren Halt gibt. Halt, den der Mensch zu brauchen scheint und dem wir erst entkommen, wenn uns tatsächlich eine andere Welt empfängt.
Enrico Tedde hat sich auf einen Hochseilakt begeben – und er hat uns sein Kunststück ohne Auffangnetz gezeigt. Er ist damit nicht gescheitert, sondern ganz im Gegenteil: Er offeriert dem Publikum die Möglichkeit zu neuen Erkenntnissen, was nichts Geringeres bedeutet, als daran selbst zu wachsen. Ein universell angedachtes Stück, dem viele weitere Aufführungen auch außerhalb des Elsass gewünscht werden dürfen.
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