Es plasst mal wieder im TAG

Manches Mal erlebt man Theateraufführungen, die ambivalente Gefühle auslösen. Nach diesen „denk“würdigen Vorstellungen ist es ratsam, nicht gleich die Computertastatur zu bemühen, sondern ein paar Tage Zeit verstreichen zu lassen, um eine Rezension zu schreiben, die nicht nur dem ersten Impetus folgt. Das funktioniert aber nur dann, wenn das Medium, für das die Theaterkritik verfasst ist, dies auch zulässt. Die European Cultural News sind ein solches und dank der Flexibilität der Veröffentlichungszeit – die nicht zuletzt aufgrund der Unabhängigkeit dieses Kulturjournals nach wie vor gewährleistet ist – kann man sich ab und zu tatsächlich den Luxus leisten, mehr als eine Nacht oder einen Tag über Gesehenes nachzudenken. Die Premiere im TAG, die am 30. Oktober über die Bühne ging, war ein solches Ereignis.

Dort läuft derzeit eher derbe Kost. Wie schon bei einigen Stücken zuvor hat sich Gernot Plass abermals an eine Neufassung eines Shakespearewerkes gemacht. Auf dem Programm steht Heinrich IV, zugegebenermaßen kein leichtes Unterfangen, hat doch das Königsdrama im Original Längen, Besetzungen und Szenenwechsel, die in einem finanziell nicht gerade üppig dotiertem Theater mit kleinem Ensemble kaum zu bewältigen sind. Dennoch stemmt das TAG diese Aufgabe wie immer mit seiner herausragenden Schauspieltruppe. Horst Heiss, Georg Schubert, Raphael Nicholas, Jens Claßen, Michaela Kaspar und Elisabeth Veit geben darin in ca. 2 Stunden spielerisch Vollgas. Mit bis zu sieben Rollen Parallelbesetzung und einem Text, der keine Sekunde Unaufmerksamkeit verträgt, leisten sie alle Schwerstarbeit. Der Autor schleudert ihnen dabei ihre Stichworte wie die Waffen eines Messerakrobaten zu – ein Falsches und das Spiel gerät unweigerlich aus dem Lot.

In einer beweglichen Szenerie aus versifften, dreiviertelmannshohen Betonwänden, blutdurchtränktem Boden und schwarzen, rückenlehnenlosen Bänken, intelligent in Szene gesetzt von Alexandra Burgstaller, lässt Plass dem Drama nur insofern seinen zeitgeistigen Lauf, als er es mit einer Fäkalsprache ausstattet, die teils Tourette-syndromartige Ausmaße annimmt. Scheiße, Arschloch, Ficken, Ärsche, Schweine und so weiter und so fort rhythmisieren den Text permanent und bescheren ihm eine sprachliche Sickergrube nach der anderen. Diese stilistische Inflation und das extreme Tempo bewirken aber, dass den Figuren nur wenig Raum für eine psychologische Darstellung geboten wird und das Publikum einige Mühe hat, die Dialoge durchgehend Sinn erfassend zu verstehen. Einzig der König, von Horst Heiss dramatisch in seiner finalen Krankheit verkörpert, sowie Falstaff – dem Georg Schubert als Lebemann ein facettenreiches Profil verleiht – werden in ihren Handlungsmotivationen ausreichend erklärt. Die Abkehr des Königssohnes von seinem ehemaligen Saufkumpanen am Ende des Abends wird zwar optisch schlüssig in Szene gesetzt, psychologisch muss man in den Dialogen aber schon tief graben, um diese Wandlung zu verstehen.

Was sich einerseits als Manko erweist, ist andererseits jedoch bewusstes Kalkül. Eine präzise Charakterstudie für alle Figuren abzuliefern, käme einem Epos gleich, das an mehreren Abenden gespielt werden müsste. Aber time is money, oder wie der König zu Beginn sagt: Die Ökonomie muss in die Köpfe! Und ökonomisch ist der Text von Plass allemal. Kein Wort zuviel, eher deren zu wenig, was für das Publikum eine gewisse Herausforderung darstellt. Hätte man den Text vorab, der Abend wäre sicherlich ein größerer Genuss. Denn, und das steht fest, Plass lässt seine Protagonistinnen und Protagonisten niemals auch nur ein einziges unüberlegtes Wort deklamieren. Sätze wie: „Auf dem Schlachtfeld ist alles weniger komplex“ ,„Theater ist nicht einfach“ oder „mein altes Selbst ist wie eine Dreckschicht von mir abgefallen“ klingen simpel, sind es im Kontext aber ganz und gar nicht und sie sind auch das Salz in der Plass´schen Literatursuppe. Was der Autor von Beginn an gut nachvollziehbar ansetzt, ist die Idee, seinen Heinrich den Wunsch artikulieren zu lassen, einmal „gegen etwas Großes zu kämpfen. Wir befreien Jesus! Unser neues Ziel ist Palästina!“ Der ewigen Kämpfe zum Machterhalt seiner Sippe schon überdrüssig tut er das, was bis heute politisch gang und gäbe ist. Er verlagert den Feind einfach nach außen, um mit diesem Schachzug die innenpolitische Lage besser kontrollieren zu können. Dass es nicht mehr dazu kommt, verdankt er nicht nur seiner todbringenden Krankheit, sondern in dieser Bühnenfassung auch seinem Sohn. Dieser erstickt ihn unter dramatischem Rotlichteinsatz, um endlich selbst an die Macht zu gelangen. Das ist nicht nur eine Plass´sche Überschreibung des Originaltextes, sondern auch eine Handlungsabweichung, die eigentlich nicht zwingend notwendig ist.

Von Anfang bis zum Ende schlüssig sind jedoch das Bühnenbild (Alexandra Burgstaller)und die Kostüme. Farblich schwelgen sie in den unterschiedlichsten Grauschattierungen. Eine Ausnahme dabei stellt ein grellroter Bademantel dar, der vom lebensgierigen Falstaff am Beginn zum machthungrigen Prinzen (Raphael Nicholas) am Schluss wechselt. Eine schöne Metapher für die außergewöhnliche Stellung der beiden Charaktere sowie ein Zeichen für die Verbundenheit der beiden Männer, auch wenn der Thronfolger diese in Abrede stellen möchte. Eine gelungene Idee ist auch das Erscheinen des personifizierten Gerüchtes in gelber Abendrobe. Die Verlebendigung und Sichtbarmachung eines Kommunikationsmusters hat richtig Klasse. Gernot Plass führt, auch schon bekannt, bei seinen Werken selbst Regie und das sehr stimmig und mit einigen Überraschungen. So öffnet sich unversehens der Boden zum Showdown zwischen dem Prinzen und seinem Widersacher Percy und zum Vorschein kommt ein Wasserbassin. Darin darf überaus bühnenwirksam im grauen Wasser ein Kampfplantschen abgehalten werden, dass es nur so spritzt. Das erinnert an barocke Bühneneffekte und macht zugleich unglaublich Spaß beim Zusehen. Theater at it´s best – das gibt es an diesem Abend ja mehrfach, zumindest punktuell. Dies rührt daraus, dass die Inszenierung dem Text selbst um einiges überlegen ist – ein ziemliches Paradoxon, bedenkt man, dass beides von einer Person stammt.

Die Stücke von Gernot Plass tragen eine starke, wiedererkennbare Handschrift. Für „Neueinsteiger“ in sein Werk mag dieser Heinrich eine wahre Theatersensation sein. Regelmäßige TAG-Besucherinnen und Besucher aber werden von seinen Verbalinjurien sicher nicht überrascht sein, ganz im Gegenteil. Schade, denn dem Autor sind auch Theaterfassungen zuzutrauen, in welchen seine feine sprachliche Klinge, gespickt mit einer Flut von intelligenten Querverweisen, auch tatsächlich als solche wahrgenommen werden kann.

Fazit: Ein aufgrund der schauspielerischen Leistungen und der ideenreichen Inszenierung sehenswerter Abend mit einem durchaus großen Diskussionspotenzial, den dieser Text bereithält.

Links

TAG
TAG bei European Cultural News

Previous

Next

Kommentar absenden

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Pin It on Pinterest