Gespielt wird eine gekürzte Fassung des Textes von Hugo von Hoffmannsthal, die tief in die psychische Befindlichkeit von Elektra Einblick gibt.
Die Tochter des Königs Agamemnon, der nach seiner Heimkehr aus dem Trojanischen Krieg von seiner Frau und seinem Nebenbuhler ermordet wurde, sitzt in einer trauernden Endlosschleife fest. In dieser wächst ihre Rachelust mit jedem Tag, ohne jedoch ausgelebt werden zu können.

Foto: Julia Kampichler
Die Bühne (Andreas Lungenschmid) zeigt eine kahle Gemeinschaftsdusche mit Stahlstangen, die den Raum unterteilen und einem Gerüst, auf dem Elektra, ihre Schwester Chrysothemus mit ihrer Mutter Klytaimnestra gleich zu Beginn ein Mantra sprechen. In diesem waschen sie in einem ewigen Kreislauf die Diele vom Blut ab, das in Hoffmannsthals Stück reichlich fließt, bei Zervoulakos jedoch beinahe unsichtbar bleibt. Angetrieben werden sie von einem peitschenschwingenden Mann, in Sado-Maso-Outfit gekleidet. (Kostüme Ece Anisoglou) Von Beginn weg verweist der Regisseur auf sexuelle Traumata, welche, wie sich später herausstellt, Elektra erleiden musste.
Im Verlauf des Abends wird klar, dass Ägisth, der neue Lover von Klytaimnestra, nichts anderes als ein potenter Kotzbrocken ist, der nicht nur zur Last der Königin geworden ist, sondern Elektra auch auf das Tiefste demütigte. Lukas Haas schlüpft in alle Männerrollen und spielt sowohl den Diener als auch Ägisth und Orest, Elektras Bruder.
Chrysothemis, wissend, dass ihre Zeit, Mutter werden zu können, bald abläuft, wird von einem innigen Fortpflanzungswunsch angetrieben und beginnt das Haus, in welchem sie mit ihrer Schwester eingesperrt ist, zu hassen.

Foto: Julia Kampichler
Zervoulakos denkt Freuds Theorien, die zur Zeit von Hoffmansthals Niederschrift entstanden, bis zum Ende durch. Er lässt einzelne Szenen in Schleifen wiederholen, zum Teil in gesteigertem Tempo und vermittelt so das Gefühl, als ob die Zeit nicht und nicht verrinnen würde. Auf diese Weise imitiert er immer wieder kehrende Traumsequenzen. Zugleich kann man auch die Ausweglosigkeit der als ewig empfundenen Gefangenschaft und die damit einhergehende Steigerung der Ohnmacht und des Hasses der Frauen sehr gut nachfühlen.
Das Ensemble – allen voran Petra Staduan in der Titelrolle – besticht durch seine Präzision und zutiefst spürbare emotionale Identifikation mit den Figuren. Großartig, wie sie ihren Anfangsmonolog hintereinander in unterschiedlicher Art und Weise wiederholt. Verzagt, apathisch, lässig abgrundtief hassend – die emotionale Klaviatur, die sie schauspielerisch anschlagen kann, scheint schier endlos.

Foto: Julia Kampichler
Nina C. Gabriel gibt eine herrische und zugleich höchst verunsicherte Mutter, die sich der unmittelbaren Bedrohung durch ihre Tochter nicht wirklich bewusst ist. Ihr leuchtendroter Ornat mit Goldspangen täuscht eine selbstsichere Königin vor, die jedoch alles andere als in sich ruht. Ihre permanente Verweigerung einer Schuldeingestehung erzeugen bei ihr Albträume, die sie an den Rand des Wahnsinns führen.

Foto: Julia Kampichler
Chrysothemis ist die Einzige im Haus, die versucht, der Hassspirale etwas entgegenzusetzen, bleibt jedoch letztlich auch erfolglos.
Orest erscheint anfangs ebenso im Sado-Maso-Outfit wie in der allerersten Szene jener Mann, der die Frauen peitschenschwingend zu ihrem Mantra antrieb. Nachdem er sich Elektra jedoch als Bruder zu erkennen gab, zieht er seine Ledermaske ab. Darunter kommt ein verzweifelter, junger Mann zum Vorschein, der mit sich ringt, sich jedoch dennoch von seiner Schwester zum Mord an seiner Mutter und Ägisth überreden lässt.
Elektra, bei Hoffmannsthal durch einen wilden extatischen Tanz am Ende dem Tode geweiht, kann sich bei Zervoulakos nicht mehr auf ihren Beinen halten. Dieser konträr aufgesetzte Regieeinfall verdeutlicht, dass ihre Lebensberechtigung, die bis dahin nur aus Rache bestand, nach der vollzogenen Rachetat nicht mehr vorhanden ist. Der Boden wird ihr im wahrsten Sinne des Wortes unter den Beinen weggezogen. Orest und sie versinken am Ende im Black. Ob sie verdammt sind, mit ihrer Schuld gebrochen weiterzuleben oder ob sie umkommen, bleibt der Interpretation des Publikums überlassen.
Zervoulakos arbeitet auch mit der wiederkehrenden Einblendung eines gefilmten Augenpaares an verschiedenen Stellen. Geöffnet oder geschlossen deuten sie jeweils einen Wach- oder Traumzustand an. Dieser wird auch durch häufiges Telefonweckerklingeln unterstrichen. Verbindungen zu den geöffneten Todesaugen von Agamemnon, welche Elektra zu Beginn immer wieder beschwört, aber auch zu ihrem furchterregenden Blick, dem, wie ihr nachgesagt wurde, keiner imstande war standzuhalten, lassen sich hier als mögliche Assoziationsketten anführen. Als Auf- und Abgangsort dient eine stilisierte, moderne Version eines Beichtstuhles, hinter dem die Agierenden jeweils verschwinden können und sich dort bei Kerzenlicht besinnen, oder auch dem Geschehen außerhalb lauschen.

Foto: Julia Kampichler
Die Inszenierung ergibt ein in sich schlüssiges Konstrukt der Entwicklung einer familiären Katastrophe. Angeheizt wird diese vorrangig durch den Intellekt der Titelfigur, die allen anderen meilenweit überlegen ist, sich jedoch dennoch aus ihrer lebensbedrohlichen Krise nicht erretten kann. Es ist die gelungene Herausarbeitung der unterschiedlichen Frauenfiguren und ihrer emotionalen Befindlichkeiten, welche beeindruckt, sowie die hohe schauspielerische Leistung des gesamten Ensembles.