Es ist eine schlechte Luft in der Welt
12. Februar 2024
Das literarische Werk der österreichischen Autorin Maria Lazar (1895 – 1948) feiert eine lohnenswerte Wiederentdeckung.
Michaela Preiner
Der Nebel von Dybern Schauspielhaus Graz (Foto: Lex Karelly)
Foto: (Lex Karelly)

Lazars Roman „Der Nebel von Dybern“ wird derzeit in einer Bühnenfassung unter der Regie von Johanna Wehner am Schauspielhaus in Graz gezeigt. Dem Verleger Albert C. Eibel ist es zu verdanken, dass mit seinen Neuauflagen sowohl die Theaterstücke als auch das restliche Werk der jüdischen Autorin wieder zugängig werden. Auf der Info-Seite über Maria Lazar der Buchhandlung Thalia, ist weiteres Interessantes zu diesem Thema nachzulesen.

Die Grazer Produktion, die zu Saisonbeginn als österreichische Erstaufführung angekündigt war, musste jedoch diese Meriten im Herbst an das Theater Nestroyhof Hamakom abgeben. Kam die Inszenierung in Wien mit nur drei Personen aus, sind in Graz neun auf der Bühne. Unter der Neuintendanz von Andrea Vilter wurde man bei den großen Produktionen im Haus bisher noch immer mit den Bühnenbildern positiv überrascht. So auch dieses Mal. Dem Ruf des Theaters an sich tut dies gut, gerade in Zeiten von schwierigeren Abo-Verkäufen, ist doch ein interessantes Bühnenbild ein nicht unwesentlicher Baustein zu einer gelungenen Produktion und lockt Publikum an.

Der Nebel von Dybern Schauspielhaus Graz (Foto: Lex Karelly)

Der Nebel von Dybern Schauspielhaus Graz (Foto: Lex Karelly)

Benjamin Schönecker ließ für diese Inszenierung einen schmucklos-zweckmäßigen Industriebau aus den 70-ern des vorigen Jahrhunderts aufbauen. Der verglaste Eingangsbereich zu einer Chemiefabrik dient für Auf- und Abgänge. Am linken, vorderen Bühnenrand wurde eine kleine, mit Natursteinen gemauerte Sitzgelegenheit montiert. Unter bunten Glühlämpchen, die den Eingang zur „Gastwirtschaft am Rand“ markiert, treffen sich die alte, blinde Kathrine, sowie Barbara, die von Josef ein Kind erwartet und Jan. Durch diese Szenerie werden zugleich auch die Gegenpole des Dramas sichtbar. Die rurale Kuschelromantik des Gasthauses, in der sich das arbeitende Volk trifft, steht in direktem Gegensatz zum harten Business der Chemiefabrik mit ebensolchen Akteuren: Diese Dualität findet sich auch in den Figuren von Lazar wieder. Visualisiert wird dies zusätzlich durch eine raffinierte Farbgebung der Kostüme von Miriam Draxl.

Die Geschichte um den todbringenden Austritt von Giftgas, die unheimliche, aktuelle Bezüge aufweist, kann als Psychodrama gelesen werden, oder aber auch als Mahnung, mit unserer Welt pfleglicher umzugehen. Johanna Wehner konzentriert sich stark auf die Figurenführung von Maria Lazar und zeigt auf, wie verschieden die einzelnen Personen auf die Katastrophe reagieren.

Der Nebel von Dybern Schauspielhaus Graz (Foto: Lex Karelly)

Der Nebel von Dybern Schauspielhaus Graz (Foto: Lex Karelly)

Anke Stedingk als alte Kathrine, die Kassandra-gleich das Übel, das über sie hereinbricht, nicht nur benennen, sondern auch riechen kann, spielt sich großartig direkt vom Bühnenrand aus in die Sympathien des Publikums. Sie ist es, die von Beginn an wittert, was kommen wird und mit ihrer herben und schroffen Art männerabwehrend der schwangeren Barbara eine echte Stütze bietet. Ihr Stehsatz „Es ist eine schlechte Luft in der Welt“ bezieht sich nicht nur auf die Katastrophe, die sich durch den Einsatz von Giftgas im 1. Weltkrieg ereignete und auf die sich Maria Lazar indirekt in ihrem Roman bezog. Vielmehr liegt eine Umdeutung auf heutige Zustände mehr als auf der Hand. Marielle Layher verkörpert als die junge Wirtin Barbara eine starke Frau mit einem unbeugsamen Willen, dem niemand entgegentreten kann. Die Vorstellung, dass ihr Kind einmal nicht auf grünen Wiesen in einer glasklaren Luft aufwachsen wird können, führt letztlich zum familiären Drama. Ihr Mann Josef – Mario Lopatta – ist jemand, der am liebsten vor allen Unbillen die Augen verschließt und das Schlimme wegschiebt, solange es nur möglich ist. Sein Gegenspieler Jan, Thomas Kramer, durchschaut am schnellsten von allen die Vertuschungsmechaniken der Verantwortlichen der Chemiefabrik, aus der das Giftgas auf unerklärliche Weise in die freie Natur gelangte. Seine aufbrausende Art, aber vor allem sein Nicht-locker-Lassen, wenn es darum geht, die Schuldigen aufzudecken, werden ihm zum Verhängnis.

Tim Breyvogel als Generaldirektor und Simon Kirsch als Alexis, stolzer „Leiter der Abteilung A“, personifizieren beide nicht nur das schlechte Gewissen von Unglücksverursachern. Sie versuchen vielmehr mit aller Macht zu vertuschen, dass der Nebel von Dybern kein Naturphänomen ist, sondern eine hausgemachte Umweltkatastrophe, die viele Menschen das Leben kostet. Ihrem fahrigen und hypernervösen Verhalten steht jenes von Dr. Thomsen – Sebastian Schindegger – diametral gegenüber. Er ist der Erste, der verstanden hat, dass eine toxische Substanz das Leben bedroht, durch seine Lethargie und Obrigkeitshörigkeit ist er aber nicht in der Lage, zeitgerecht zu warnen und das Gebiet evakuieren zu lassen.

Mit Clarisse – gespielt von Otiti Engelhardt – zeichnete Lazar eine höchst moderne Frauenfigur. Die Gattin des Fabrikdirektors und junge Mutter verzweifelt an ihrer Untätigkeit und kann sich bei ihrem Mann kein Gehör verschaffen. Sie hätte das Zeug zu einem wertvollen Mitglied im Krisenstab, wird aber, als „Kindchen“ tituliert, nicht ernst genommen. Dass sie, genauso wie Kathrine, einen Namen trägt, der Bezüge zu einer anderen Frauen herstellt, ist kein Zufall.  Die Frau von Fritz Haber, dem „Vater des Giftgases“ und späteren Nobelpreisträgers, hieß Clara. Sie nahm sich wenige Tage nach dem Einsatz von Chlorgas in Ypern, der 1200 Soldaten tötete, selbst das Leben.

Der Charakter der Heilsarmeeschwester, welche die geflüchtete Bevölkerung von Dybern in einem unterirdischen Kino bewachen soll, ist nicht wirklich durchschaubar. Anna Klimovitskaya spielt darin eine Frau, die sich streng an ihre Vorgaben hält, weiß aber wesentlich mehr, als es anfänglich den Anschein hat. Erst kurz vor Ende lässt sie mit einer Ansage aufhorchen, die deutlich macht, wer der eigentliche Verursacher der Katastrophe war. Eine dramaturgische Wendung, die zeitgenössischen Krimis in nichts nachsteht und deshalb an dieser Stelle auch nicht preisgegeben werden soll.

Mit einer musikalischen Untermalung von Vera Mohns, sowie einer raffinierten Lichtführung von Thomas Trummer, in welcher die bedrohlichen Nebelschwaden sichtbar werden, zieht die Regie weitere Register, die zum Gelingen des Abends beitragen.

Es ist nicht nur die Aktualität des Stoffes, die beeindruckt. Auch, dass die Geschichte nachhaltiges Denken beim Publikum hervorruft, zeigt, wie gut die Produktion gelungen ist. Die Charaktere stehen, höchst klug nachgezeichnet, für viele, die im Real-life in lebensbedrohlichen Situationen, in welchen sie Verantwortung übernehmen müssten, dies aus Feigheit jedoch nicht tun. Die Mitläufer, die Nicht-Wissen-Wollenden, die Hardliner, die Vertuscher, sie alle finden sich in jeder Gesellschaft und bilden ihren überwiegenden Teil. Jene, die das Unheil schon voraussehen und es aufdecken wollen, waren zu jeder Zeit und sind auch heute in der Minderheit. Ganz abgesehen von den vielen Namenlosen, die Opfer waren, sind und noch sein werden.

„Der Nebel von Dybern“ darf als weiterer gelungener Saison-Baustein am Schauspielhaus in Graz angesehen werden und macht zugleich auch neugierig, mehr von Maria Lazar zu lesen und auch zu sehen.

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