In der Luft wirbelnde Artisten, ein Clown mit einem seeehr traurigen Gesicht, eine Schlangenfrau, tanzende Korsaren und im Handstand laufende Hunde – was kann man von einem russischen Zirkus mehr verlangen! Wer wieder einmal richtige Zirkusluft schnuppern will, der reise dorthin, wo der Moskauer Zirkus Nikouline sein Zelt aufschlägt. Derzeit ist das noch bis zum 5. Dezember in Straßburg möglich. Anlässlich des russisch-französischen Freundschaftsjahres gastiert der Zirkus kurz vor Jahresende in der Europastadt.
Der Zirkus lebt! Und wie! möchte man hinzufügen, wenn man an die Vorstellungen des Zirkus Nikouline denkt. In der rund 2stündigen Show kann man das, was viele von uns als Kinder das letzte Mal gemacht haben, ausgiebigst tun: Staunen, laut lachen, mitklatschen und den Atem anhalten. Lang ist die Liste jener Zirkusfestivals, in denen die beteiligten Artisten Medaillen holten, viel interessanter aber ist es, ihnen im großen, weißen Zirkuszelt zuzusehen. Wie zum Beispiel der Truppe Kovgar, die sich nacheinander mit Schleuderbrettern katapultartig in die Lüfte schießen um nach einigen Salti wieder sicher am Boden zu landen. Oder auch hoch oben, auf einem Stuhl, der an einer meterlangen Stange am Bauch eines Artisten befestigt ist. Das rasante Tempo, vorgegeben durch fröhliche Balalaikaklänge, lässt keine Sekunde zum Verschnaufen zu. Die aufwendigen, rot-goldenen Kostüme bringen schon bei ihrem Auftritt Applaus. Genauso erlebt man die Garamovs, die knapp unter dem hohen Zeltdach ihre Flugtrapezkünste mit zusätzlichen Schaukeln vollführen. Wie sie quer durch die Manege fliegen, sich nach Dreifachsalti von ihrem Gegenüber auffangen lassen oder wie die südamerikanischen Klippenspringer kopfüber in das Netz stürzen, ist einfach atemberaubend.
Assyat Agaeva hingegen, die in Frankreich auch oft mit dem Zirkus Arlette Gruss auf Tour ist, bringt Liebreiz, Charme und Spaß in die Manege. Und das begleitet von ihren vielen Hunden. Zuzusehen, wie sie auf den Vorder- und Hinterbeinen laufen, zu zweit tanzen, sich gegenseitig überspringen oder die Artistin aus vollem Lauf von hinten mehrfach umwerfen – ist einfach ein einziger, großer Spaß, den man mit dieser tollen Nummer erleben darf.
Maria Efremkina verursacht bei vielen Besuchern zumindest Phantomrückenschmerzen. Ihr biegsamer Körper zeigt in einer ausgefallenen Choreografie, was nur wenige Menschen auf der Welt beherrschen: schier unvorstellbare Verrenkungen, die in der Zirkusfachsprache auch als Kontorsion bekannt sind. Ihre Wirbelsäule scheint aus einem Gummiband zu bestehen und das oftmalige, kurze Winken ihrer zarten Füße – auch bei schwierigsten Balanceübungen – zeigt, wie sehr sie ihr Gleichgewicht beherrscht. Nicht minder tut dies Tatiana Rojdestvenskaya, wenngleich nicht am Boden, sondern am Vertikalseil. Behände, als ob es ohne Kraftanstrengung ginge, zieht sich die als Femme fatale auftretende Akrobatin hoch, verknotet sich kunstvoll, um plötzlich, unter allgemeinem Aufschrei des Publikums, kopfüber in die Tiefe zu stürzen. Ihr freier Fall, wird knapp über dem Boden von ihrem Seil aufgehalten und als sie merkt, dass ihr dabei ihr Röckchen hoch am Seil hängen blieb, beginnt sie von neuem ihren Aufstieg.
Als ständiges Bindeglied zwischen den Nummern fungieren die Clowns mit dem einprägsamen Namen „Les Mikos“. Sergej Darydor, Nikolai Bereza und Sergej Ivanov mimen den tollpatschig- träumerischen, den pragmatischen Mitläufer und den intelligenten Clown in manches Mal surreal anmutenden Nummern, immer jedoch ganz nah am Gefühl. Ihr Paddelbootballett lebt durch die wippenden, langen, gelben Röcke, in welchen die Männer unglaublich komisch aussehen. Ihre Zaubernummer mit den einfachen, durchschaubaren Späßen und der Auftritt mit dem Brett, das sie zu zweit tragen und bei welchem sie sich ständig kleine Gemeinheiten zufügen, um jedes Mal selbst wieder dabei zu Schaden zu kommen, gefallen vor allem dem jüngsten Publikum.
Ein Live-Orchester wäre sicherlich das Tüpfelchen auf dem i, die eingesparten Kosten durch die musikalischen Bandeinspielungen sind aber verständlich. Schade, dass bei weitem nicht alle Vorstellungen ausverkauft waren, denn Artisten hautnah kann man weder im Kino noch im Fernsehen erleben. Sondern nur im Zirkus.
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