In ihren bislang 35 geschaffenen Choreografien kommt immer wieder ein Leitmotiv zum Vorschein: Das Gemeinsame ist besser als das Einsame. Eindrücklich war das auch in der Produktion ‚Da-nach‘ mitzuerleben, in welcher vor allem das Gefühl der Hoffnung verbreitet wurde, gespeist aus der Erfahrung, dass eine Gemeinschaft mehr erreichen kann als ein einzelner Mensch. Zwar ist diese Produktion schon einige Jahre her, umso dringlicher stellen sich heute jedoch all diese Fragen abermals.
Auch in der neuen Produktion ‚Cri des Signes‘ äußert Hölbling wieder den Wunsch nach mehr Gemeinsamkeit. Im Programmheft ist zu lesen: ‚Es geht darum, den Radius dieser Gemeinsamkeiten zu vergrößern, sich einander zuzuwenden und gemeinsam zu erstarken.‘

Cri de Signes (Foto: Anna Stöcher)
Den Einstieg bereitete die Choreografin selbst mit einem eigenen Text, den sie auf Englisch vortrug. Die Einsamkeit in der Masse ist darin ein Hauptthema, das Bewusstsein, dass unser Leben nicht viel mehr als „swiping and scrolling“ ist und die ‚likes and hates are quickly dispatched‘. Umso mehr dürften wir uns alle nach dem sehnen, was die digitale Welt uns verweigert: Nähe, Geborgenheit und gemeinsames Erleben.
Am Beginn der Tanzperformance stand jedoch genau das Gegenteil. Die drei Agierenden – Saskia Hölbling, Leonie Wahl und Ardan Hussain lieferten Einzelchoreografien ab, ohne sich mit den anderen zu verbinden. Niedrige, quadratische Podeste wiesen ihnen dafür einen engen Spielraum zu. Lediglich ein quer durch den Raum verlaufender, imaginärer Catwalk, der mehrfach durch Videoprojektionen optisch in Szene gesetzt wurde, erweiterte die räumlichen Bewegungsmöglichkeiten. (Video Evi Jägle). Darauf zu sehen waren Szenen einer Stadt, verschwommen, rasch geschnitten, die Rast- und Orientierungslosigkeit vermittelten.
Die Choreografien waren erzählend, wenngleich auch mit einer hohen Interpretationstoleranz ausgestattet. Leonie Wahl befand sich gleich zu Beginn – der auditiven Wolke zu entnehmen – an einem Rückzugsort, umgeben von Kriegslärm. Dementsprechend bewegte sie sich auch. Angriffs- und Rückzugsposen wechselten genauso wie das Klopfen auf die eigene Brust. Damit einher geht meist ein Aufputschen des Selbstwertgefühls, das jedoch die Tänzerin von einer Sekunde auf die andere wieder verließ. Einsamkeit und Angst waren aus ihren Gesten ablesbar, und das ihr zugewiesene Podest blieb jener Raum, auf dem sie agierte. Die bewusst mit Kraftmomenten ausgestattete Szene verwischte die Geschlechterebenen und ließ keine eindeutige Bestimmung zu.
Ardan Hussain begann sein Podium intensiv körperlich mit großen, ausladenden Schritten und Armbewegungen zu vermessen, um es nach einer intensiven Bodenchoreografie wieder zu verlassen. Die Lust, zu laufen und sich am Boden ausbreitend zu bewegen, aber auch hoch nach oben zu sehen, dorthin, wo es keine Grenzen gibt, drückte er mit seiner Körperarbeit anschaulich aus. Saskia Hölbling hingegen war noch stärker als Leonie Wahl auf sich zurückgeworfen. Anfänglich gepeitscht von unsichtbaren Schlägen oder Stößen, fiel sie, rappelte sich wieder auf und taumelte weiter. Später agierte sie, so wie Leonie und Ardan zuvor, einsam auf einem Podest. Ihr silbernes Outfit vermittelt den Eindruck von metallener Kälte, aber auch den Willen, sich elegant von anderen abzuheben. Ihre tänzerische Ausdrucksweise war dabei exquisit, im Sinne der lateinischen Ursprungsbedeutung – ausgesucht und der späteren Bedeutung von vorzüglich. Ihre Bewegungen blieben immer geschmeidig und fließend, mit anderen Worten: Man hätte ihr stundenlang zusehen können, ohne dass es einem langweilig geworden wäre. Spürbar wurde das Gefühl, dass ihre Persona ausschließlich ganz auf sich konzentriert war. Sie ließ zwar den Wunsch nach Austausch mit anderen erkennen, nahm dann jedoch wieder davon Abstand und beschäftigte sich intensiv weiter mit sich selbst. Dass diese Introspektion letztlich bewusste Wiederholungsschleifen mit sich brachte, liegt auf der Hand.

Cri de Signes (Foto: Anna Stöcher)
So unterschiedlich die drei Einstiegsszenarien auch waren, alle zeichneten sich durch einen hohen Energielevel aus, durch leicht aussehende, aber schwierig auszuführende Bewegungen, mit akrobatischen Einsprengseln, die an der Grenze des körperlich noch Machbaren angesiedelt waren. Mit dem Fortdauern der Performance erlebte man Szenen, wie wir alle sie aus unserem Leben kennen. Sich annähern, verlieben und in innigster Zweisamkeit agieren. Aber auch sich wieder entfremden, unter Verhältnissen, in welchen ein Streit alles zerstört, was einst schön und gut war. Saskia Hölbling und ihr Team schufen ein Kaleidoskop unseres gesellschaftlichen Ist-Zustandes, in welchem permanent das Pendel zwischen Selbstbehauptung und Gemeinsamkeit schwingt.
Mit einem einfachen, aber effektiven Setting gelang schließlich das, wovon nicht nur sie, sondern wohl alle Menschen träumen: Ein Zustand, der uns gemeinsam beinahe schwerelos schwingen lässt. In einer der letzten Szenen benutzten die Tanzenden schwarze Gummibänder, die sie zuvor behände quer durch den Raum spannten. Diese dienten als Stütze, aber auch als Hilfsmittel, neue Bewegungsmuster umzusetzen. Und sie animierten die Drei, sich aufeinander einzulassen und im Gleichklang zu bewegen.
Musikalisch griff Heinz Ditsch in die Vollen und unterlegte das tänzerische Geschehen mit durchwegs bekannten Hits sowie einigen handverlesenen, aktuellen Soundtracks, teilweise mit eigener Geräuschkulisse erweitert. Diese musikalische Mischung unterfütterte nicht nur die körperlichen Aktionen, sondern veranschaulichte auch die jeweiligen Themen: Kampf, Liebe, Einsamkeit, Angst, aber auch Freude und Hoffnung.
Saskia Hölbling kann mit dieser Arbeit das Dilemma, das sie anspricht, klarerweise nicht lösen. Aber sie zeigt zumindest auf, dass es möglich wäre, Neues und Schönes gemeinsam zu schaffen, wenn bei ihr auch nur in einer performativen Idealwelt. Dass Saskia, Leonie und Ardan am Schluss wieder alleine auf ihren Podesten sitzen, sollte niemanden vor einem Selbstversuch abhalten, aktiv zu werden und auf unsere Mitmenschen wieder mehr zuzugehen. Wie schön wäre es, die künstlerische Idee einer Choreografie in unseren Alltag einfließen zu lassen. Der Schrei der Zeichen unserer Zeit ist dafür laut genug. Lassen wir ihn nicht ungehört und untätig verhallen.
Hier der Trailer zum Stück: