Hellas setzt auf Demokratie

Georg A. Papandreou

Georg A. Papandreou hofft auf die Zustimmung des griechischen Volkes

Die Entscheidung des griechischen Regierungschefs Giorgos Papandreou ist äußerst mutig und vor allem sehr riskant. Es steht nicht nur der Euro und Griechenlands Zukunft auf dem Spiel, sondern die Entscheidung gleicht nach heutigen Maßstäben einem politischen Selbstmordkommando.

Heute am Allerheiligentag würde wahrscheinlich kein politischer Beobachter und Kommentator einen Pfifferling auf Papanadreous politisches Überleben wetten. Gerade dies zeigt aber, wie mutig sein Schritt ist und für mich auch wie richtig. Denn ungeachtet der persönlichen Folgen setzt er auf ein starkes Signal, wurstelt nicht länger vor sich hin und lässt sich von den Vorgaben der Rettungstroika (EU, IWF, EZB) hertreiben. Gerade die fortdauernden Krisen erfordern von  demokratisch legitimierten Politikerinnen und Politikern die Bereitschaft, mit ihren Entscheidungen Gestaltungswillen und auch die Übernahme von Verantwortung zu zeigen. Nur in diesem Fall werden auch unpopuläre und für den Großteil der Bevölkerung einschneidende Maßnahmen dauerhaft ihre Wirksamkeit entfalten. Die Demokratie lebt wie kein anderes Staatsmodell von der Unterstützung des Wahlvolkes. Keine demokratische Regierung kann dauerhaft gegen die Interessen des eigenen Volkes regieren und schon aus diesem Grund ist der Hang von Papandreou zur direkten Demokratie zu bewundern und im Prinzip unterstützungswürdig. Ein Land, dessen Binnenwirtschaft total zusammengebrochen ist und dessen Bevölkerung zum Teil empfindliche Einschnitte hat hinnehmen müssen, muss gewahr sein, dass aus einer Wirtschaftskrise sehr schnell eine Demokratiekrise werden kann. Diese reale Gefahr besteht vor allem bei den über 40% arbeitslosen Jugendlichen, die auch vor einer massiven Gewaltanwendung nicht zurückscheuen, um sich Gehör zu verschaffen. Papandreou blieb fast keine andere Wahl, wenn es ihm ernst ist mit einer Zukunft Hellas. Sollte das griechische Volk sich für die Politik der radikalen Reformen entscheiden und Papandreou auf seinem Weg bestätigen, dann hätten die oft zitierten hochnervösen Märkte ihr starkes Signal, um das sich die EU seit einem Jahr Woche für Woche müht. Das Signal, dass die Mehrheit der Bevölkerung auch für solche Maßnahmen zu gewinnen ist, wäre ein nicht zu überschätzendes für die anderen Wackelkandidaten in der Eurozone. Außerdem müssen die Troika und deren Partner in Griechenland dann die Wirksamkeit der verordneten Therapie beweisen, was angesichts der Ergebnisse der Liberalisierung der Märkte und der Reduzierung von Reglementierung, die ja auch Griechenland verordnet wird,  in den letzten Jahren zumindest unzureichend belegt ist. Die aktuelle Krise ist ja auch eine Krise dieser Neoliberalen Idee einer optimalen Wirtschafts- und Staatsverfassung. Wir sehen an den Bemühungen von Angela Merkel, die urplötzlich ihre Liebe zu Mindestlöhnen und Finanztransaktionssteuer entdeckt, dass nicht alles Gold war, was in den letzten 30 Jahren als Standortsicherungsmaßnahmen zu glänzen schien.

Sollten die Griechen sich in ihrer Mehrheit gegen die Rettungsmaßnahmen der Euroländer verwehren, wäre dies für Griechenland sicherlich sehr schmerzlich, denn dies würde ziemlich sicher die Rückkehr zur Drachme bedeuten und wahrscheinlich käme Griechenland dann an einer Pleite nicht vorbei. Dann begänne für Griechenland der lange Prozess der Neudefinition des eigenen Staatsverständnisses und heute ich nicht abzuschätzen, wohin sich Griechenland dann entwickeln würde. Das ist das Risiko, das Papandreou eingeht und es wird sich zeigen, welchen Weg die Mehrheit der Griechinnen und Griechen gehen wollen oder werden. Die Griechen wird bei ihrer Entscheidung vor allem umtreiben, ob sich durch ihre Entscheidung etwas verbessert oder verschlechtert – für sie selbst, ihre Kinder, Verwandten und Nachbarn. Vielleicht schafft es Griechenland dann zu einer gerechten und konsequenten Besteuerung zu kommen oder fährt den Militärhaushalt auf ein vernünftiges Maß zurück, von dem vor allem Deutschland und Frankreich als Waffenexporteure profitiert haben. Alles Punkte, die in den Überlegungen der Troika nicht vorkommen. Man hat im Gegenteil dem Kapitalabfluss der wenigen Reichen in Griechenland in den letzten Monaten Tür und Tor geöffnet, der einer Volkswirtschaft nicht sonderlich zuträglich ist.

Egal wie die griechische Bevölkerung entscheidet, es ist auf jeden Fall ein Sieg der Demokratie vor den Kapitalmärkten und damit ein starkes Zeichen für die Bevölkerung Europas, dass Demokratie und Finanzkapitalismus sich nicht zwangsläufig ausschließen. Allerdings bedarf dies den mutigen Entscheidungen von Politikerinnen und Politikern, die ihr politisches Schicksal mit ihren getroffenen Entscheidungen verknüpfen und nicht auf die geringe Halbwertzeit des kollektiven Gedächtnissen setzen und heute das Gegenteil von den gestrigen Behauptungen ihr Eigen nennen und uns glauben machen wollen, dass dies ohnehin schon immer ihre Überzeugung gewesen ist. Diese Art von Politik führt zu einem Vertrauensverlust in der Bevölkerung gegenüber der parlamentarischen Demokratie und ihrer Institutionen. Die Wiege der westlichen Demokratie ist durch diese Volksabstimmung dazu aufgerufen, diesem notleitenden Patienten die erforderliche Akutversorgung zu gewähren, damit über eine langfristige Therapie in Ruhe und mit dem notwendigen Sachverstand gesprochen werden kann.

Die Angst der Kunst vor der Schwelle

Die Angst der Kunst vor der Schwelle

schwellenangst

Der Herbst ist immer der Beginn der Kunst- und Kultursaison. Viele Eröffnungs- und Begrüßungsreden werden gehalten und die Sonntagsreden der Kulturpolitikerinnen und -politiker und solcher, die es gerne wären, haben Hochkonjunktur. Egal welchen Kunst- und Kulturevent ich auch immer besuche, eine Aussage kommt so sicher wie das Amen im Gebet: „Wir wollen das Festival einem breiten Publikum zugänglich machen und wollen die Schwellen so niedrig wie möglich halten.“ Es gibt zwei grundsätzliche Assoziationen, die mir sofort durch den Kopf schießen:

  1. Warum müssen Politiker das immer so hervorheben?
  2. Was ist an Schwellen so schlimm?

Mir scheint, die Neigung der Politik, Zuschüsse und Subventionen gerade im Kulturbereich besonders rechtfertigen zu müssen und die Transparenz dort besonders hoch zuhalten, ist gerade hier besonders ausgeprägt. Ich würde mir das zwar eher für die enormen Subventionen für die Landwirtschaftsindustrie wünschen, denn die einzelnen Landwirte erhalten ja von diesen nur den geringsten Teil. Was die Transparenz der Vergabe in diesem Bereich angeht ist ja hinlänglich bekannt.

Es gibt aber auch scheinbar sakrosankte Subventionen im Kulturbereich. Nur wenige hinterfragen zum Beispiel die Subventionen für die Salzburger oder Bayreuther Festspiele. Neben den Politikerinnen und Politikern betonen diese Schwellenangst und die Sehnsucht nach Breitenwirkung auch alle Festivaldirektoren, -kuratoren und sonstige -toren. Ich bin mir nie sicher, ob diese das auch noch selber glauben. Denn es ist für mich kaum vorstellbar, dass die Verantwortlichen eines Festivals wie zum Beispiel „Wien Modern“ tatsächlich glauben, ihr Kulturevent könnte die breite Masse begeistern und diese gar zum Besuch solcher Veranstaltungen verleiten. Jetzt sind wir schon mitten in der zweiten Assoziation, denn was ist im Gottes Namen so schlimm an Schwellen?

Kunst und Kultur sind in der Demokratie ein Angebot an die Bevölkerung, welches diese wahrnehmen können oder eben nicht. Demokratie bedeutet allerdings sicherlich nicht die große Gleichmacherei, das Gegenteil ist das Ziel der modern verfassten Demokratien. Außerdem bedarf es für den Zugang zu zeitgenössischer Kunst, ob jetzt Musik oder Bildende Kunst, Theater oder Literatur, immer auch des Wissens und der Auseinandersetzung mit der selbigen. Das allein ist schon eine Schwelle, die zu nehmen nicht alle willens sind. Natürlich könnte man jetzt nach Bildung und Ähnlichem rufen und im Rahmen einer bildungspolitischen Zwangsbeglückung versuchen solche Art von Kultur didaktisch bis zur Unkenntlichkeit zu reduzieren, nur um sich den Vorwurf des Elitären zu erwehren. Für mich kann es aber eben nicht Ziel der Kultur sein, es allen Recht zu machen. Die Macher der zeitgenössischen Kultur sollten vielmehr stärker auf die Qualität ihrer Veranstaltungen achten als auf niedrige Schwellen und das breite Publikum. Denn die Orientierung an der Masse führt logischerweise immer zu durchschnittlichen Ergebnissen.

Natürlich ist es wichtig, Veranstaltungen anzubieten, die auch für weniger Betuchte bezahlbar sind oder die gar ohne Eintrittsgeld auskommen. Diese monetäre Schwelle gilt es tatsächlich zu bekämpfen, denn nicht alle Liebhaber der zeitgenössischen Kultur sind wohlhabend. Die Kultur hat gerade für mich die Aufgabe Kontroversen auszulösen und auszuhalten. Kultur soll nie dem Mehrheitsgeschmack um jeden Preis folgen, vielmehr soll sie polarisieren, verstören und verängstigen. Sie hat die Aufgabe unser Denken zu irritieren und infrage zu stellen. Sie soll uns mit neuen Wahrnehmungen konfrontieren. Sie soll uns unserer Gewohnheiten berauben bzw. diese erschüttern. Denn wir Menschen lieben das alte Bekannte, sind über weite Strecken risikoscheu und verabscheuen es, geradezu unsere Meinung aufgeben und ändern zu müssen. Schon deshalb ist die zeitgenössische Kunst und Kultur nicht massentauglich und wird nur Anklang bei einer kleinen Schicht der Bevölkerung finden. Und daran kann ich nichts Schlimmes finden, außer dass sie dadurch immer unter einen gewissen Erklärungs- und Rechtfertigungszwang geraten wird und dies eben zu dem beschriebenen Phänomen der Schwellenangst führt. Es geht hier natürlich auch um eine Minderheit jenseits der Massenkultur, die per se darunter leidet, nicht von allen verstanden und geliebt zu werden. Gerade die Künstlerinnen und Künstler würden sich natürlich häufig ein Verständnis aus breiten Schichten der Bevölkerung wünschen. Allerdings ist es gerade die moderne Demokratie, die letztlich auch oft genug betont, im Input der verschiedenen Strömungen ihre Überlebenschance zu sehen. Es kann nicht sein, dass sich Kultur in allen Belangen der ökonomischen Verwertbarkeit und dem Massengeschmack anbiedern muss und die Werthaltigkeit oder der Nutzen nur unter diesen beiden Aspekten gesehen wird. Meine Welt wäre ohne zeitgenössische Musik, Theater oder bildende Kunst viel monotoner und meine Introspektion um viele Ideen und Irritationen ärmer. Die einzige Schwelle, die es einzureißen gilt, ist die monetäre, denn die Exklusion vom kulturellen Geschehen aufgrund der nicht vorhandenen eigenen finanziellen Mittel ist nicht hinnehmbar. Noch dazu, wo dieser Umstand oft nicht immer in der Hand der Betroffenen liegt. Genannt seien hier z.B. nur jene Menschen, die am Arbeitsmarkt aus welchen Gründen auch immer keinen Platz mehr finden und aufgrund ihres geringen Einkommens keinerlei Ressourcen zur Verfügung haben die sie für kulturelle Veranstaltungen ausgeben könnten.

Wenn sich jemand nicht für Kultur interessiert oder einfach glaubt, dass dies alles nur ein „Hirnwichsen“ sei, die oder den werden wir auch bei noch so niedrigen Schwellen nicht begeistern können. Ich wünsche mir also lediglich bei Eintrittspreisen keine Schwellen. Im Bereich Preisgestaltung gibt es für mein Gefühl noch sehr viel kreatives Potential bei vielen Veranstaltern, allerdings sollten wir uns von dem Einwand der hohen Preise nicht schrecken lassen. Denn selten ist es tatsächlich der hohe Preis, der Menschen davon abhält kulturelle Events zu besuchen. Es wäre ja einmal interessant herauszufinden, wie viele Wienerinnen und Wiener zum Beispiel den Kulturpass kennen und auch nutzen sofern sie darauf Anspruch haben. Sowohl die Sozialämter als auch das AMS können diese Pässe ausstellen, wenn das Einkommen eine gewisse Höhe nicht überschreitet, aber leider wird diese wunderbare Initiative an diesen Stellen zu den Betroffenen hin nicht kommuniziert. Diese müssen schon selbst bescheid wissen und danach fragen, sonst kommen sie nicht in den Genuss dieses Passes, der bei vielen kulturellen Institutionen gratis Eintrittskarten bereit hält. Solche Wissensdefizite gilt es zu bekämpfen und zu verändern. Das liegt aber nicht in der Hand der Kulturschaffenden, sondern in den Händen der Politik und deren verlängerten Armen, nämlich den Behörden.

Wenn wir uns über einen elitären und vermeintlich hochsubventionierten Kulturbereich ärgern und glauben, zu seiner Rechtfertigung imaginäre Schwellen bekämpfen zu müssen, wie einst Don Quichote die Windmühlen, werden wir dem Potential von Kunst und Kultur nicht gerecht und verhalten uns wie kleinkrämerische Buchhalter. Die Funktionsfähigkeit einer Gesellschaft wird sich auch an ihren kulturellen Ereignissen und ihrer Offenheit messen lassen müssen. Was wäre Wien und Österreich ohne sein reiches kulturelles Erbe. Die Stadt Wien bezieht einen Großteil ihrer Attraktivität nach wie vor aus den kulturellen Leistungen der Vergangenheit. Was wäre Österreich ohne Mozart, Haydn, Bruckner, Schönberg oder Klimt. Die Strahlkraft der Kultur ist unübersehbar und schon deswegen ist es die Pflicht einer Kulturnation dafür zu sorgen, dass Kultur auf hohem internationalem Niveau entstehen kann und letztlich auch geboten wird, ohne immer auf die unmittelbare Kosten-Nutzen Rechnung zu schielen. Europa wäre um vieles ärmer, wenn immer der unmittelbare Nutzen von Kunst und Kultur den Ausschlag gegeben hätte.

Vergesst den Großteil der Schwellendiskussion und macht euch zum Ziel hochwertige Angebote zu bieten, anstatt auf die Masse zu schielen.

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