Alice im Wunderland für Erwachsene

Alice im Wunderland für Erwachsene

Lesezeit: [lesezeit]

Michaela Preiner

26. November 2025

Alice im Wunderland für Erwachsene

Michaela Preiner

26. November 2025

Lesezeit: [lesezeit]

Foto: (Matthias Baus )

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Im Theater an der Wien fand die österreichische Uraufführung der Oper ‚Alice in Wonderland‘ in Zusammenarbeit mit dem Festival „Wien Modern“ statt.

Wer meint, dass die Komponistin Un-suk Chin mit dem Librettisten David Henry Hwang eine Kindergeschichte vertonte, irrt gewaltig. Vielmehr richtete sich die Produktion unter der Regie von Elisabeth Stöppler an Erwachsene und dürfte für einige, wenn nicht sogar viele von ihnen, eine tiefenpsychologische Erkenntnisbereicherung gewesen sein.

Wider Erwarten gab es weder ein opulentes Bühnenbild und bis auf wenige Ausnahmen ausufernde Kostüme. Das Spektakuläre erschöpfte sich in der visuellen Imitation eines Schachtes, der hoch oben vom geöffneten Bühnenraum bis zu dessen Boden – und gefühlt auch darunter – reichte. Darüber hinaus gestaltete Valentin Köhler am Theaterboden eine kleinhügelige Landschaft, ähnlich begrünten Maulwurfshügeln, in welchen die Charaktere verschwinden und auftauchen konnten.

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Alice © Matthias Baus

Der Plot blieb eng an den Geschichten von Lewis Carroll, (Alice in Wonderland und Through the Looking Glass) unterschied sich jedoch durch dessen Anfang und Ende. Und genau diese Uminterpretation macht die Oper interessant.

Bei Un-suk Chin taucht Alice in die Tiefen eines Traumes ab und erfährt darin nicht nur Essenzielles über das Verhalten unterschiedlichster Menschentypen, sondern wird mit ihren Ängsten, aber auch ihren charakterlichen Stärken konfrontiert. Die Tiere, mit welchen Alice in ihrem Traum in engen Kontakt tritt – wie z.B. das weiße Kaninchen, die Maus oder die Grinsekatze, treten in menschlicher Gestalt auf und werden durch Aufschriften auf der Rückseite ihrer Kostüme determiniert. Gerade dies erweist sich als Schachzug, hat das Publikum doch mit den einzelnen Charakteren Identifikationsmöglichkeiten. Leute, die ihrer Zeit hinterherlaufen, solche, die sich die Welt kompliziert schönreden, andere, die ihre Grausamkeit schon an Kindern auslassen, die ihrerseits gebrochen zu ebensolchen Typen mutieren werden – klar und deutlich werden Gewohnheiten bis hin zu psychischen Defekten aufgezeigt.

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Alice © Matthias Baus


Alice, gerade in ihrem Traum angekommen, trifft dort sowohl auf ihr kindliches Alter-Ego, als auch auf zwei alte Frauen, die, ob Kind oder Greisinnen, geflochtene Katzenkörbe mit sich tragen. „Die Last ist viel zu schwer für dich“, singt Alice mehrfach und aufgrund der eindringlichen Bildsprache wird sofort klar, dass damit psychologische Lasten gemeint sind. Lasten, welche Menschen ihr Leben lang nicht loslassen können oder wollen. Welch wunderbar ausformulierte Metapher für multiple psychische Probleme, die, so vor Augen geführt, an unterster Stelle einen Nachdenkprozess in Gang setzen können.

Musikalisch bewegt sich die Komponistin auf lange Strecken außerhalb des Dur-Moll-Gefüges und greift auf dieses nur in Ausnahmefällen zurück. Da aber auch nicht in Reinform, sondern entweder unterfüttert vom Orchester, das in einer abweichenden Tonalität agiert oder auch umgekehrt. So erklingen Lullabys, aber auch barocke Arien verfremdet, wenngleich immer noch erkennbar. Chins absolute Stärke zeigt sich in den Arien, sowohl in den solistischen als auch in den Duetten, Terzetten oder Quartetten.

Besondere Leistungen erbringen hier Álfheiður Erla Guðmundsdóttir in der Rolle der Alice, die im hohen Register Glanzleistungen vollbringt.
Mandy Fredrich als Herzkönigin beeindruckt mit ihrer kräftigen Präzision, welche sie bis ins Furiose steigern kann.
Andrew Watts brilliert mit seinem Countertenor vor allem in seiner Rolle als weißes Kaninchen.

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Alice © Matthias Baus


Der einfach gekleideten Alice steht ihre Widersacherin, die Herzkönigin, auch mit ihrem Kostüm (Su Sigmund) diametral gegenüber. Breit gepolstert sind ihre Schultern und weit ausladend ihr Rock, sodass darin das eine oder andere Mal sogar buckelnde Untertanen verschwinden können.

Die Gumpoldskirchner Spatzen haben als Kinderschar ihren großen Auftritt, genauso wie der Arnold-Schönberg-Chor, der mehrfach zum Einsatz kommt. So bevölkert er die Bühne auch als Cricket-Gesellschaft, ausstaffiert mit Holzschlägern, die sich letztlich als Totschläger erweisen. Dass es aus der autoritären Gesellschaft der Herzkönigin, die nichts mehr liebt als abgeschlagene Köpfe, nur den Ausweg des Auftauchens aus dem Traum von Alice gibt, macht klar, dass die Komponistin und der Librettist keine weltfremde Schönfärberei betrieben. Alice muss schließlich erkennen, dass die Welt viele Seiten aufweist, die hoffnungslos erscheinen mögen. Dass ihr im letzten Bild nachgesungen wird, dass sie zu jung und unerfahren sei, um zu erkennen, dass aus der Erde einst doch wieder Samen wachsen werden, kann die Gemüter der Zusehenden schließlich zumindest ein wenig befrieden. Auch wenn das Mädchen, an Seilen in der Luft hängend, sich noch im Tiefschlaf zu befinden scheint, klingt dabei durch, dass sie nach dem Erwachen aus diesem Albtraum früher oder später auch die schönen Seiten des Lebens entdecken wird können.

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Alice © Matthias Baus

Die Produktion ist in jeder Hinsicht als geglückt zu bezeichnen. Nicht nur, was die musikalische Verarbeitung betrifft, sondern auch die kluge Umsetzung und Interpretation der Geschichte, die wahrlich mit einem Kindermärchen nichts mehr zu tun hat.