Anlässlich der Veranstaltungen rund um das Jubiläum‚ 150 Jahre Favoriten‘, schufen Rita und Georg O. Luksch einen Abend mit Texten der Autorin, die ein bewegtes Leben im 19. Jhdt. hatte. Der Titel der Inszenierung ‚Ada Christen, die Stimmen der Verlorenen‘ verweist sowohl auf die Autorin selbst als auch auf jene Menschen, die sie in ihren Erzählungen so plastisch beschrieb.
In intimer Atmosphäre, dem kleinen Theaterraum des Kulturraums Gleis 21, agieren die Schauspielerin und der Musiker Georg O. Luksch zu zweit auf der Bühne. Begleitet von atmosphärischen Visuals, die Erich Heyduck gestaltete. Darauf zu sehen sind verfremdete Häuser und Menschen, deutlich aber dem vergangenen Jahrhundert zuzuordnen, in dem sich das Geschehen abspielte, das Rita Luksch vortrug.
Dazu schlüpfte sie in die Rolle von Christi(a)na von Breden, geb. Fr(i)ederik. Die Autorin wurde 1839 in Wien geboren und starb 1901 in Inzersdorf als Witwe ihres zweiten Mannes, Adalbar von Breden. Er war der Gründer der Inzersdorfer Konservenfabrik, erlitt jedoch am Ende seines Lebens wirtschaftlichen Schiffbruch. Es war nicht das erste Mal, dass die kämpferische Frau harte Zeiten verkraften musste. Schon als Kind erlebte sie, wie sich die Familienverhältnisse von begütert in bettelarm veränderten. Der Hunger und der Kampf ums Überleben sind in ihren Kindheitserinnerungen festgehalten und beeindrucken auch heute noch.
Rita Luksch, alias Ada Christen, alias Christl erzählt über ihre Erlebnisse in der „Blauen Gans“, einem langgestreckten Gebäude in Favoriten, in dem 20 Familien mit ihren Kindern ärmlichst zur Miete wohnten. Die Mutter verdiente den Unterhalt für sich und ihre Familie, nachdem ihr Mann verstorben war, als Handschuhnäherin. Die kleine Christl musste diese bei jedem Wetter in die Stadt tragen, um sie um ein paar Groschen einem geizigen, französischen Händler zu verkaufen, der diese mit Profit an seine noble Kundschaft weitervermittelte.
Nach einer dramatischen Episode, bei welcher das Mädchen beinahe erfroren wäre, wechselt die Erzählerin die Perspektive und berichtet über den Neubau einer Villa in unmittelbarer Nachbarschaft, welche für die Kinder ein außerordentlich interessantes Ereignis darstellte. Dabei schildert sie kunstvoll, welche Schicksale sich in dieser Villa abspielten. Was nicht direkt angesprochen wird, erklärt sich Erwachsenen von selbst und kann leicht zwischen den Zeilen herausgelesen werden.
Es ist die herausragende Schauspielkunst von Rita Luksch, die einem alles Erzählte plastisch vor Augen führt. Wie sie in die Rolle der kleinen Christl schlüpft, die angstgeweitet ihre Augen aufreißt, wenn sie sich vor Schlägen oder Zurechtweisungen fürchtet, macht tief betroffen. Wenn sie sich am Boden balgt, so als wäre sie mitten in einer veritablen Rauferei, um die so dringend benötigten Holzspäne zum Heizen für ihre Mutter zu ergattern, meint man, einer ganzen Kinderbande zuzusehen. Beeindruckend ist auch jene Szene, in der sie einem vertrauenswürdigen Erwachsenen von einem Federhut erzählt, welcher der Tochter ihres Hausherren gehört. Dass mit ihm ein Geheimnis verbunden ist, spürt das kleine Mädchen, welches aber, erschließt sich nicht ihr, sondern nur dem Publikum beim Zuhören.
Ada Christensens schriftstellerischer Verdienst besteht aus mehreren Komponenten. Einerseits ist es der Kunstgriff, das Geschehen aus Kinderperspektive zu erzählen, welches die Geschichten so plastisch werden lässt. Eine literarische Form, die erst zu ihrer Zeit aufkam. Parallelen sind in Peter Roseggers Erzählungen zu finden, allerdings aus der Sicht eines Jungen und nicht eines Mädchens, was einen großen Unterschied macht. Die Tatsache, dass sie auf diese Weise ohne moralische Bewertung das soziale Umfeld ihrer Zeit beleuchtete, stellt sie ebenbürtig an die Seite von Marie von Ebner-Eschenbach, die ihr gesamtes Werk ebenfalls dem Aufzeigen der ungerechten Lebensumstände im 19. Jahrhundert widmete. Letztere arbeitete mit demselben deutschen Verleger zusammen wie Ada Christen, erlangte jedoch, wohl auch aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stellung, einen anderen literarischen Stellenwert.
Das Elend der mittellosen Familien, die Ungerechtigkeit, mit der unverheiratete Frauen zu kämpfen hatten, die patriarchalen Strukturen, unter der auch Damen der besseren Gesellschaft zu leiden hatten, all das erzählt Ada im kindlichen Plauderton und erreichte damals wie heute die Herzen ihres Publikums.
Einen maßgeblichen Beitrag zum Gelingen der Inszenierung trägt Georg O. Luksch mit seinen musikalischen Impressionen bei. Mit elektronischer Unterstützung erklingen Volksweisen, bedrohlich wirkende Klänge oder Charakteristiken einzelner Personen wie jener eines eitlen Opernsängers. Wenige Takte von Chopins Regentropfenprelude, das zarte Zwitschern eines Kanarienvogels oder das unheimliche, rhythmische Klopfen einer vermeintlichen, männlichen Bedrohung – dies alles und mehr unterstützen die Erzählung meisterlich.
Man möchte von jener Frau mehr lesen, die sich vom „nichtsnutzigen Ding“, wie sie der Hausherr in der Kinderzeit beschimpfte, zu einer zu ihrer Zeit bekannten Schriftstellerin hocharbeitete. Dass dies der Fall ist, ist dieser Inszenierung zu verdanken, die es verdienen würde, noch viele Abende gespielt zu werden. Nicht nur im kleinen Theaterraum des Gleis 21.