Eiskalt erwischtPiégée



piturrino 21

Piturrino fa de Music (c) DR

Was Carles Santos bei seinem Auftritt im Le-Maillon im Jänner gelungen ist, gelang vor ihm nur wenigen. Mich als Musikkritikerin nämlich eiskalt zu erwischen. Aber vielleicht doch lieber eins nach dem anderen. Sonst wäre diese Kritik ja auch schon wieder zu Ende.

Der 1940 geborene Katalane, bekannt für seine, lassen Sie es mich salopp ausdrücken, völlig unorthodoxe Art Musik zu machen und diese auch mit Theater zu verbinden, gilt als Künstler, dem man nicht trauen darf und der alle Regeln bricht, wenn er sie denn auch nur brechen kann.

So gesehen hätte ich ja gewarnt sein sollen, was seinen Auftritt in Straßburg betraf. Ihn inbegriffen, zählte man auf der Bühne genau ein Dutzend Musik machender Menschen, die sein Werk „Piturrino fa de music“ aufführte. Sie alle steckten, wie sich noch herausstellen sollte, unter einer Decke, inklusive dem Dirigenten Xavier Piquer, der ebenfalls zu den „Kollaborateuren“ zu zählen ist.

1 Stunde 10 Minuten sollte das Konzert laut Ankündigung dauern. Und das war auch tatsächlich so. Eine ganze Stunde lang lauschte ich andächtig den musikalischen Einfällen von Carles Santos und seinem Orchester, bestehend aus 4 Streichern, 5 Blechbläsern, 2 Percussionisten und ihm selbst am Klavier. Ich notierte brav eine Themenreihe nach der anderen, leitete im Kopf ab, wo seine Vorbilder zu finden sind usw. usw. usw. und kam mir noch enorm gescheit dabei vor. Beginnend von den Streichquartetten der zweiten Wiener Schule, über Dadaeinsprengsel, Anklänge an die Minimal-Art-Musik, bis hin zu Xenakis-Affinitäten sowie symphonischen Kleinarbeiten mit romantischen Wurzeln schrieb ich nieder, was ich hörte. Und zwischendrin mal, kurz, befiel mich ein sehr komisches Gefühl. Das sagte mir: Halli, hallo, ich sitze ja in einer Aufführung von Carles Santos, da sollte es doch noch ein wenig anders zugehen als in einem Konzert für zeitgenössische Musik! Aber wie das so ist im Leben, auf Bauchgefühle sollte man eigentlich hören und tut man das nicht, dann kann man sich schon mal auf allerlei Turbulenzen vorbereiten. Kurzum: ich tat es nicht und überging mein Bauchgefühl mit Bravour.

Und Turbulenzen waren es auch, die das Konzert, in dem einige ganz Nervöse schon nach einer halben Stunde begonnen hatten auf die Uhr zu sehen, schließlich zu Fall brachten.  Denn plötzlich, wie aus dem heiteren Himmel, ungefähr 10 Minuten vor Schluss, begann Santos zu brüllen, auf sein Klavier einzudreschen und immer wieder dieselbe spanische Parole  mitsamt seinen Kolleginnen und Kollegen zu skandieren. Die offene Revolution schien ausgebrochen, die „Publikumsbeschimpfung“ von Peter Handke – in Musik umgesetzt – feierte fröhliche Urstände. So rasch einem der Mund aufgegangen war – so schnell ging er auch nicht mehr zu; denn: dann wurde mit Platzpatronen in die Luft geschossen, was das Zeug hielt, eine Glasscheibe ging zu Bruch, ein weißer Sack mit unbestimmtem Inhalt wurde vom Schlagzeuger aus quer über die Bühne geschleudert, sodass eine Geige fast daran zerbrach und auch der Dirigent war sich nicht zu schade, bei dem infernalischen Getöse brav mitzumachen und zum Publikum gewandt, in dasselbige zu brüllen. Nach einer anfänglichen Schrecksekunde war allen die Komik der Situation bewusst geworden und so ergötzte man sich ausgiebigst in den kommenden Minuten am allgemeinen Chaos auf der Bühne. Nachdem der im allgemeinen Tohuwabohu noch rasch aufgezogene Stoffhund seinen letzten elektronischen Beller getan hatte, die letzte Platzpatrone verschossen und der Schlussakkord verklungen war, begann das Publikum hemmungslos zu applaudieren.

Und genau das zeigt, wie klug, wie gerissen und wie berechnend Santos seinen Abgang geplant hatte. Ganz nach dem Motto: Habt ihr nicht bemerkt, in welchem musikalischen Lügengebäude ihr euch befunden habt? Na, dann muss ich euch aus demselben mal kräftig aufwecken! In Sekundenschnelle gelang ihm die Zerstörung des theoretischen Gedankengebäudes rund um das bis dahin manierlich aufgeführte Werk. Action speaks louder than words heißt ein englisches Sprichwort. Bei Santos kann man es getrost umwandeln in action speaks louder than music! Denn, und das ist es, womit er bei diesem Stück so extrem spielt: Was dem Publikum tatsächlich ganz offenkundig gefallen hat, an diesem Abend, war das Chaos nach der Musikinterpretation. War die Zerstörung der Konzertillusion, die Aufhebung allen Ernstes und damit auch verbunden die Absolution, etwas während der musikalischen Darbietung nicht verstanden zu haben. Aus diesem Gefühl heraus wurde gewiss von vielen dankbarer als dankbar geklatscht. Obwohl – und hier zeigt sich die Größe des Künstlers, seine zuvor interpretierte Musik tatsächlich mehr verdienen würde als nur kleine Hinweise. Gelang es ihm doch in dieser einen Stunde Bilder zu evozieren, wie zum Beispiel die Konversation zweier Menschen, Erinnerungsfetzen an längst vergangenen Zeiten, den wilden Ritt über ein weites Land, aber auch Gefühle wie Melancholie oder aber pure Fröhlichkeit bei den Zuhörerinnen und Zuhörern hervorzurufen. Kunstvoll begannen sich ab dem Mittelteil seine zuvor einzeln vorgestellten Themen miteinander zu verbinden. Eloquent machte er klar, dass er in der Musikgeschichte bewandert ist und sich auch im symphonischen Tonsatz auskennt. Ob Blasmusik oder Streichquartett, alles schüttelte Santos zuvor aus seinem kompositorischen Ärmel. Um – wie schon gesagt – mit einem Tusch, Bumm und Krach das ganze Gebilde zum Schluss über die dunkle Kellertreppe zu stürzen.

Wer glaubt, damit hätte es sich nun gehabt, irrt noch mal, denn als Zugabe spielte das Orchester mit dem klingenden und für Menschen mit einem ausgeprägten Zahlengedächtnis leicht merkbaren Namen BCN216 Santos kunstvollste Stelle noch einmal. Darin war ihm in raschem, galoppierendem Tempo ein wunderschöner Rückgriff in das romantisch-symphonische Fach gelungen. Die Bipolarität dieser Aufführung, die sich in ihrer ganzen Dimension ja erst in den letzten Minuten offenbarte, sich aber eigentlich schon im Titel „Piturrino spielt einen Musiker“ Aufmerksamen zeigen hätte müssen, kann auch als originäre Charaktereigenschaft des Künstlers Carles Santos verstanden werden, der sich offenkundig trotz allen Harmoniebedürfnisses in der Dekonstruktion sauwohl fühlt.

Was übrig blieb von diesem Abend: Die Erkenntnis, noch am Nachhauseweg, einmal von einem Künstler intellektuell wirklich „eiskalt“ erwischt worden zu sein. Ein außerordentliches, aber tatsächlich wunderbares Gefühl, wenn man über seine eigene Kurzsichtigkeit stolpert und darob aus dem Lachen nicht heraus kommt.  Danke Santos!

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Piturrino fa de Music (c) DR

Au mois de janvier, Carles Santos a donné un concert au Le-Maillon à Strasbourg. Le compositeur a réussi ce que peu de personnes ont réussi avant lui : il m’a piégée ! Moi, la critique de musique ! Mais mieux vaut procéder dans l’ordre, sinon cette critique serait finie avant d’avoir commencé…

Le catalan né en 1940 est connu pour sa façon, disons «peu orthodoxe», de faire de la musique. Il réunit musique et théâtre et passe pour être un artiste qui rompt, dès que l’occasion se présente, avec toutes les règles en vigueur. C’est donc quelqu’un dont il faut se «méfier».

Vu sous cet angle, j’aurais du être prévenue en me rendant à son concert. 12 musiciens dont Santos ont été réunis sur scène pour jouer l’œuvre du compositeur intitulée «Piturrino fa de music». Plus tard dans la soirée il s’avérerait que tous sans exception faisaient partie du complot  – même Xavier Piquer, le chef d’orchestre.

Selon le programme, le concert devait durer un peu plus d’une heure, 1 heure et 10 minutes pour être exacte.  Et effectivement, cela semblait être le cas. Pendant une heure j’écoutais attentivement la musique de Carles Santos, jouée par l’orchestre qui était composé de 4 instruments à cordes, 5 instruments à vent, 2 percussionnistes. Le compositeur lui-même était au piano. Bien sagement j’ai pris note de tous les thèmes, les uns après les autres ; j’ai cherché les sources d’inspiration du compositeur etc.. etc.. Dans l’ensemble, j’étais très contente de moi : J’ai reconnu sans problème les quatuors à cordes de la seconde école de Vienne, j’ai identifié les éléments dadaïstes, la «minimal-art-musique» jusqu’aux affinités que manifeste le musicien avec Xenakis. Les détails du travail symphonique aux racines baroques ne m’ont pas échappés non plus. J’ai noté tout cela consciencieusement même si, à un moment donné, ma petite voix intérieure m’a fait remarquer que je me trouvais dans un concert de Carles Santos et qu’en principe les concerts le Santos ne ressemblent pas aux autres concerts de musique contemporaine – loin de là !

Et comme c’est souvent le cas dans la vie, il s’avère qu’il faut écouter sa voix intérieure davantage, car si on l’ignore, on peut s’attendre à toutes sortes de turbulences. Bref : j’ai ignoré superbement la petite voix qui a essayé en vain de me dire quelque chose. Et finalement ce furent bien des turbulences qui ont précipité la fin de ce concert que certains ont trouvé long au bout d’une petite demi-heure déjà !

Brutalement, environ 10 minutes avant la fin «programmée», Santos a commencé à hurler et à taper sur son piano comme un fou. Avec ses collègues musiciens il scandait encore et encore les mêmes mots en espagnol. Une révolution semblait s’être déclenchée sans crier gare, la version musicale de «Outrage au public» de Peter Handke était en train de s’abattre sur le public abasourdi. Tout le monde est resté bouche bée et ces bouches ouvertes ne se sont pas refermées aussitôt : il y a eu des tirs à blanc en l’air auxquels d’ailleurs une vitre n’a pas résistée. Un sac blanc au contenu non identifié, balancé à travers la scène par le batteur, a failli casser le violon. Le chef d’orchestre n’était pas en reste et hurlait autant que les autres en direction du public médusé. Les premières secondes d’effroi passées, les auditeurs prirent conscience du comique de la situation et étaient ravis. Finalement, après cette pagaille générale, après le dernier aboiement électronique d’un chien en peluche, après le dernier pétard et le dernier accord, les applaudissements ne semblaient plus vouloir prendre fin.

Voilà comment Santos avait planifié sa sortie : vous n’avez pas remarqué dans quel mensonge musical je vous ai entraînés ? Non ? Dans ce cas il faut que je vous réveille bien fait, vite fait !  En l’espace d’une seconde il a réussi à détruire toute la structure théorique édifiée autour de cette œuvre jouée «comme il se devait» jusqu’à ce moment précis. « Action speaks louder than words » (l’action parle plus fort que les mots) est un dicton anglais bien connu. Chez Santos on peut le transformer en «action speaks louder than music». Il a emmené son public très précisément sur ce terrain et la salle a adhéré : Ce que les auditeurs ont apprécié par-dessus tout ce soir là, c’était le chaos après la musique. C’était la destruction de l’illusion créée par le concert, l’éradication de tout sérieux et l’absolution de ne pas avoir tout compris tout de suite. C’est certainement cette reconnaissance qui a incité la plupart des personnes assise dans la salle à applaudir aussi frénétiquement. Même si, et c’est la preuve que Santos est un immense artiste, la musique interprétée auparavant mériterait mieux : Pendant une heure, elle a évoqué des images chez l’auditeur, comme par exemple la conversation entre deux personnes, des bribes de souvenirs d’un passé lointain, une chevauchée sauvage à travers un paysage sans limites. Et sa musique a fait naître des émotions, telle la mélancolie et la joie. A partir du milieu du morceau ces différents thèmes commencèrent à se lier entre eux et à s’entrelacer artistiquement les uns avec les autres. Santos a fait comprendre avec éloquence que ni l’histoire de la musique, ni l’art de la composition symphonique, n’a de secret pour lui. Le compositeur a sorti de son «chapeau musical» tous azimuts: la musique pour instruments à vent et le quatuor à cordes pour finir par précipiter le tout dans un vacarme indescriptible  dans des profondeurs insondables.

Et si on pensait avoir tout entendu, on s’est trompé encore une fois ! Le bis de l’orchestre au titre «poétique» BCN216fut sur le plan artistique le plus beau passage de l’œuvre. Ce passage n’est rien d’autre qu’un regard en arrière, en direction de la symphonie romantique.

Le coté bipolaire de cette représentation est certainement la première caractéristique de l’artiste Carles Santos. Malgré son besoin d’harmonie, il se sent comme un poisson dans l’eau dans la déconstruction, même si on n’en a eu un aperçu qu’à la fin du concert. Cela dit, le titre de l’œuvre «Piturrino joue un musicien» aurait du mettre la puce à l’oreille de plus d’un.

Ce qui reste après cette soirée : Le sentiment de m’être fait avoir en toute beauté sur le plan intellectuel par un artiste ; c’est un sentiment extraordinaire et merveilleux : quand votre propre aveuglement vous fait trébucher et qu’ensuite on peut en rire sans fin. Merci Santos !

Texte traduit de l’allemand par Andrea Isker.

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