Es könnte nicht dramatischer beginnen. Zu einem indifferenten Sound fährt das Licht auf der Bühne leicht hoch und zeigt eine kauernde Frau mit langen, blonden Haaren am Boden eines geschlossenen Glaskubus. In diesem kleinen Raum beginnt ihr Körper, getaucht in tiefrotes Licht, zu leuchten. Der rhythmisierte Herzschlag, der nach wenigen Augenblicken zu hören ist, bringt Bewegung in den bis dahin leblos wirkenden Leib. Er beginn zu zucken, wie durch Stromschläge angetrieben, unregelmäßig und wie unter Schmerzen. Dahinter, mit einem Video an die Wand projiziert, sieht man Wahl im Zustand höchster Erregung. Sie schreit, sie schimpft, sie ist offensichtlich außer sich. Das alles kann man in der Großaufnahme gut erkennen, obwohl es dazu keinen Ton gibt. Währenddessen pocht im Raum, über den Lautsprecher eingespielt, weiter ein Herz und zuckt der Rumpf der Tänzerin im Glaskubus weiter vor sich hin.
Der Körper als Skulptur, Emotionen und Tanz
„Void“ – die Leere, nennt sich das Stück, das Wahl gemeinsam mit dem bildenden Künstler Robert Fleischhanderl erarbeitete. Tatsächlich handelt es sich dabei um eine permanent oszillierende Performance. Kaum hat man sich in die skulpturalen Körperposen der Tänzerin fallen gelassen, sie visuell aufgesaugt, kippt das Geschehen ins Emotionale. Die Geschichte, von ihr selbst erzählt, kommt ebenfalls vom Band. Obgleich in einem speziellen Umfeld angesiedelt, können sich darin auch all jene wiederfinden, die als Kinder ein Leben abseits der Norm führen mussten. Hat man sich dem Betroffenheitsgefühl ergeben, das sich durch Wahls Erzählung einstellt, sind es aber schon wieder die tänzerischen Momente, die faszinieren und sogar betören.
Das ständige Schaukeln zwischen den unterschiedlichen Befindlichkeiten haben Wahl und Fleischhanderl in dieser Inszenierung perfektioniert. Der abgelutschte Begriff „Multimedia“ wird hier mit prallem Leben gefüllt. Projizierte Fotos, aus den 70er und 80er Jahren, in Schwarz-Weiß, zeigen zwei Mädchen, die auf einem Bauernhof in der Toskana in einer Kommune aufwuchsen. Fröhlich blicken sie in die Kamera, aber wenn man Wahls Schilderung Glauben schenken darf, erlebte sie keine „kindliche Glückseligkeit“. „Wir hatten kein Geld. Wir waren arm. Wir waren die Ausländer.“
Vom Nullpunkt hin zur Apotheose
Der Anfangszustand im engen Kubus symbolisiert ein psychisches Befinden nach einem Zusammenbruch, bei dem man sich wie „ein Stein unter Wasser“ fühlt; Leblos, zu nichts mehr fähig, willenlos, ohne Kraft. Erst nach und nach erwacht die Performerin aus der Lethargie, erkennt ihre ausweglose Situation und schwankt lange zwischen Rebellion, unbändiger Trauer, Wut und nicht enden wollendem Schmerz. Gebeutelt, eingesperrt, vergeblich nach Halt suchend, die Hände und Füße immer wieder an die Wände pressend, kann man ihren erzwungenen Zustand ohne Anstrengung empathisch nachvollziehen. Das Publikum befindet sich dabei in einer ausweglosen Beobachterposition. Die Nacktheit der Tänzerin, die schonungslos vorgeführt wird, macht alle zu Voyeuren. Zu Zusehern, die nicht eingreifen wollen oder eingreifen können. Für Letzteres sorgt die gläserne Behausung. Wahl ist alleine mit sich selbst, alleine in ihrem Käfig, in ihrem Miniaturraum, der es ihr nicht einmal ermöglicht, aufrecht zu stehen.
Erst als bei ihr eine Zeit der Reflexion einsetzt, bei der sie sich am Boden sitzend introspektiv ihren Erinnerungen hingibt, beruhigt sich ihr Zustand. Auch die Musik, die sich anfangs von einer Geräuschkulisse hin zu einem zeitgeistigen Wohlfühlsound verwandelte, spiegelt ihren Zustand wider. Nach Klangfetzen aus der Pop- und Reggie-Kultur der 80er-Jahre, setzt eine zarte Klaviermelodie ein. Albert Castello und Nego Yokte steuerten die illustrierende Musik bei, Roland Guggenbichler das clevere, zeitweise rätselhafte Sounddesign. Mit einer extrem ästhetischen Choreografie lässt die Tänzerin für eine ganze Weile nun die Enge des Kubus vergessen. Sie dreht, auf ihren Schulterblättern gestützt, am Boden ihre Runden und tupft, ganz im Takt der zarten Klavierklänge, mit ihren Zehen an die gläserne Decke. Das ist zeitgenössischer Tanz vom Allerfeinsten. Eine Sequenz, die nicht lang genug sein kann, die man immer wieder gerne sehen möchte. Das Grätschen, das Anziehen und Ausstrecken ihrer Beine, die Aufnahme des Rhythmus durch diesen, in seiner Bewegung so eingeschränkten Körper, erreicht hier eine Transparenz, eine Leichtigkeit, die ätherisch anmutet. Die Schritte, die sie mit ihren Füßen an der Glasdecke vollführt, lassen die Schwerkraft vergessen. Die Nacktheit spielt keine Rolle mehr, wird zur Conditio sine qua non, zur unumstößlichen Bedingung. Das Ecce-homo-Motiv, das sich zuvor so intensiv immer und immer wieder aufdrängte, ist vergessen. Was jetzt zu sehen ist, ist eine Apotheose. Die kreative Transformation, die aus Elend und Leid zu einer unantastbaren und atemberaubenden Schönheit eines körperlichen und zugleich auch geistigen Zustandes führt.
Die Begrenzung wird zur kreativen Herausforderung
Der Friede, den Wahl offensichtlich mit den Gegebenheiten geschlossen hat, hält an. Auch in der letzten, tänzerischen Sequenz gibt es keinen Kampf gegen räumliche Begrenzungen mehr. Vielmehr setzt sie nun Ideen um, ihren Körper in sitzendem Zustand zum Tanzen zu bringen. Dabei streckt sie die Arme und Beine so aus, dass von den Finger- und Zehenspitzen noch genügend Platz zur nächsten Glasscheibe bleibt. Ihre langen Haare bekommen die Qualität eines eigenen Körperteiles, der in die Choreografie mit einbezogen wird. Der Raum wird nun zur Möglichkeit, neue, bislang unbekannte Kräfte freizusetzen. Was zuvor unerträglich schien, wird zur spielerischen Herausforderung, die eine neue Ästhetik freisetzt.
Die lange Video-Fahrt über ein abgeerntetes Feld, welche die letzte Szene begleitet, hat etwas Befreiendes an sich. Keine Grenzen, keine Menschen sind sichtbar, nur eine beständige Bewegung nach vorne in den weiten Landschaftsraum wird mit der Kamera vollzogen.
„Void“ beeindruckt mit seinen vielen, unzähligen, vielleicht beinahe unzählbaren Körperpositionen. Sie stellen ein wahres Kompendium an Bewegungsmaterial dar, dass nicht nur von Tänzerinnen, Tänzern und Choreografen mit Handkuss aufgenommen werden kann. Auch die Kolleginnen und Kollegen der bildenden Kunst müssten ihre wahre Freude daran haben. Rodin´sche Körpermassen werden dabei ebenso abgebildet wie verstümmelte und fragile menschliche Körperteile – je nachdem, von welchem Winkel aus man auf die Tänzerin blicken kann. Die sensible Lichtführung (Markus Schwarz) verstärkt und unterstützt zugleich diese visuellen Sensationen.
Es gibt wenige Tanzperformances, in welchen die Balance zwischen Erzählung und Abstraktion so ausgewogen funktioniert wie bei dieser Gemeinschaftsarbeit zwischen Wahl und Fleischhanderl. Wenige, in welchen der Körper zugleich als starkes, skulpturales aber zugleich auch tänzerisches Element wahrgenommen werden kann. „Es wäre toll, wenn wir das Stück im Untergeschoß vom Leopoldmuseum aufführen könnten“ – O-Ton Fleischhanderl.
Dort gehört es auch hin.
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