Stellen Sie sich vor, Sie sehen ein Theaterstück, in welchem fünf Männer auftreten, die sich „Rechte Patrioten“ nennen und coram publico ihre Ideologie mit Vehemenz vortragen und verteidigen.
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Stellen Sie sich vor, Sie sehen ein Theaterstück, in welchem fünf Schauspieler in die Rolle von sogenannten „Rechten Patrioten“ schlüpfen und coram publico deren Ideologie mit Vehemenz vortragen und verteidigen.
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Wie schreibt man eine Theaterkritik, die man eigentlich nicht schreiben will?
Die Produktion Violenza 2025 offenbart ein Dilemma der Kulturberichterstattung, das sich aus der Frage ergibt: Soll man rechtem Gedankengut überhaupt eine Bühne offerieren?
Violenza 2025, eine Auftragsarbeit des Steirischen Herbst 2025, macht das, was gute Kunst machen soll: Die theatrale Performance ,in der es um die Erstarkung der Rechten geht, wühlt emotional auf und evoziert Fragen über Fragen, auf die es letztlich keine schlüssigen Antworten gibt. Sie befasst sich mit einem Thema, von dem man als kulturaffiner Mensch noch vor wenigen Jahren nicht dachte, jemals damit konfrontiert zu werden: Mit rechtem Gedankengut, das nicht von Wölfen mit Kreidestimmen verbreitet wird, ganz im Gegenteil. Fünf junge Männer, zwei aus Deutschland, drei aus Österreich, die sich selbst als ‚Rechte Patrioten‘ bezeichnen, haben unter Mitwirkung eines dreiköpfigen Regie-Teams einen Auftritt erarbeitet, in dem sie sich nicht scheuen, hasserfüllte, fremdenfeindliche Parolen zu brüllen und zu Gigi D’Agostinos Song ‚L’amour toujours‘ ‚Ausländer-raus-Parolen‘ zu skandieren, dass ihnen beinahe die Stimme versagt.
Foto: steirischer herbst / Clara Wildberger
Jakob, Lukas, Max, Nick und Rafael – so ihre vielleicht richtigen Vornamen, oder auch nicht – mit Nachnamen wollten sie im Programmheft offenkundig nicht genannt werden – wurde eine Bühne geboten, die es in sich hat. ‚Wir wissen, dass unser Publikum eher linksgerichtet, bourgeois ist‘, so Kurator Gábor Thury beim Publikumsgespräch nach der ersten Vorstellung. Auf der Suche nach kontroversen Formaten entstand die Idee, dieses Publikum mit Mitteln des Theaters wachzurütteln und vorzubereiten,auf das, was politisch in nicht allzu ferner Zeit unter Umständen geschehen könnte. Eneas Prawdzic, Pankaj Tiwari und Michiel Vandevelde teilten sich die Regiearbeit und halfen, in ein Stück zu fassen, was unfassbar ist.
Wenn das, was die fünf Männer von sich gaben, nur Theater wäre, dann wäre das Schreiben einer Kritik relativ einfach. Denn das Fazit wäre: Violenza 2025 ist ein sehr gut gemachtes Stück, mit brillanten Darstellern, die so professionell spielen, dass es einem alle Nackenhaare aufstellt. Ihre Aussagen kommen so ungefiltert über die Bühnenrampe, ihr Hass ist so direkt spürbar, ihre ideologische Verblendung, die sie selbst nicht wahrnehmen können, auf so dünnen, brüchigen Beinchen stehend, dass man sich ernsthaft fragt, wie man all diese rechten Versatzstücke, zusammengebastelt aus unterschiedlichsten historischen Quellen, denn auch nur einen Moment wirklich glauben kann.
Der letzte Absatz ging von der konjunktiven Prämisse aus: Was wäre wenn. Das Schockierende jedoch ist: Die Boygroup, die auf einer erhöhten Bühne einem mehr oder weniger stummen Publikum gegenüberstand und das auch noch an einem zweiten Abend ttat, besteht nicht aus Schauspielern, die Rollen eingelernt haben. Das, was sie von sich geben, meinen sie ernst, todernst. Und sie freuen sich, dies tun zu können, ohne dass sie rechtliche Konsequenzen fürchten müssen. Sie wissen, dass sie mit ihren Aussagen provozieren, halten diese Provokation jedoch für gerechtfertigt und notwendig.
Und hier wird das Dilemma der Berichterstattung erkennbar. Gibt man wieder, was man gehört und gesehen hat und setzt man mit einer reflektierten Aufarbeitung ein, bietet man den Herr-schaften eine weitere Bühne. Nicht genug, dass ihnen dieser Auftritt eine enorme Bestätigung ihres Tuns bereitet haben wird – dies ist eine Mutmaßung, die auf eigenen Bühnenerfahrungen beruht. Nicht genug also, dass diese Guys erfahren durften, dass ihr angeblicher Erzfeind – das linke, bourgoise Publikum des Festivals – ihr Tun nach dem Finale noch beklatschte, anstelle, wie sie vielleicht erwarten konnten, sie ausbuhte oder beschimpfte, nein, mit dieser Berichterstattung würde man selbst noch dazu beitragen, sie in ihrem Hass und in ihrer Ideologietreue vehement zu bestärken.
Was also wirklich tun? Wie mit einem Format umgehen, das informieren und wachrütteln und dazu anzustoßen möchte, gegen diese politische Entwicklung tätig zu werden, ihr zugleich aber eine Plattform bietet, die ihresgleichen sucht?
Was mit Sicherheit feststeht, ist, dass der Steirische Herbst mit dieser Idee und seiner Ausführung genau das tut, was seine ureigenste DNA ist: Durch künstlerische Aufarbeitung auf Entwicklungen aufmerksam zu machen, welche die Gesellschaft spalten. Zur Erinnerung gebracht werden kann hier das Plakat aus dem Jahr 1972, in welchem „ein Experiment der pool-Gruppe, bei dem Freizeitgruppen Grazer Industrieunternehmen ein herbst-Poster gestalten sollten, für einen Skandal (sorgte). Der ausgewählte Entwurf vom Fotoklub der Puch-Werke zeigte einen korpulenten Testfahrer in Lederjacke von hinten beim Hose-Richten. In Zusammenhang mit dem Slogan „Auf, zum steirischen herbst!“ wurde die Geste jedoch schnell von herbst-Gegnern und Presse in ein „Hose runterlassen“ uminterpretiert und provozierte gar tätliche Übergriffe, die einmal mehr darauf zielten, die gesamte Veranstaltung zu denunzieren. (nachzulesen und zitiert von den Archiv-Seiten des Steirischen Herbstes)
Drei Jahre später schaffte es Wolfgang Bauers „Gespenster“ – genauer gesagt die Fernsehausstrahlung aus dem Schauspielhaus in Graz, zu einem Skandal. Abermals fühlten sich Gemüter erhitzt und so manch zartbesaitete Seele,japste nach unbeschmutzter Kulturluft.
Hans Haackes Stadtinstallation im Jahr 88 mit dem Titel ‚Und ihr habt doch gesiegt‘ schaffte es gar, dass Fanatiker die Ummantelung der Mariensäule, getreu jener nachgebaut, die 1928 anlässlich Hitlers Fahrt durch die Herrengasse erbaut wurde, abfackelten. All dies gut hier https://austria-forum.org/af/Wissenssammlungen/Damals_in_der_Steiermark/steirischer_herbst nachzulesen in einem pointierten Artikel von Dr. Robert Engele.
Und Violenza 2025? Hat die Produktion das Zeug zum Skandal? Hier sei der jahrzehntelange Präsident Kurt Jungwirth zitiert, der in einem Interview vor einigen Jahren sinngemäß sagte, dass man darüber diskutieren sollte, was Kunst kann, soll und darf. Dass eine Diskussion nicht unbedingt einen Skandal auslöst, ist bekannt. Bei wem aber könnte diese Produktion überhaupt einen Skandal auslösen? Beim Publikum, das sich einem gewissen Kulturpessimismus bereits ergeben habend, klatschend dafür bedankte, einmal live miterlebt zu haben, was eine angebliche Mehrheit oder die ‚gesunde Volksseele mit ihrem gesunden Menschenverstand‘ landauf, landab so denkt? Wohl kaum. Weder bei jenen Menschen, die im Saal anwesend waren, noch bei jenen, die vom Ensemble von ihrem Auftritt in Kenntnis gesetzt wurden, haben diese doch erreicht, was sie sich im Traum nicht hätten ausdenken können.
Ergänzend dazu könnte, sollte und müsste man fragen: Überwiegt der aufklärerische Nutzen für das Publikum, das sich, so wurde es einem an diesem Abend zumindest vermittelt, wenig um rechte Strömungen Sorgen macht, jenem, welche die Protagonisten auf der Bühne für sich in Anspruch nehmen können? Ist es legitim, mit künstlerischen Mitteln aufzuzeigen, wie die Sehnsucht nach einer verlorenen Zeit, in welcher angeblich alles besser war, junge Männer dazu antreibt, rechten Verführern faktisch willenlos ins Netz zu gehen und wiederzukäuen, was ihnen von ihren Eliten, die sie nie als solche bezeichnen würden, indoktriniert wird?
Was aber bleibt, Skandal hin oder her, nach dieser Produktion? Mit großer Wahrscheinlichkeit Unbehagen. Mit Sicherheit bei all jenen, die versuchen, aus der Geschichte zu lernen und daher wissen, wohin eine menschenverachtende Hetze führen kann. Sie wird bei all jenen bleiben, die jedoch an diesem Abend im Orpheum nicht fähig waren, dem grausamen Treiben auf der Bühne etwas entgegenzusetzen. Die feinen Lacher, die an einigen Stellen zu vernehmen waren, waren der einzige hörbare Ausdruck von Widerstand. Ein Widerstand, der sich nicht grobschlächtiger Beschimpfungen bedient, sondern der aufzeigt, dass der Horror einer erträumten Weltherrschaft eine Lächerlichkeit beherbergt, die in Zeiten wie diesen noch gesehen wird. Letztlich aber, wenn es um tatsächliche Machtausübung von Menschen mit dieser Ideologie geht, und auch das lehrt die Geschichte, letztlich einem das Lachen im Hals stecken bleiben wird. Provokation mit Provokation zu beantworten, ist keine gute Idee. Rechtem Hass linken entgegenzusetzen, auch nicht. Und wer, stellt sich die Frage, ist in der Lage, jenen klugen Weg zu gehen, den eine Frau aus dem Publikum bei einem informellen Gespräch zum Besten gab und der hier nur angerissen werden kann. Hat sie sich doch in ihrer Jugend mit Erfolg darum bemüht, junge Männer aus dieser Szene loszueisen. Durch Gespräche, die von Empathie geprägt waren und in welchen die Nöte und Wünsche der jungen, rechten Patrioten ernst genommen wurden. Zugleich gelang es ihr aber auch aufzuzeigen, warum sie sich zum eigenen Schaden auf einem Irrweg befanden, der in einer Sackgasse endet, aus der es kein Entrinnen mehr gibt. Dass junger, weiblicher Charme dabei ein Türöffner war, soll explizit erwähnt werden.
Die Regieführenden hätten keinerlei Zensur ausgeübt, war es zu vernehmen, sonst hätten die Beteiligten nicht mitgemacht. Sehr wohl aber wurden theaterwirksame Vorgehensweisen eingesetzt, die man von Profis gewohnt ist, als da wären: Wie zieht man das Publikum möglichst rasch auf seine Seite? Wie verstört man es nachhaltig? Wie dreht man eine gekonnte Schluss-Pirouette? Gerade die letztgenannte Umsetzung muss jedoch scharf kritisiert werden. Denn die Rezitation eines Textes von Ernst Toller, Autor und Linkspolitiker während der Räterepublik in Deutschland, der nach fünfjähriger Haft in die USA emigrierte, leitete das Publikum auf eine falsche Fährte. Nicht nur, weil, wie in den Herbst-Publikationen zu lesen, Tollers politische Satire ‚Nie wieder Frieden‘ als Ausgangspunkt des diesjährigen Themenschwerpunkts diente. Die Anklage, die in dem Text direkt ausgesprochen wird, dass sich die Menschen vor drohendem Unheil lieber wegducken und vergraben als sich dagegen aufzulehnen, konnte auch als direkter Publikumsangriff gedeutet werden. Wer Peter Handkes Arbeiten kennt, dem ist die ‚Publikumsbeschimpfung‘ ein Begriff, die nach Tollers Rede vom deklamierenden, jungen Mann in eigenen Worten tatsächlich noch verschärft wurde.
Es mag wohl dieser Regiekniff gewesen sein, der so etwas wie eine literarisch-zivilisierte Versöhnungsgeste bereithielt, eine kleine Beruhigungspille, die gerne geschluckt wurde, jedoch zu welchem Preis? Wer danach zu klatschen begann, und es waren nicht wenige, konnte sich der Tragweite des Geschehens nicht bewusst gewesen sein.
Was aber wäre, wenn?
An dieser Stelle sei ein Gedankenexperiment erlaubt.
Was, wenn die künstlerischen Verantwortlichen das Publikum hinters Licht führten? Was, wenn tatsächlich gecastete Schauspieler auf der Bühne standen, aber diese Tatsache nicht kommuniziert wurde, ganz im Gegenteil, auch auf Nachfrage die Illusion aufrechterhalten wurde, dass sich hier fünf rechtsradikale junge Männer präsentierten?
Man mag sich dieses Szenario nicht wirklich vorstellen, denn das wäre mehr als ein Vertrauensbruch dem Publikum gegenüber. Man könnte – und da gibt es nichts zu beschönigen – diese Lüge nicht mit künstlerischem Willen oder künstlerischer Freiheit rechtfertigen. Nicht nur, dass Lügen kurze Beine haben – sprich in einem Fall wie diesen, mit einer ganzen Phalanx an Mitwissern die Wahrscheinlichkeit extrem hoch ist, dass die Wahrheit einmal ans Licht kommt. Es würde hinter dieser Entscheidung, die aus künstlerischen Gründen ziemlich sicher die Schreckmomente und den Schock über das Gesehene verstärken wollte, etwas ins Wanken kommen, das bislang am Theater ein ungeschriebenes Gesetz war. So aufregend, so nervenzerreißend eine Inszenierung auch immer angelegt ist, dass sich dahinter der Wille zu unterhalten, aufzurütteln oder weiterzubilden steht, davon durfte man bisher in Demokratien ausgehen.
Eine politische Strömung jedoch so zu präsentieren, dass man davon ausgehen muss, Proponenten derselben zu sehen, die es gar nicht sind, ist ein Attentat auf die Redlichkeit, mit der Theater gemacht werden sollte. Es stellt eine bewusste Irreführung dar, bei der der bereits genannte Zweck die Mittel in keiner Weise heiligt. Man müsste sich mehr als angeekelt von dieser Manipulation abwenden und an unterster Stelle eine ausführliche Entschuldigung erwarten können, in der die künstlerische Freiheit mit keinem Wort Erwähnung finden dürfte. Ironischerweise müsste man dieses Tun auch noch als ‚cultural appropriation‘ bezeichnen, etwas, das gerade von kritischen Kultur- und Gerechtigkeitsbewegungen propagiert wird. Wenn der Vorsatz, das Publikum bewusst aufs Glatteis zu führen, tatsächlich stimmt, dann wäre etwas gewaltig ins Rutschen geraten, über das man nicht nur ausgiebigst diskutieren sollte, sondern gegen das man vehement auftreten müsste.
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Naziparolen und ein Publikum, das stillhält
In Violenza 2025, einer Auftragsarbeit des Steirischen Herbst an Eneas Prawdzic, Pankaj Tiwari und Michiel Vandevelde, wird die Bedrohung unserer Gesellschaft durch das Erstarken der Rechten aufgezeigt. Auch, wie junge Männer in diesem politischen Umfeld eine Heimat zu finden glauben und alles, was nicht in das zusammengebastelte Weltbild passt, grundsätzlich als zu bekämpfen ansehen.
Die Stehsätze der rechten Agitatoren über das Problem, dass Asylsuchende mehr Geld bekämen als arbeitende Menschen in Österreich, sind hinlänglich bekannt. Ebenso die verbale Trennung zwischen ‚denen da oben, den Eliten‘ und ‚uns da unten‘ wie die Verbreitung der Ansicht, ständig zensuriert zu werden und keine freie Rede mehr halten zu dürfen. Dass ein Mann kein Mann mehr sein darf und Frauen sich doch gerne zuhause um ihre Kinder und ihren Mann kümmern würden, all dies legte das Regietrio den fünf jungen Männern in den Mund, die spielten, als gäbe es kein Morgen. Wären sie nicht für das Projekt bezahlt worden, sondern kämen sie tatsächlich aus dem Dunstkreis der rechten Nachwuchsgarde, es könnte einem schier schwindlig werden. Vieles, was in dieser Inszenierung gesagt wird, bewegt sich am Rande – wenn schon nicht des rechtlich Legalen, dann zumindest des moralischen. Und das ist nicht leicht zu verkraften.
Von einer linksliberalen Einheitsfront wird da gefaselt, von einem angeblichen All-inklusiv-Club für Völkerwanderer. Eine eiserne Hand wird gewünscht, die den ‚Schauprozessen gegen ‚unser Volk‘ Einhalt gebietet. Von der ‚natürlichen Ordnung‘ der Dinge, wie der Zerfall einer Gesellschaft und der Krieg es wären und dass die Geschichte die Entschlossenen krönen würde, erfährt man aus sich zu fanatischen Fratzen verändert habenden jungen Männergesichtern.
Zum Glück, denkt man sich immer wieder, ist das nur ein Theaterstück, nach welchem die Fünf in ihre Garderobe gehen, duschen, sich umziehen und über ihre gelungene Vorstellung freuen. Davon, dass sie ihr Leben konträr zu jenen deklamierten Allmachtsfantasien gestalten, die man gerade zu hören bekam, darf man ebenso ausgehen.
Geschickt arbeitet die Regie mit dem Aktivieren der Publikumssympathie gleich zu Beginn. Brav gehen die Hände hoch, als danach gefragt wird, wer ein schlechtes Gewissen habe, weit weg von zuhause zu wohnen. Der Großteil der Menschen im Saal singt laut die inoffizielle Österreichhymne mit – ‚I am from Austria‘ – als er dazu animiert wird. Nur wenige scheinen zu durchschauen, dass hier ein platter Publikums- Fängertrick verwendet wird; die Ankündigung zum Stück, in dem es um Gewalt und rechtsgerichtete Ideologie geht, ist nicht klein gedruckt irgendwo schlecht lesbar versteckt, sondern, so meint man, sollten sie alle gelesen haben, die sich die Vorstellung ansehen.
Am Höhepunkt der unglaublichen Ansammlung von Halbwahrheiten, Lügen und Anschuldigungen wechselt die Szenerie. Der hintere Bühnenteil wird schwach beleuchtet und zu sehen sind Männer, die ganz in der NS-Ästhetik zwischen verfallenen, griechischen Säulen posieren. Die Wiege unserer Zivilisation und unserer Demokratie wird damit heraufbeschworen, das Gebaren der Männer erweckt jedoch Heiterkeit im Saal. Das Lachen, das zu vernehmen ist, darf getrost als feiner Widerstand interpretiert werden. Als leise Demonstration von Menschen, die sich im zeitgenössischen Theater gut auskennen und welchen ein rohes Dazwischenschreien oder Buhen nicht wirklich liegt.
Im großangelegten Finale rezitiert einer der Männer am vorderen Bühnenrand einen Text von Ernst Toller, in welchem er in der Vorkriegszeit des 2. Weltkrieges Anklage gegen jene erhob, die nicht sehen wollten, welches Unheil sich zusammenbraute und stillhielten, gegen Unrecht, das bereits spürbar war. Die Verwendung dieses Textes kann als dramaturgische Finesse gesehen werden, in welcher der Schauspieler am Ende das beschriebene Blatt mit der Rede auf der Bühne anzündet. Dies ist nicht nur der verbrämte Hinweis, dass Tollers Bücher verbrannt wurden. Vielmehr sind die Ideengeber der rechten Bewegung dreist genug, Grundsätzliches, wie eine Antifaschismusrede oder sogar die Ideen des Kommunisten Antonio Gramsci geschickt für ihre Zwecke missbräuchlich umzudeuten.
Nach einer finalen Beschimpfung des Publikums und dem Einsetzen des obligatorischen Blacks erstaunt es umso mehr, dass applaudiert wurde.
Die Inszenierung bietet Gruselmomente sonder Zahl und weissagt eine Zukunft, vor der sich das Publikum des Steirischen Herbstes ekeln darf. Sie darf als aufklärerische Arbeit verstanden werden, die darauf abzielt, den Rechtsruck, der global zu beobachten ist, nicht zu unterschätzen und stärker zu beobachten. Die authentisch vorgetragenen Texte gehen dabei an die Grenze des Erträglichen, an die Grenze dessen, was man in der passiven Rolle von Zusehenden zu ertragen vermag. Dieses Hochpeitschen der Gefühle werden die Menschen unterschiedlich verarbeiten. Was mit Sicherheit feststeht, ist, dass der Steirische Herbst mit dieser Idee und seiner Ausführung genau das tut, was seine ureigenste DNA ist: Durch künstlerische Aufarbeitung auf Entwicklungen aufmerksam zu machen, welche die Gesellschaft bewegen und spalten.
Was aber wäre, wenn?
An dieser Stelle sei ein Gedankenexperiment erlaubt.
Was, wenn die künstlerischen Verantwortlichen das Publikum hinters Licht führten? Was, wenn tatsächlich gecastete Schauspieler auf der Bühne standen, aber diese Tatsache nicht kommuniziert wurde, ganz im Gegenteil, auch auf Nachfrage die Illusion aufrechterhalten wurde, dass sich hier fünf rechtsradikale junge Männer präsentierten?
Man mag sich dieses Szenario nicht wirklich vorstellen, denn das wäre mehr als ein Vertrauensbruch dem Publikum gegenüber. Man könnte – und da gibt es nichts zu beschönigen – diese Lüge nicht mit künstlerischem Willen oder künstlerischer Freiheit rechtfertigen. Nicht nur, dass Lügen kurze Beine haben – sprich in einem Fall wie diesen, mit einer ganzen Phalanx an Mitwissern die Wahrscheinlichkeit extrem hoch ist, dass die Wahrheit einmal ans Licht kommt. Es würde hinter dieser Entscheidung, die aus künstlerischen Gründen ziemlich sicher die Schreckmomente und den Schock über das Gesehene verstärken wollte, etwas ins Wanken kommen, das bislang am Theater ein ungeschriebenes Gesetz war. So aufregend, so nervenzerreißend eine Inszenierung auch immer angelegt ist, dass sich dahinter der Wille zu unterhalten, aufzurütteln oder weiterzubilden steht, davon durfte man bisher in Demokratien ausgehen.
Eine politische Strömung jedoch so zu präsentieren, dass man davon ausgehen muss, Proponenten derselben zu sehen, die es gar nicht sind, ist ein Attentat auf die Redlichkeit, mit der Theater gemacht werden sollte. Es stellt eine bewusste Irreführung dar, bei der der bereits genannte Zweck die Mittel in keiner Weise heiligt. Man müsste sich mehr als angeekelt von dieser Manipulation abwenden und an unterster Stelle eine ausführliche Entschuldigung erwarten können, in der die künstlerische Freiheit mit keinem Wort Erwähnung finden dürfte. Ironischerweise müsste man dieses Tun auch noch als ‚cultural appropriation‘ bezeichnen, etwas, das gerade von kritischen Kultur- und Gerechtigkeitsbewegungen propagiert wird. Wenn der Vorsatz, das Publikum bewusst aufs Glatteis zu führen, tatsächlich stimmt, dann wäre etwas gewaltig ins Rutschen geraten, über das man nicht nur ausgiebigst diskutieren sollte, sondern gegen das man vehement auftreten müsste.