Was ist Freiheit?

Was ist Freiheit?

Michaela Preiner

20. September 2025

Lesezeit: [lesezeit]

Was ist Freiheit?

Michaela Preiner

20. September 2025

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Foto: (steirischer herbst / Johanna Lamprecht )

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Am Eröffnungstag des Steirischen Herbst 2025 erwartete das Publikum neben Outdoor-Performances und der Rede der Intendantin Ekaterina Degot ein Doppelabend in der List-Halle.

Der Steirische Herbst 2025, der das Motto „Never again peace“ trägt, eröffnete sein Festival am 18.9. am Freiheitsplatz vor dem Schauspielhaus in Graz. Freiheit – in vielfältiger Form – wurde an diesem ersten Tag bei den Performances und auch in Ekaterina Degots Rede beleuchtet. Die Intendantin verwies neben der derzeitigen fragilen, politischen Lage auf einen Passus in ihrem Arbeitsvertrag, in welchem die „Freiheit der Kunst“ garantiert ist. Dass dies juristisch gesehen jedoch überraschend leicht anfechtbar ist, erlebten sie und ihr Team im vergangenen Jahr, als sich die FPÖ gegen eine künstlerische Plakataktion von Yoshinori Niwa verwehrte. Zu wünschen wäre, dass Degots aktuelle Zeitpostulierung nicht stimmt, erkennt sie doch in unserem Jetzt eine neue Vorkriegsperiode. Realistisch betrachtet sieht es jedoch nicht so aus, dass Friedenswünsche an oberster geopolitischer Priorität stünden.

Tribute to Kurt Jooss’s Green Table
In der Helmut List-Halle erwartete das Publikum ein Doppelabend. Eröffnet wurde er von Manuel Pelmus und Frédéric Gies. „Tribute to Kurt Jooss’s ‚Green Table‘ nennen sie ihre Tanzperformance. Dabei agiert Gies als Solotänzer, im Gegensatz zur ursprünglichen Besetzung aus dem Jahr 1932 des deutschen Tänzers und Choreografen. Gies beginnt seine Performance mit Verhandlungen ‚am grünen Tisch‘, unter einer grünen Neonlichtkonstruktion. Seine ausdrucksstarke Mimik lässt verschiedene Menschen und Charaktere erkennen. Solche, die ihre Rechthaberei durch große Gesten wie mehrfaches Klopfen mit der Faust auf einen imaginären Tisch unterstreichen. Aber auch solche, die mit gespielter Höflichkeit ein befriedigendes Verhandlungsergebnis herbeisäuseln möchten. In Schwarz und Rot ist das Kostüm gehalten, in dem der Tänzer diese Pantomime wiedergibt, unterstrichen von einem diffusen, elektronischen Sound.

Manuel Pelmuș und Frédéric Gies, Tribute to Kurt Jooss’s „Green Table“ (2025), Tanzperformance, Foto: steirischer herbst / Johanna Lamprecht

Manuel Pelmuș und Frédéric Gies, Tribute to Kurt Jooss’s „Green Table“ (2025), Tanzperformance, Foto: steirischer herbst / Johanna Lamprecht

Im Gegensatz dazu wird die darauffolgende Szene durch einen Kostümwechsel in einem weißen Ganzkörperanzug gestaltet; weiße Sturmhaube und über der Brust gekreuzte Bänder, die Assoziationen zu soldatischer Kleidung subtil mitschwingen lassen, inklusive. Ein Kaleidoskop unterschiedlichster Tanzstile, die, obwohl sie nur rudimentär ausgeführt werden, gut zu erkennen sind. Klassisches Ballett, bis zu körperbetontem Ausdruckstanz sowie weiten Ausfallschritten, angelehnt an jene im Fechtsport, werden repetitiv eingesetzt. Der Sound hat sich verändert, bleibt aber rhythmisch klar akzentuiert.

Im letzten szenischen Abschnitt agiert der Tänzer mit bloßem Oberkörper, die weiße Hose bis zu den Knien aufgekrempelt und eine weiße Fahne schwingend, scheinbar nur behelfsmäßig an einem Ast montiert. Das anfängliche, fast zaghafte Schwingen verstärkt sich beständig, die anfänglichen ruhigen Schritte werden rascher, bis Gies ins Laufen kommt, unterstützt von einem harten Beat, der an Geschwindigkeit zulegt. Endlos erscheint dieser letzte Teil und lässt Gedanken aufkommen, dass ein erwünschter Friedensprozess sehr lange auf sich warten lassen kann. Damit gelingt Pelmus und Gies mühelos der Bogen zu den aktuellen Kriegsgeschehen in Europa. Einer schmerzhaften Entwicklung, in der sich das Festivalmotto ebenfalls widerspiegelt.

Es bedarf keiner hohen Interpretationskunst, den ewig scheinenden Circulus von Macht, Krieg und Frieden in dieser Performance zu erkennen, auch wenn man die Vorgeschichte des deutschen Tänzers und Choreografen Kurt Jooss nicht kennt.

Ivo Dimchev, Hot Sotz (2025), Performance, Foto: steirischer herbst / Johanna Lamprecht

Ivo Dimchev, Hot Sotz (2025), Performance, Foto: steirischer herbst / Johanna Lamprecht

Don’t be shy!
Der aus Bulgarien stammende Performer, Musiker, Tänzer und Allroundkünstler Ivo Dimchev zelebrierte im Anschluss daran eine reine Musikshow, die anders angelegt war, als man es von seinen Performances normalerweise kennt. Sie bestand aus einem Potpourri aus Liedern, allesamt belegt mit seinem Lieblingthema: Sex. Wobei die Beschreibung zu kurz greift, denn Dimchev geht es dabei auch in hohem Maße, seine Zuhörerinnen und Zuhörer zur Eigenermächtigung ihres individuellen Sexlebens anzuregen. Begleitet wurde er von einer fünfköpfigen Band, O-Ton Dimchev: My wonderful heterosexuall band!

Dass er an diesem Abend nur eine Kompilation seiner Songs bringen konnte und keine neue Themenshow, entschuldigte er mit seinem dichten Terminkalender. Das Publikum hatte mit seinen Moderationen, unterfüttert mit jeder Menge Sarkasmus, dennoch großen Spaß. In einem aus Live-Kommentaren gespickten Rap, via WhatsApp-Nachrichten übermittelt, unterstrich Dimchev seine Furchtlosigkeit, auf der Bühne zu improvisieren. Wie in seinen Shows obligatorisch, verwendete er auch in der Helmut-List-Halle Entweder-oder-Fragen, die eigentlich unbeantwortet bleiben müssten. Sie unterhielten und verstörten gleichermaßen. Das dahinterstehende Kalkül, Machtfiguren auf ein höchst lächerliches, menschliches Level zu degradieren, funktioniert bei seinem „intellektuellen Publikum“, wie er diesem schmeichelt, immer. Dass niemand die Hand bei der Frage hob, ob man lieber mit Spitzen der FPÖ oder der AFD eine Orgie feiern würde, zeichnete dieses aus.

Die Grazer Performance des queeren Entertainers mit Tiefgang war hoffentlich nicht nur ein einmaliger Glimpse. Egal, welches Thema sich der Steirische Herbst auf seine jeweiligen Fahnen heftet – Ivo Dimchev würde immer dazupassen.