Skulptur, Tier oder Mensch
Michaela Preiner
Sasha Waltz hat einen Hang zu den bildenden Künsten. Im Besonderen zur Bildhauerei. Am deutlichsten wurde dies ganz offenkundig in ihrer Kooperation mit dem ZKM.
Die erste Hälfte der Show beschäftigt sich zum größten Teil auch mit dem Phänomen Skulptur. Dies ist jener Part, der spannend ist, vieles zeigt, was als ungewöhnliches Augenfutter wahrgenommen werden kann und den Tanz aus seiner determinierten Rolle, jener der ununterbrochenen Bewegung, befreit. Doch bleibt es leider nicht bei dieser Betrachtungsweise, die für einen guten Abend schon genügt hätte. Und so wartet die Inszenierung mit zwei Wermutstropfen auf:
Einer ist, dass sich peu à peu alle Tanzenden in Menschen verwandeln, die rein triebgesteuert sind und den geschlechtlichen Akt als einen unterdrückenden, machtdeterminierten benutzen. Ein anderer, dass Waltz ganz offensichtlich ihre Choreografie mit zu viel Inhalt versehen wollte, was die Anfangsszenen zum Teil sogar konterkariert.
Davor – und das sind die interessanten Teile der Choreografie – probiert Waltz aus, welche Möglichkeiten ein Körper hat, als Skulptur aufgefasst zu werden und wann diese Möglichkeiten ihre Grenzen erreichen. Die Arbeit mit verspiegelten Folien, die bei Beleuchtung das Verdeckte durchscheinen lassen, ist mehr als nur optischer Bühnenzauber. Dabei werden Sehgewohnheiten auf den Kopf gestellt und die Körper derart fragmentiert gezeigt, dass sie zugleich auch entpersonalisiert erscheinen. Zu diesen Szenen gehört auch eine, in welcher sich das Ensemble auf einer kleinen Treppe drängeln muss und zum Teil Gefahr läuft, von einem hohen Podest abzustürzen.
Wie schon in anderen Arbeiten, setzt die Choreografin jene Ensemblemitglieder, die durch körperliche Merkmale besonders auffallen, gekonnt in Szene. Corey Scott Gilbert, der hünenhaft selbst die Größten seiner Kolleginnen und Kollegen um einen Kopf überragt, muss dabei extrem dosiert eingesetzt werden, was Waltz auch gut gelingt. Denn sobald er in der ersten Reihe bei einer Gruppenchoreografie auftritt, stellt er alle anderen aufgrund seiner Größe in den Schatten.
Clémentine Deluy wiederum, die größte und muskulöseste aller Frauen, erhält die Rolle des Bösewichtes. Nicht nur, dass sie eine Kontrahentin demütigt und diese als gesellschaftliche Außenseiterin stigmatisiert. Sie ist es auch, die in ein schwarzes Ganzkörperkostüm gesteckt wird, das vom Kopf bis zur Taille mit riesigen Stacheln besetzt ist. Damit drangsaliert und bedroht sie alle derart, dass es schließlich zur Rebellion gegen sie kommt. Es sind Momente wie diese, die den Eindruck von krampfhaften Bildmetaphern hinterlassen, die jedoch gerade wegen ihrer Offensichtlichkeit eher platt wirken. Das tun auch jene Kopulationsszenen, die gleichzeitig durch ein langes Vierkantbrett bereichert und mit dem französischen Gassenhauer „Je t´aime“ von Serge Gainsbourg und Jane Birkin unterlegt werden.
So spannend sich ‚Kreatur‘ zu Beginn entwickelte, so platt glitt es in einen zweiten Teil über, der sogar das vergessen liess, was in der Produktion wirklich vom Feinsten war: Bewegungselemente, die in einer großen Quantität aber auch einer unglaublichen Qualität zu sehen sind. Schade darum.