Mit Pandora durch das Paris des 18. Jahrhunderts

Mit Pandora durch das Paris des 18. Jahrhunderts

Michaela Preiner

Foto: ( Nick Mangafas )

26.

September 2023

Die „Cyber-Reanimation des barocken Operntorsos von Royer und Voltaire“ in einer Neubearbeitung von Matthias Kranebitter wurde im Odeon uraufgeführt.

Er ist einer, der keine halben Sachen macht und nur das Ganze will. Der Komponist Matthias Kranebitter wurde anlässlich der Premiere zu seiner Oper „Pandora“ im Rahmen der Musiktheatertage Wien zu Recht gefeiert. Eine Zusammenfassung der Kritik vorwegnehmend, könnte man sagen: Wer wagt, gewinnt und Kranebitter hat gewonnen.

Es ist auffallend, dass sich allerorten derzeit mythologische Stoffe großer Beliebtheit erfreuen. Dabei sind nicht nur Rückgriffe auf Inszenierungen gemeint, die nun wiederbelebt werden. Der Zeitgeist will es, dass auf den Bühnen, egal ob für Musik- oder Sprechtheater, Neues vom Alten gezeigt wird. Kranebitter, sowohl für das Konzept als auch die Komposition von „Pandora“ verantwortlich, hat seinem Werk einen Untertitel gegeben. „Eine Cyber-Reanimation des barocken Operntorsos von Royer und Voltaire.“

Joseph-Nicolas-Pancrace Royer schuf die Oper zu einem Libretto von Voltaire, der aber kein Erfolg beschieden war. Kranebitter sprengt mit seiner Idee die herkömmliche Opernform durch eingespielte, vorgelesene Informationen über die Entstehung der Oper, das Leben von Royer, sowie die Weiterentwicklung der Guillotine durch einen deutschen Cembalo-Bauer hin zur Ermordung des Marat. Dadurch entsteht eine höchst abwechslungsreiche Edutainment-Mischung mit dem Schwerpunkt einer musikalischen Umsetzung.

PANDORA 06 Nick Mangafas

Pandora (Foto: Nick Mangafas)

Der Regisseur Michael Höppner lässt die drei Charaktere opernhaft-klassisch in aufwendigen, dennoch zeitgeistigen Kostümen agieren, das Bühnenbild ist auf das Notwendigste reduziert. Christopher Sturmer setzt weiße, große Leinwandblöcke in den Bühnenvordergrund. Auf ihnen finden die spannenden, zum Teil sogar angsteinflößenden Visuals von Patrik Lechner ihr Abbild. Eine tiefrote, runde Formation begleitet die Erläuterungen zur Guillotine-Erfindung, sich amorph ausbreitende Ballungen, die an halbierte Kettenglieder oder Maden erinnern, wachsen kriechend quer über die Leinwände, sodass unweigerlich Ekelgefühle aufkommen.

Etwas in den Bühnenhintergrund versetzt, vor dem Orchester, das auf einem Podium platziert ist, erhebt sich der Olymp in Form eines hoch aufragenden Quaders. Ummantelt mit weißem Stoff, wird dieser von Prometheus mehrfach erklommen, bisweilen aber auch verschoben. Es ist diese einfache Bühnentechnik, hier reduziert auf manuelle Umgestaltungen, die an Zeiten denken lässt, als die Ausstattung der Opernhäuser noch nicht Hightech war und erst in ihren Anfängen steckte. Der Gegensatz zu den 3D-Animationen könnte größer nicht sein. Gemeinsam mit den Texteinschüben wird so eine zweite Ebene abseits des historischen Geschehens aufgebaut. So pendelt das Publikum beständig zwischen der Wahrnehmung des erzählten Göttermythos und dem Blick auf die französische Geschichte bis kurz nach der Revolution.

Prometheus (Georg Bochow) und Jupiter (Andreas Jankowitsch) agieren in ihrer beider Eitelkeiten als Strippenzieher von Pandoras Schicksal. In Form einer leblosen Puppe von Prometheus geschaffen und zu Leben erweckt, muss sie letztlich den Frevel des Feuerraubes büßen, den ihr Schöpfer am Götterolymp begangen hat.

Das fantastische Geschehen versieht Kranbebitter mit wilden Klangballungen, unterfüttert von barocken Klängen. An anderen Stellen lösen Klang-Tsunamis kurze Passagen ab, die an Stummfilm-Musik der 20-er-Jahre anknüpfen und das Geschehen mit einem musikalischen Augenzwinkern kommentieren. Zum Teil gelingt dem Komponisten eine musikalische Umsetzung des Textes, die man wortwörtlich nennen kann und die sich zusätzlich mit den Visuals rhythmisch verzahnt. Duette und Arien, ein elektronisch verändertes Cembalo, ein rhythmischer Einschub, der Pandoras Herzschlag hörbar macht, während sie dazu sichtbar den Brustkorb hebt und senkt, Paukenschläge, die nachfolgende, dichte Klangcluster vorbereiten, all das ist nur ein unvollständiger Auszug aus der kompositorischen Vielfalt, die nachhaltig beeindruckt. Das von Kranebitter gegründete „Black Page Orchestra“ unter der Leitung von Vinicius Kattah https://www.viniciuskattah.com/bio wird zu Beginn und am Ende von einem elektronischen Dirigenten geleitet.

Die Handlung erhält gegen ihr Ende hin noch einen eklatanten Shiftwechsel, lässt der Regisseur die beiden Götter doch durch einen performativen Akt vor den Augen des Publikums verschwinden. Sosehr sie jedoch auch mit Farbe beschmiert werden, bis sie sich von ihrem Hintergrund nicht mehr abheben, sosehr sie auch mit Erde beschwert werden, nach einer gewissen Zeit werden sie dennoch wieder sichtbar, wenngleich offenkundig ihrer ehemaligen Macht komplett beraubt.

Dass am Schluss mit der sukzessiven Verabschiedung von Dirigenten und Ensemble noch Haydns Abschiedssymphonie eine Reverenz erwiesen wird, lässt noch einmal an jene Zeit zurückdenken, in welcher „Pandore“ entstand: Im Barock, als Komponisten nicht viel mehr waren als Bedienstete unteren Ranges, gelitten nur zur Erbauung und Prestigeerhöhung.

Kranebitter und sein Team haben viel gewagt: Eine dichte Erzählung, ergänzt mit vielen sozio-kulturellen Hintergrundinformationen, die Verschränkung unterschiedlicher Zeitmotive sowohl im visuellen als auch im musikalischen Bereich. Das ist ein Hochseilakt, den man erst einmal beherrschen muss. Ein Hochseilakt, der gelungen und zu bewundern ist. Dieses Werk hat Suchtcharakter.

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