Der Steirische Herbst fungierte als Auftraggeber und das Festivalmotto „horror patrie“ blitzt tatsächlich in der Performance durch.
Eine dunkle Höhle mit Stalagmiten und Stalaktiten erwartet das Publikum, unterlegt mit einem Sound, in welchem sich elektronische Hörerlebnisse mit solchen mischen, die an große, wilde und gefährliche Tiere erinnern. (Manuel Riegler, Maja Osojnik Sound, Bühne von Georg Klüver-Pfandtner) Nacheinander betreten die Tänzerinnen die Bühne, in Kostümen, die mit ‚poor‘ am besten umschrieben sind. Die Kostümbildnerin Annemarie Arzberger trägt einen großen Anteil zum Gelingen der Inszenierung bei. Auffallend sind ihre Strumpfhosen mit Ausbeulungen, mit welchen die Tänzerinnen deformiert erscheinen. Es dauert eine Weile, bis die Performance richtig Fahrt aufnimmt, der ruhige Einstieg ins Geschehen mit langsamen Bewegungen, vereinzelt mit Anklängen expressiver Gesten des Ausdruckstanzes, wie er zu Beginn des vorigen Jahrhunderts entwickelt wurde.
Rasch wird klar, dass der Abend mit dem Feuervogel-Ballett und seinem Libretto nicht viel gemeinsam haben wird. Die Musik von Igor Strawinsky ist der einzig historisch verbliebene Layer, der sich durch die Vorführung zieht, wenngleich auch mit Unterbrechungen. Das Bühnenbild entpuppt sich als eine Reminiszenz an eine Ballettpraxis, die im zeitgenössischen Tanz ausgedient hat. Hier und da blitzen Charaktere durch, die sich an die Feuervogel-Erzählung anlehnen, aber das ist auch schon alles.
Bald entpuppen sich die Strumpfhosen auf der Bühne als extrem absurde Objekte, aber der vielfältige Umgang mit ihnen erweckt Staunen. Mal fungieren sie als Hundeleinen, mal als Gymnastik-Band, mal als Kopfbedeckung, als Haarersatz oder wilde Masken. Nach der ersten choreografischen Arbeit macht Marta Navaridas einen Schnitt.
In launiger Art und Weise erzählt nun eine Tänzerin nach der anderen frühe Kindheitserlebnisse, die sie bei ihrer Tanzausbildung hatten. Da erfährt man von staatlichen Aufführungen anlässlich des Todes von Tito in Ex-Jugoslawien. Das witzige, unbeabsichtigte Trauerkonterkarieren der Choreografie des kleinen Mädchens, das nur seinen Namen mit einem Band in die Luft schreiben konnte und nicht jenen des Marschalls, trägt zur allgemeinen Erheiterung bei. Da wird ein Trauma noch einmal lebendig, das durch eine Competition ausgelöst wurde, in welcher die 13-jährigen Tänzerinnen vor einer Jury einen „Stabtanz“ absolvieren mussten und sofort ausschieden, wenn sie einen Fehler machten. Neben anderen Erzählungen besticht auch jene des kleinen Kindergartenmädchens, das sich unbändig freute, dass ihr ausgelassener Tanz ihre Freundinnen und Freunde hinter ihr in der Aufstellung animierte, ihr zu folgen.
Durch dieses ‚Hinter-die-Kulissen-Blicken‘ von persönlichen Erlebnissen werden die Tänzerinnen ad hoc mehr als nur Ausführende einer Choreografie zu einer bestimmten Musik. Logischerweise ändert sich ab diesem Moment auch das weitere Tanzgeschehen. Losgelöst von hierarchischen Konventionen legen die Frauen allmählich einen Teil ihrer Kostüme ab, wobei es wieder Strumpfhosen sind, welche einen wichtigen Beitrag zur Choreografie leisten. Ob als Vehikel für ein siamesisches Zwillingspaar, als Ganzkörperkokon oder als tierischer Schwanz, dieses zugleich geliebte wie gehasste weibliche Modeaccessoire vermittelt viel: Die weibliche Kreativität sprengt hier sämtliche Grenzen seiner Nutzung, womit das Kleidungsstück zum Symbol wird. Es braucht keine Inszenierung mit technischen Finessen der Sonderklasse, sondern einen impulsiven, kraftvollen Zugang mit dem Willen zur Veränderung, um einen eigenen Beitrag in der zeitgenössischen Choreografie aufzuzeigen. Einen speziell Weiblichen sei hinzugefügt.
Auch dass in den Schluss-Szenen die Tänzerinnen ihre Stimmen kraftvoll einsetzen und ein freudvoll-orgiastisches Geschehen stattfindet, hinterlässt einen starken Eindruck. Veza Fernández, Stina Fors, Lau Lukkarila, Marta Navaridas, Maja Osojnik und Denise Palmieri beugen sich weder einem männlich-dominierten Blick auf ihre Körper und deren Ausdruck, noch Vorbildern, die einengen, anstatt zu befreien. Durch ihren Zugang lassen sie auch jenen „Horror Patriae“ hinter sich, den jede von ihnen bereits am eigenen Leib erlebt hat.
Das Premierenpublikum dankte mit heftigem Applaus.