‚Les Blancs‘, die erste Premiere im Schauspielhaus in Graz in der Saison 25/26, fand in Kooperation mit dem Steirischen Herbst statt.
Besatzung versus Knechtschaft, Mord und Totschlag versus Diskurs, Familie versus gesellschaftlicher Auftrag, romantische Vorstellungen versus beinharte Realität: All diese Gegensätze hat die amerikanische Dramatikerin Lorraine Hansberry in einem Stück verarbeitet. ‚Les Blancs‘, so der Titel des 1960 geschriebenen Dramas, beleuchtet aus unterschiedlichen Blickwinkeln die Spätfolgen des Kolonialismus in Afrika.
Die hochdekorierte Autorin, die im Alter von 35 Jahren verstarb, erzählt die Geschichte von drei Brüdern, die in einem afrikanischen Dorf anlässlich der Beerdigung ihres Vaters nach Jahren wieder aufeinandertreffen. In der Nähe des Dorfes befindet sich seit 40 Jahren eine christliche Mission. Neben der seelsorgerischen Betreuung durch einen protestantischen Pater, Thorwald Neilsen, versorgen dort eine Ärztin und ein Arzt die Bevölkerung in einem kleinen Krankenhaus.
- (c) Lex Karelly
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Alle Charaktere stehen exemplarisch für unterschiedliche Ideen, wie Afrika regiert werden soll, wie ein Zusammenleben zwischen Weißen und der einheimischen Bevölkerung auszusehen hat, aber auch, welche Werte in einer Gesellschaft wichtig sind und vor allem, was Recht und was Unrecht ist.
Bless Amada, Ensemblemitglied des Burgtheaters, verkörpert Tshembe, einen jungen Mann, der nach verschiedenen Stationen in Afrika sein Glück in London gefunden hat. Obwohl er „dem Speer abgeschworen hat“, kann er sich des Rufes seines Heimatlandes, in das er zurückgekehrt ist, nicht entziehen. Aus dem überzeugten Pazifisten wird letztlich ein Krieger, der sich nicht davor scheut, gegen seinen eigenen Bruder, Abioseh, vorzugehen, der zum Katholizismus übergetreten ist. Leonhard Burkhardt muss erkennen, dass seine christliche Überzeugung und auch sein priesterlicher Habit keine Auswirkung auf die gesellschaftlichen Entwicklungen in seinem Land haben.
Dominik Puhl versucht, als Jungjournalist Charlie Morris, mit Tshembe ins Gespräch zu kommen. Die Dialoge der beiden, scharfsinnig verfasst, kreisen stets um die Thematik, wie sich das Individuum gegen gesellschaftliche Strömungen wehren kann und ob es möglich ist, gesellschaftlich ausgelöstes Unrecht auf zwischenmenschlicher Ebene auszublenden.

(c) Lex Karelly
Eric, der jüngere Bruder von Tshembe, ist dem Suff verfallen. Lange glaubte er, Sohn eines Europäers zu sein, ohne zu wissen, dass ausgerechnet der Pastor seine Mutter geschwängert hat. Seine zerrissene Persönlichkeit, die zwischen allen Fronten steht, wird von Otiti Engelhardt berührend gespielt.
Die Frau des Pastors, ehemals Lehrerin, im Alter nun beinahe blind, bildet einen scharfen Kontrast zu Major Rice. Dieser ist für die Sicherheit der weißen Bevölkerung verantwortlich und reagiert mit militärischer Strenge, als immer häufiger werdende Anschläge immer mehr Menschenleben der europäischen Siedler kosten. Olivia Grigolli und Tim Breyvogel könnten in dieser Kombination kein kontroversielleres Paar geben. Die zarte, zutiefst humanistisch geprägte Dame und der Kommandierende vertreten ihre Positionen bis zum Äußersten, ohne den anderen oder die andere im Geringsten verstehen zu wollen.
Marielle Layher und Zeljko Marovic übernehmen die Rollen der Ärzteschaft, die ebenfalls von ihrer Einstellung her zwei unterschiedliche Welten verkörpern. Beseelt von dem Gedanken, den Menschen hier hundertprozentig helfen zu können, und das auch noch nach vielen Jahren, unterwirft die Ärztin ihr gesamtes Leben ihrem Beruf. Ihr Kollege hingegen hat im Laufe der Jahre erkannt, dass ihr Tun an diesem Ort nicht nur die kolonialen Bestrebungen unterstützt, sondern diese ohne sie gar nicht möglich wären. Dementsprechend desillusioniert ist er auch.

(c) Lex Karelly
Peter – Jean-Philippe Adabra – ist in der Mission als Diener angestellt. Dass er dabei als Spion für sein Volk agiert, wird dem Major in einer dramatischen Szene zu spät klar.
Die Regisseurin, Momo Matsunyane, bringt mit einem wahren Schachzug jenes Feeling auf die Bühne, welches das Leid Afrikas nicht nur durch die Worte von Hansberry transportiert. Die Tänzerin und Choreografin Lulu Mlangeni, verkörpert den geschundenen Kontinent in mehreren Facetten. Sie tritt sowohl als Stammesführerin, aber auch als vererbtes Trauma auf. Bedrohlich, fragend, aufmunternd und peinigend agiert sie mit ihrem Tanz, der den Text emotional extrem erweitert. Der Musiker Seydou Traoré spielt am linken Bühnenrand live und unterstützt das Geschehen mit einem authentischen Sound.
Obwohl man dem Text seine Entstehungszeit anmerkt, vor 65 Jahren wurde er geschrieben, gelang es dem Team, seine Aktualität plausibel zu machen. Wie sehr das Vergangene auch unsere Gegenwart bestimmt, wie sehr Unrecht und Recht auf den jeweiligen Blickwinkel ankommen, all das wird in diesem Drama deutlich. Die intellektuelle Auseinandersetzung, die sich im Text unantastbar zeigt, besticht ebenso wie das Gesamtpaket der Inszenierung. Begonnen von der gelungenen Besetzung über die Regie, hin zum kompletten Ensemble sowie der musikalischen Begleitung und dem Tanz, aber nicht minder der gekonnte Einsatz von Kostümen, ergeben ein großes Ganzes. Mirjam Pleines, auch für das reduzierte Bühnenbild verantwortlich, visualisiert mit dem Wechsel der Garderobe subtil auch die Veränderung der Charaktere im Laufe des Geschehens.
Ein gelungener Saisonauftakt, in dem das Theater jene Stärken ausspielt, welche es so attraktiv machen: Erzählungen zu präsentieren, die neue Perspektiven aufzeigen, aber dennoch nicht mit erhobenem Zeigefinger daherkommen.
Mitwirkende:
- Tshembe Matoseh: Bless Amada
- Charlie Morris: Dominik Puhl
- Eric Matoseh: Otiti Engelhardt
- Abioseh Matoseh: Leonard Burkhardt
- Madame Neilsen: Olivia Grigolli
- Major George Rice: Tim Breyvogel
- Peter: Jean-Philippe Adabra
- Dr. Marta Gotterling: Marielle Layher
- Dr. Willy DeKoven: Željko Marović
- Woman: Lulu Mlangeni
- Musiker: Seydou Traoré
- Regie: MoMo Matsunyane
- Bühne & Kostüme: Mirjam Pleines
- Choreographie: Lulu Mlangeni
- Dramaturgie: Andrea Vilter
- Dramaturgische Mitarbeit: Minky Schlesinger
- Licht: Thomas Bernhardt