Und was, wenn Stillstand herrscht?

Und was, wenn Stillstand herrscht?

Michaela Preiner

Foto: ( )

18.

Juli 2016

Im Tanztheater gibt es viel, nur etwas höchst selten: Stillstand.

Nullbewegung ist ein absolutes No-Go in diesem Metier, denn schließlich möchte das Publikum für sein Geld ja auch etwas sehen. Am liebsten Action pur, schwitzende Leiber und kunstvolle Verrenkungen. So etwas, was man selbst nicht kann. Sonst bräuchte man ja nicht in die Vorstellung zu gehen.

Lea Moro, Schweizer Choreografin und Tänzerin, setzte sich über diese Regel hinweg und stellte mit ihrer Produktion „(b)reaching stillness“ das Publikum in der ersten Viertelstunde gehörig auf die Probe. Denn zu sehen war zu Beginn der ersten Aufführung im Rahmen von (8:tension) des ImpulsTanz Festivals, in welcher Nachwuchs-Coreografinnen und –choregrafen gezeigt werden, nicht viel. Sie selbst, sowie Enrico Ticconi und Jorge De Hoyos lagen in schwarzen Anzughosen und schwarzen Lackschuhen mit nacktem Oberkörper, dem Publikum abgewandt, auf einem türkisen Podest. Nach einer Weile nahm sich jeder von ihnen von einem bereit gestellten Wasserspender zu trinken, um sich danach wieder auf den Boden zu legen und regungslos zu verharren. Fast regungslos. Denn die Mikrobewegungen, die sie mit ihren Köpfen zur Seite vollführten, waren so gering, dass man sie schwer mitverfolgen konnte.

Jorge De Hoyos , Lea Moro Enrico Ticconi (v.l.n.r.) (c) Dieter Hartwig

Jorge De Hoyos , Lea Moro Enrico Ticconi (v.l.n.r.) (c) Dieter Hartwig

Ein ästhetisch höchst anspruchsvolles Begleitheft, in Grün, Petrol, Türkis gehalten gab Auskunft über jene Assoziationen, die dem Abend zugrunde lagen. Barocke Stillleben waren ein Ausgangspunkt. In ihnen ist die Natur an einem Punkt abgebildet, der nur scheinbar ein stiller, ein toter ist. Denn hinter jedem Stillleben, aber auch hinter jedem eigefroren wirkenden Life-Moment walten Kräfte, die zwar unsichtbar sind, aber mit Stillstand nichts zu tun haben. Der Text von Maja Zimmermann vereint in diesem Büchlein viele Aphorismen, aber auch andere Textzitate aus unterschiedlichen Epochen, in denen klar wird, dass das Wissen um die Vorgänge in der Natur unsere Sicht auf das Leben selbst mitbestimmt. Und auch heute noch gibt es Unerforschtes, wie die Produktion der Gehirnflüssigkeit, die völlig losgekoppelt von anderen physischen Regelkreisen vonstattengeht.

Lea Moro wagte mit ihrer Choreografie, diese Assoziationsketten sichtbar zu machen und das Warten auf die Erlösung, ob von Pflanze, Tier oder Mensch in Bewegung umzusetzen. Dass Wasser dabei ein Element ist, ohne welches kein Werden und Wachsen entsteht, konnte man – siehe Wasserspender – gleich zu Beginn verfolgen. Dass es aber nichts hilft, wenn man am Gras zieht, auch das wurde bald klar. Mit einer wunderbaren, kunstvollen Sounduntermalung, in der Mahlers Auferstehungssymphonie in Ausschnitten zu hören war und von elektronischen Klängen überdeckt und abgewechselt wurde, schuf die Künstlerin auch den Konnex hin zur christlichen Lehre, konkret zur Auferstehung, der Kernaussage dieser Religion.

Mit zunehmender Fortdauer kam Bewegung in die Körper, lösten diese sich vom Boden. Nach und nach reckten sie ihre Arme und Beine in die Luft, um schließlich wie befreit, Freudensprünge zu vollführen. Einmal abgehoben vom Nährboden, aus dem sie alle zu kommen schienen, gingen sie schließlich auch daran, ihre Umwelt künstlich zu erschaffen. Goldene Plastikpalmen, die von ihnen aufgeblasen wurden, bildeten bald ein surreales Surrounding, das jedoch mit einem kurzen Ablaufdatum versehen war. Nach der tänzerischen Klimax, die nicht mit Verweisen auf das klassische Ballett sparte und einige köstliche Hebefiguren im Liegen bereithielt, ging den künstlichen Bäumen die Luft aus. Von Menschen Geschaffenes hat offenbar ein kürzeres Ablaufdatum als die Natur es für ihr Produktionen vorsieht und ist schon gar nicht in den unendlichen Kreislauf von Geburt und Tod eingebunden. Während der Chor im Finale zum Fortissimo ansetzte, zeigten die Tanzenden Flugfiguren, ganz so, als wollten sie die Auferstehung schon einmal voraus proben.

Jorge De Hoyos , Lea Moro, Enrico Ticconi (c) Dieter Hartwig

Jorge De Hoyos , Lea Moro, Enrico Ticconi (c) Dieter Hartwig

Der Einsatz von klassischer Musik ist in vielen zeitgenössischen Produktionen, so sie nicht im klassischen Ballett angesiedelt sind, meist problematisch. Die clevere Sound-Untermalung und Klangverfremdung von Marcus Thomas trug viel dazu bei, dass sich keine Kitschminute in die Inszenierung einschlich und Emotionen dennoch auf breiter Basis zugelassen werden konnten. Aber auch die Choreografin schuf mit einer Szene, in welcher sich alle während ihrer Fortbewegung am Boden mit Kopfmassagegeräten die Kopfhaut kratzten, ein bewusst humoriges Element.

Der Schluss, in dem Lea Moro mit einem Augenzwinkern, wenn nicht sogar breiten choreografische Lachen, ihr eigenes Treiben karikierte, erheiterte das Publikum ungemein. Schluss ist nicht, wenn das Publikum meint, dass Schluss sein sollte, sondern dann, wenn wirklich das Licht ausgeht. Auch das durfte man aus dieser Vorstellung mit nach Hause nehmen.

(b)reaching stillness hatte bereits 2015 in den Sophiensälen Berlin Premiere, war zur Tanzplattform Deutschland 2016 in Frankfurt eingeladen und tourt weiter international. Zu Recht. Und legte die Latte für die kommenden (8:tension) Beiträge schon einmal sehr hoch.

Pin It on Pinterest