Die Leiden der jungen Wärter

„Der Wärter ist weg.“ Uff, uff, uff, ach ich bin so besonders.“ „Die Sexualisierung ist demokratisch – im Gegensatz zur Schönheit.“ Mit diesen drei kurzen Textfetzen steckt man schon tief in der „goetheschen Schmonzette von Nele Stuhler und Jan Koslowski“ mit dem Haupttitel „Die Leiden der jungen Wärter“.

Einem Stück, das sich jenes Klassikers annimmt, der nach seiner Veröffentlichung für reihenweise Skandale sorgte. Nicht nur, weil sich viele junge Männer ganz nach Werthers Vorbild ins Nirwana schickten. Die Uraufführung des zeitgeistigen Remakes erlebte das Schauspielhaus in Graz.

Was ist heute übrig geblieben von diesem romantischen Leiden, das sich aufgrund der Liebes-Nichterfüllung ins Unerträgliche steigerte? Stuhler und Koslowskis machen ihre Auslegung anhand von komplizierten, dialektischen Texten rund um Gefühle, Objekte und Taten deutlich. Oder vielmehr – sie verschleiern mehr als sie behaupten.

Ganz der Postmoderne verpflichtet, verweigern sie sich einer eindimensionalen Erzählung mit Einleitung, Klimax und Nachgesang. Vielmehr gibt es mehrere, lange, pseudophilosophische Texte, die in einem Hörsaal besser aufgehoben wären als im Theater. Vor allem, weil sie diese noch in Worte und Halbsätze zerstückeln und vom Ensemble in rascher Abfolge nacheinander aufsagen lassen.

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„Die Leiden der jungen Wärter“ – Schauspielhaus Graz (Foto: Lex Karelly)

Aber wahrscheinlich soll die Verwirrung, die das auslöst, beim Publikum auch so ankommen. Denn wer kennt sich heute im großen Feld der Liebe schon wirklich aus? Da hilft zumindest die Regie – ebenfalls von Stuhler und Koslowski – ein wenig weiter, in der die einzelnen Charaktere stärker leuchten als ihr Text. Das Institut für Schauspiel der Kunstuniversität Graz stellte dafür das Ensemble, das sich meisterlich in seinen Staccato-Einsätzen bewährte. Wie aus einem grellen Comic-Heft flimmern ihre Aussagen zu Beginn projiziert auf die vorgezogene Bühnenwand, die sich später auch als Spintreihe zeigen wird und eine Reihe von Auf- und Abgängen anbietet. (Bühne Lukas Kesler)

Nach der tantrischen Vergewisserung, etwas Besonders zu sein, denn sonst könne man ja nicht geliebt werden, wird Wilhelm in der Nicht-Erzählung in jenes Oyster-Valley geschickt, in dem er seinen Freund „Wärter“ oder „Werther“ vermutet, um ihm „analog“ den Kopf zu waschen. Denn dass dieser wieder einmal in Liebesverstrickungen steckt, weiß er aus dessen elektronischen Briefen. Die Outfits erinnern samt und sonders an die 70er-Jahre (Kostüme Marilena Büld), eine Zeit also, in der das Internet noch nicht erfunden war und die Dekonstruktion der Moderne noch nicht in den Köpfen aller Intellektueller angekommen war. Einer Zeit aber auch, in der dank der Erfindung der Pille die Frauen eine sexuelle Revolution erlebten und nicht zuletzt dadurch das Patriarchat ins Wanken kam. Von Letzterem ist aber ist im Stück nicht die Rede.

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„Die Leiden der jungen Wärter“ – Schauspielhaus Graz (Foto: Lex Karelly)

Wie sich zeigen wird, ist „Willi“ in einer „Institution“ gelandet, die nach strikten Regeln lebt. Nach außen zumindest. Schon bald wird deutlich, dass es unmöglich ist, die einzelnen Pärchen, die sich als solche definieren, auch wirklich einander zuzuordnen, zu groß ist ihre Fluktuation hin zu anderen Liebesattraktionen. Was noch klar wird ist, dass genannter „Werther“, der niemals in Erscheinung tritt – alle in Oyster-Valley Lebenden in Liebesschmerzen sitzen hat lassen. Am überzeugendsten bringt dies Fräulein C. zum Ausdruck – die sich an einer Stelle ihr Liebesleid mit einer „Scheiß“-Tirade aus dem Leib brüllen muss. Es ist eine der wenigen Stellen, in der die Emotion hochkochen darf und auch in den Publikumsrang überschwappt.

Untermalt wird das Geschehen mit Musik, begonnen von Wagner´schen Klängen über amerikanische 70er-Jahre Schnulzen bis hin zu französisch-afrikanischem Soft-Rap. In raschem Tempo wird nicht nur über die gesellschaftlichen Regeln verhandelt, die darin gipfeln, ausgerechnet an einem freien Nachmittag Sport machen zu müssen. Ein Großteil des Textes befasst sich mit der Ökonomisierung der Sexualität und den daraus resultierenden, entgrenzten Beziehungszuständen.

Patrick Firmin Bimazubute, Romain Clavareau, Paul Enev, Alina Haushammer, Fanny Holzer, Carmen Kirschner, Ioana Nitulescu, Nataya Sam und Mia Wiederstein dürfen bei zwei Nummern auch ihr Sangestalent unter Beweis stellen und einmal im Gänsemarsch gymnastische Übungen absolvieren, sodass der Eindruck einer genreübergreifenden Inszenierung mit Revue-Touch entsteht. Dass der Schauspielnachwuchs dabei Freude hat, ist spürbar. Dass er dabei aber selbst auch immer ernst bleiben kann, erstaunt.

Trotz vieler klamaukhafter Überzeichnungen bleibt dennoch ein bitterer Nachgeschmack. Wo ist sie hin, diese romantische Liebe, von der alle noch tief in ihrem Inneren einen Schmerz verspüren? Und ist es wirklich so, dass man am Beginn einer Leidenschaft schon zwangsläufig an ihr Ende denken muss, wie glaubhaft versichert wird?

Ein Theaterabend, der durch die Leistung der Studierenden beeindruckt und getragen wird. Ein Abend, der auch die Regie mit Lob bedenken darf. Aber auch ein Abend, der zeigt, wie gut dem Theater große Gefühle und Erzählungen tun. Gerade weil sie hier fehlten.

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