Die Angst, etwas zu verpassen

Die Angst, etwas zu verpassen

Michaela Preiner

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21.

Juni 2016

Urban dance ist mit der Gruppe "Hungry sharks" in Österreich auf einem hohen künstlerischen Level angelangt.

Wie ist das, wenn man sich einmal zwei Tage aus seinen Social-Media-Anschlüssen ausklinkt? Fehlt etwas, wenn man das Handy einfach Handy sein lässt oder gewinnt man vielleicht sogar etwas von dieser neuen Erfahrung? Machen Videospiele abhängig? Ist das in der Hosentasche getragene Smartphone ein treuerer Begleiter als Freunde in Fleisch und Blut?

#FOMO the fear of missing out (c) Dusana Baltic

Hungry sharks #FOMO the fear of missing out (c) Dusana Baltic

Bereits zum zweiten Mal gastierten „Hungry Sharks“ im Dschungel in Wien. Nach Anthropozän, in dem sie dem Phänomen der Erdzerstörung durch den Menschen nachspürten, kamen sie diesmal auf Einladung des Festivals „Szene bunte Wähne“ wieder nach Wien. In „#FOMO The fear of missing out“ unter der Choreografie von Valentin (Knuffelbunt) Alfery, der auch selbst in der Gruppe mittanzt, behandelt die urbane Tanzkompanie ein brandaktuelles Thema: Den exzessiven Medienkonsum, der sich längst von den Fernsehschirmen hin zu den Smartphones verlagert hat. Neben Alfery zeigen Moritz Steinwender, Patrick Gutensohn, Frague Moser-Kindler und Farah Deen als einzige Frau in der Truppe, dass es möglich ist, mit Mitteln der urbanen Tanzstile zeitgeistige Themen auch bühnenwirksam für ein größeres Publikum zu behandeln. Breaking, Locking, Popping, House und HipHop-Freestyle werden von ihnen so gekonnt in einer 55-minütigen Show eingesetzt, als handle es sich dabei um ein längst etabliertes zeitgenössisches Tanzgenre.

Tatsächlich betreiben „Hungry Sharks“ in Österreich jedoch noch Pionierarbeit. Normalerweise batteln sie gegeneinander, aber vor einem kleinen, überschaubaren Publikum. „Es sind immer dieselben 100 Hanseln, die sich das anschauen“, beschrieb einer der Tänzer beim Publikumsgespräch die eingefleischte Fangemeinde. Eine Förderung des Bundeskanzleramtes macht es nun möglich, ihre Auftritte in einer Tour vor viel mehr jungen Menschen zu absolvieren als bisher.

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Alfery präsentiert gleich zu Beginn ein kraftvolles, aber zugleich höchst ästhetisches Intro, in dem seine verschiedenen Moves fließend ineinander übergehen. Damit macht er auch klar, dass Urban Dance mit ihm und seiner Kompanie auf einem künstlerischen Level angekommen ist, auf dem er sich als eigenständige Spielart des zeitgenössischen Tanzes zu etablieren beginnt.

Das Zusammenspiel der Truppe ist perfekt getimt und folgt einer stringenten Dramaturgie. Nach und nach entwickelt sich auf einer dunklen Bühne – eine Art CI der Hungry Sharks – ein Tanz um das Goldene Kalb, das heute den Namen Smartphone trägt. Dabei kann man auch zusehen, wie aus einem Selfie eine durch Photoshop nachbearbeitete Datei wird, die man nach Belieben auf seinen PC up- und downloaden kann. Ein Schwerpunkt der Inszenierung ist Videospielen gewidmet, wobei das junge Publikum eindeutig erkennt, welche Spiele in die Choreografie aufgenommen wurden. Die Range dabei ist breit – von Super Mario bis zu Kampfspielen wird alles tänzerisch visualisiert, was sich auf den PlayStations rund um den Globus so findet. Was noch vor gar nicht allzu langer Zeit als unhöflich galt – Handys auf der Straße zu verwenden – ist heute gang und gäbe. Diese Allgegenwärtigkeit zeigt sich nicht nur in einem verdunkelten Bühnenmoment, in dem lediglich die hellen Bildschirme der Smartphones zu sehen sind. Auch die Crew beschäftigt sich zeitweise nicht mit sich selbst, sondern jeder für sich mit seinen elektronischen Devices.

Wie im richtigen Leben, so agieren auch auf der Bühne die jungen Tanzenden immer wieder auch ohne Internetzugang, nehmen sich als Individuen wahr, interagieren miteinander face to face, body to body. Ein Einzelner bleibt am Ende dennoch auf der Strecke, dauerverbunden mit dem Netz, unfähig, sich davon noch einmal zu trennen.

Valentin Alferys Statement zur Inszenierung relativiert den reinen kritischen Aspekt: „Wir wollen mit der Inszenierung die neue Technologie nicht verteufeln. Sie gehört zu uns und jeder von uns nutzt sie auch“. Die Frage, ob sich die Crew nach der Erarbeitung des Stückes einen anderen Umgang mit der virtuellen Welt angewöhnt hat, wird von dieser schlicht mit einem allgemeinen Lächeln beantwortet. Sehr zur Freude des jungen Publikums, das jede andere Reaktion wahrscheinlich auch nicht ernst genommen hätte.

An einem neuen Stück wird bereits gearbeitet, Verhandlungen mit einem Veranstalter in Wien haben für eine Vorstellung im Herbst bereits begonnen. Infos gibt´s – wie sollte es anders sein – auf der Facebook-Seite von Hungry Sharks.