Wurmitzer meets Charms

Wurmitzer meets Charms

Aurelia Gruber
19. März 2025

Lesezeit: 5 Minuten

Wurmitzer meets Charms

Aurelia Gruber
19. März 2025

Lesezeit: 5 Minuten

Foto: (Julia Kampichler )
Foto:
Beim Festival der Wortwiege, das unter dem Generalmotto „Courage“ in den Kasematten von Wiener Neustadt stattfindet, inszenierte Ira Süssenbach „Worüber man lacht, wenn es nichts zu lachen gibt“ von Mario Wurmitzer.

Das unter der Schiene ‚Play‘ servierte Menü, in welchem die künstlerische Leiterin Anna Luca Krassnigg das Werk von zeitgenössischen Autorinnen und Autoren präsentiert, enthält ein Amuse-gueule, einen Hauptgang und ein feines Dessert. Eine kulinarische Metapher, die Krassnig für diese Schiene selbst gewählt hat.

Vor Beginn der Inszenierung führt sie selbst in das Werk bzw. in die Arbeit der jeweiligen Autorin oder des Autors ein. Danach folgt die Inszenierung selbst, über welche nach einer kurzen Pause in einem moderierten Gespräch mit Gästen noch einmal nach – gedacht wird.

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Worüber man lacht, wenn es nichts zu lachen gibt • wortwiege (Foto: Julia Kampichler)

Mario Wurmitzer greift in seinem Werk auf ein Stilmittel zurück, welches sich in unterschiedlicher Ausführung zum Beginn des 20. Jahrhunderts erstmals zeigte und danach einige prominente Nachfolger fand. Das Absurde, das die Menschen vor dem 1. Weltkrieg spürten, eine Welt, in der das Bisherige keinen Bestand mehr hat, das Neue sich aber nur durch Unheil vage zeigt, dieses Absurde brach und bricht sich seither Bahn in der Kunst. Egal, ob Literatur, Musik oder Bildende Kunst. Wenn die Welt nicht mehr rational erklärt werden kann, kann es die Kunst auch nicht und argumentiert mit Absurdität.

Wurmitzer gelingt das Kunststück, in seinem Werk die Absurdität noch zu verdoppeln. Sein Alter Ego Maxim trifft auf Daniil Charms. „Pionier des Absurden, Dichter und Dissident im stalinistischen Russland…dessen Werk oft mit Kafka, Ionesco oder Beckett verglichen wird und der heutzutage für Autokraten aller Couleur immer noch unbequem und unheimlich ist.“, wie in der Stückankündigung zu lesen war. Charms verhungerte während der Zeit der Belagerung von St. Petersburg in einem psychiatrischen Gefängnis. Seine Werke wurden erst zu Perestroika-Zeiten veröffentlicht. Wurmitzer konstruiert eine zeitgeistige Geschichte und möchte Charms, den er als intellektuellen Sparringpartner kurzerhand zum Leben erweckte, überreden, in sein Internet-Startup „Die absurde GmbH“ einzusteigen. Er erhofft sich dadurch eine finanzielle Verbesserung seiner Lage, die letztlich auch daran schuld war, dass er von Mariam, seiner Freundin, aus der gemeinsamen Wohnung geworfen wurde.

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Worüber man lacht, wenn es nichts zu lachen gibt • wortwiege (Foto: Julia Kampichler)

Sosehr er auch versucht, Charms von seiner Geschäftsidee zu überzeugen, so wenig sieht dieser darin auch tatsächliche Erfolgsaussichten. Hauptsächlich auch aus dem Grund seiner Abgeklärtheit, die er durch seine Lebenserfahrung und letztlich auch sein Lebensleid erlangte. Die Spritzigkeit, Witzigkeit und Tiefgründigkeit der Dialoge darf ohne Übertreibung als intellektuelles Feuerwerk bezeichnet werden, dem man sich mit Lust ausliefert. Zugleich lässt Charms aber auch immer wieder durchblicken, dass es nie sein Lebensziel war, zu verhungern. Diese dunklen Ansagen, sosehr sie von Hubsi Kramar auch humoristisch vorgetragen werden, machen mehr als deutlich, dass es zu seiner Zeit tatsächlich lebensbedrohlich war, als Außenseiter zu gelten.

Wurmitzer lässt damit sein Absurditäts-Glücksrad jedoch keineswegs stillstehen und dreht noch mehrere Runden daran. In einer weiteren kommt Mariam dazu, nun auch ihrer Wohnung verlustig gegangen, sowie eine vermeintliche Wohnungsbesitzerin. Diese, dargestellt von Ida Golda, entpuppt sich aber nur als Kleinzelt-Besitzerin, die dieses von einem mächtigen Zeltverleih nur gemietet hat. So findet sich das junge Paar – Jamie Petutschnig in der Rolle von Mariam und Etienne Halsdorf in jener von Maxim bald wieder in einer prekären Situation. Nicht nur, dass sie nun beide kein Dach über dem Kopf haben, sie sehen sich auch noch damit konfrontiert, sich möglichst unauffällig den Leihzelteigentümern gegenüber verhalten zu müssen. Wurmitzer umschreibt das neoliberale Machtgefüge, das sich bis hoch in die allerletzten Machtzentren dieser Erde durchgefressen hat, mit der unternehmerischen Aktivität eines Zeltverleihs – was alleine schon an Absurdität nicht mehr zu überbieten ist. Er bedient damit ein subversiv gängiges Aktionsmittel, das immer funktioniert: Mache lächerlich, was dich zu Unrecht peinigt.

Die kluge und zugleich extrem süffige Regie, die ohne großes Bühnenbild auskommt, dennoch aber imstande ist, unterschiedliche Räume zu evozieren, setzt das schauspielerische Können des Ensembles ganz hoch an. Hubsi Kramar brilliert als vergeistigter Charms, dem der Schalk im Nacken jedoch nicht abhandengekommen ist. Etienne Halsdorf anfängliche Sorglosigkeit und sein Draufgängertum als frisch gebackener Start-up-Unternehmer erfahren alsbald tiefe Kratzer.  Jamie Petuschnig kämpft tapfer gegen wirtschaftliche Unbillen und überrascht in einer Szene mit ihrer unglaublichen Gesangsstimme. Kräftig und klar, überaus präsent vom ersten Ton an, gesungen wie ganz selbstverständlich ‚out oft he blue‘ heraus macht sie damit sofort neugierig, sie auch weiterhin bei ihren Auftritten am Radar zu behalten. Ida Golda, auch in der Krassnigg-Inszenierung ‚Alles gerettet‘ in den Kasematten zu sehen, braucht für ihre starke Bühnenpräsenz dementsprechende Kolleginnen und Kollegen, die sie hier auch gefunden hat. Egal, ob als führungsstarke Leiterin ihrer Abteilung, oder als danach selbständige und unsichere Zeltbesitzerin, jede ausgespielte Nuance sitzt. Ihre Rolle als im Wirtschaftsrad Aktive, steht im Gegensatz zu den anderen, die in ihren schreibenden Berufen in dieser durchnormierten Welt keinen Platz finden können.

Dass in der Situation zwischen Repression und Turbokapitalismus kreativen Menschen aus dem Kulturbereich jeglicher Freiraum fehlt, liegt auf der Hand – so auch der Schluss, der kein Happy-End in Aussicht stellt.

„Worüber man lacht, wenn es nichts zu lachen gibt“ ist ein Paradestück von dramatischer Literatur, die sich mit den gesellschaftlichen Zuständen unserer Zeit auseinandersetzt, ohne dabei einen Zeigefinger zu erheben. Es ist per se der erhobene Zeigefinger, vom ersten bis zum letzten Satz. Die Inszenierung von Ira Süssenbach wäre für eine Tournee in kleinen Häusern prädestiniert. Das Stück selbst für Inszenierungen an den großen Bühnen im deutschsprachigen Raum.