Io sono – je suis – ich binIo sono – je suis – ich bin

Io sono – je suis – ich binIo sono – je suis – ich bin

Michaela Preiner

Foto: ( )

9.

Februar 2011

Enrico Tedde agiert auf der Bühne in einem komplexen, zugleich materialtechnisch gesehen aber auch einfachen Bühnenbild. Rote, blaue, gelbe, grüne, weiße und schwarze Seile sind in alle Richtungen hin verspannt und begrenzen den ohnehin schon beengten Bühnenraum zusätzlich. In der Diagonale quer über die Bühne zu einem Wandelgang hin nach oben gezogen, vom Publikum an […]

Enrico Tedde agiert auf der Bühne in einem komplexen, zugleich materialtechnisch gesehen aber auch einfachen Bühnenbild. Rote, blaue, gelbe, grüne, weiße und schwarze Seile sind in alle Richtungen hin verspannt und begrenzen den ohnehin schon beengten Bühnenraum zusätzlich. In der Diagonale quer über die Bühne zu einem Wandelgang hin nach oben gezogen, vom Publikum an der Bühnenvorderkante parallel abgetrennt, aber auch auf einer schiefen Ebene den schon erwähnten Schreibtisch haltend, zieht sich das Gewirr der bunten Schnüre in alle Richtungen. Rasch wird klar, dass es diese vorgegebenen Bahnen sind, die den Menschen begrenzen, einengen, ihn in Begrenzungen laufen und denken lassen und nur unter Kraftanstrengungen überwunden werden können. Ein gängiges sprachliches Bild für das, was Tedde zu Beginn in seiner Performance zeigt, wäre das viel zitierte „Hamsterrad“, aus welchem man, einmal platziert, nicht mehr auszubrechen imstande ist. Teddes „verspannte Welt“ wirkt durch ihre Abgrenzungen so stark auf den Menschen, dass dieser in ihr schließlich ebenfalls nichts als Verspannungen erlebt. Gäbe es nicht Johann Sebastian Bach.

Seine Musik ist es, die den getriebenen, hektischen Mann, der immer und immer wieder aufs Neue, fast wie unter Zwang, seine Utensilien am Schreibtisch penibel genau anordnen muss, in Sekundenschnelle aus dem Alltagswahnsinn aushebelt. Wenn Tedde sich den schwarzen Kopfhörer aufsetzt, ertönt, für alle hörbar, ein Bachchoral aus der Johannespassion. Seine Wandlung, die daraufhin einsetzt, wird durch eine beredte Körpersprache verdeutlicht. Erleuchtet, entrückt und verzückt, das sind jene Befindlichkeiten, in die Tedde unverzüglich eintaucht, ja ab- und forttaucht aus dem, was sein Leben innerhalb all seiner Begrenzungen noch Sekunden zuvor ausmachte. Doch kurz, allzu kurz nur sind jene überirdisch schönen Momente, als dass sie auch tatsächlich nachhaltigen Einfluss auf das Leben ausüben könnten. Der Mensch bleibt, was er war, ein hektisch, von äußeren Umständen und inneren Zwängen Getriebener, der erst dann bereit für eine Katharsis ist, wenn er aus der scheinbar unveränderbaren Bahn geworfen wird. Und das wird er bei Tedde im wahrsten Sinne des Wortes. Auf seine wirre Spracheinleitung folgt ein wilder Tanz, ein atemloses Aufbegehren, eine Fremdbestimmtheit, die seinen Körper nach ungezählten Schlägen, die er akustisch einstecken musste, in einen Alien verwandelt. Unfähig, sich harmonisch zu bewegen, muss er nun, gleich einem Roboter, mit zackigen Gesten den Raum durchtanzen, der für ihn dadurch ganz andere Hindernisse bereithält. Unversehens befindet er sich plötzlich außerhalb der Begrenzungen, kommt außerhalb jenes Ortes zu stehen, in welchem er wenige Augenblicke zuvor noch zwangsbeheimatet war. Die Musik wechselt, der harte Beat verstummt, geheimnisvolle Stimmen führen über in ein ruhiges Lamento. Giorgio Tedde erzeugte mit dieser Soundeinspielung einen ätherischen Gegenraum zu jenem, der mit den Augen sichtbar auf der Bühne aufgebaut ist. Es ist nicht zuletzt diese akustische Untermalung, die alles vom zuvor so Gepeinigten abfallen lässt, was gerade noch Gültigkeit und Wert hatte. Hart und zart zugleich trifft das Licht nun punktgenau auf Enrico Teddes sich ganz langsam entblößenden Körper und taucht alles andere ins Dunkel. „Io sono – je suis – ich bin“ – diese Worte sind jetzt nicht zu hören und doch treffen sie in diesem Moment ganz besonders auf diesen schutzlosen Menschen zu, der gerade im Begriffe ist, sich neu zu erfinden. Ob Krankheit oder ein anderer Schicksalsschlag, es gibt vieles, was uns aus der Bahn werfen kann. Selig sind jene, die in solchen Situationen das erleben dürfen, was der Tänzer hier vorzeigt. Rinascita, eine Wiedergeburt, noch einmal von vorne anfangen – wer würde das nicht gerne! Der schwebende Zustand, zur Bach´schen Musik, wird nun auf einmal auch ohne Kopfhörer erreicht. Enrico Teddes Definition vom Paradies am Ende oder auch am Anfang des Lebens, in welchem der Mensch unschuldig ganz bei sich ist und nicht mehr benötigt, als die berauschende Hülle sphärisch schöner Klänge, ist beeindruckend.

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