Alix Eynaudi zeigte mit „Edelweiß“ im Tanzquartier ein getanztes Rebus, das seinen Namen verdient. Wer auf Auflösung hoffte, grübelt wahrscheinlich immer noch.
Eine junge Frau steht in der ersten Reihe auf und betritt langsam die Bühne. Sie zieht ihre Stiefel aus und verschwindet hinter einem Vorhang, der mittig im hinteren Teil der Bühne angebracht ist. An der linken Seite tritt ein Mann hinter dem Samtbehang hervor. Macht langsame, beinahe bedächtige Bewegungen, geht in die Knie und versucht so aufzustehen, dass er dabei sein ganzes Gewicht auf seine Fußrücken verlagert hat, kippt dabei aber um. Seltsame Schritte macht er, erweckt den Eindruck, als seien seine Gliedmaßen verbogen. Aus dem Lautsprecher kommen Geräusche wie aus einer Fabrikhalle.
In der nächsten Szene stellt sich eine Frau auf ein kleines Holzpodest und hält ein großes Tuch vor ihren Körper. Eine Schwarz-Weiß-Zeichnung darauf zeigt geometrische Linien und Flächen, die von einer zweiten Frau langsam, ganz langsam scheinbar nachgezeichnet werden. Bald schon treten die beiden in Interaktion und beginnen mit Druck und Gegendruck, mit Zug und Gegenzug und Gewichtsverlagerungen immer wieder neue Körperkonstellationen aufzubauen. Aus einfachsten Grundpositionen entwickeln sich Dreh- und Hebebewegungen, die akrobatisch wirken. Der Sound hat sich gewandelt, Vögel zwitschern, ein Hund bellt. Ein langer, inniger Kuss der beiden beendet die Szene.
Im Film würde man Cut sagen – und so wirkt auch der Übergang zur nächsten Szene. Unvermittelt treten nun nacheinander Alix Eynaudi, Mark Lorimer, Cécile Tonizzo und Alice Chauchat auf die Bühne. Sie tragen Kostüme von An Breugelmans, ganz im Stil der Reformkleider, die Emilie Flöge für sich und Gustav Klimt zu Beginn des vorigen Jahrhunderts entwarf. „Raus aus dem engen Korsett und dem Hemd mit Vatermörderkragen“ war die Devise und als ob Breugelmans diese Geste ins Heute übersetzen wollte, hat dann auch das lange, cremefarbene Kleid von Alice Chauchat über ihrer Brust keinen Stoff. Kleine Einzelchoreografien, so als ob die Tänzerinnen und der Tänzer jeweils eine andere Musik hörten, bestimmen nun den Ablauf.
Wieder Szenenwechsel. Nun sind es zwei Lautsprecher, die die Hauptrolle auf der Bühne spielen. Aus ihnen ertönen Geräusche, die zu Beginn an R2-D2 erinnern, dem berühmten Starwars-Roboter. Bald schon werden die Lautsprecher über die Bühne geschoben, um die eigene Achse gedreht, gegenübergestellt, damit sie besser kommunizieren können. Offenbar färbt die Technik auf Mark Lorimer ab, der beginnt, sich wie ein Roboter zu bewegen. Nach einer kleinen Lichteinlage gibt es ein Zwischenspiel mit einer kleinen Holzskulptur. Sie steht vor der Tänzerin am Boden, wird von ihr hochgehoben und wie ein Fetisch präsentiert und mit ihr schließlich auch getanzt. Eine wunderbare Flötenmusik, Marke Minimal-Ethnomusic, untermalt die poetische Darbietung.
Immer wieder finden sich Bewegungen, die schwimmende Fische imitieren. Der Daumen, an dem gelutscht wird, das Kitzeln von Fußsohlen – all das was hier momenthaft aufblitzt, erlebte man in seiner Kinderzeit selbst. Vierfüßler krabbeln quer über die Bühne, in der Erde wird gegraben, von Bäumen etwas gepflückt, oder sind das Assoziationen, die nur im eigenen Kopf stattfinden?
In den letzten Bildern werden Männer-Frauen-Beziehungen gezeigt, die sowohl eine körperliche, als auch beziehungsmäßige Aussagekraft haben. In einer Dreierkombination erwecken die Frauen einen marionettenhaften Eindruck, werden von Lorimer sichtbar fremdbestimmt. Der Rätsel noch nicht genug werden zwei Zeichnungen präsentiert, die einen Fisch und einen Penis darstellen. Symbole, die sich auf den ersten Blick widersprechen. Der Fisch als christliches Symbol schlechthin wird dem Phallussymbol gegenübergestellt. Einmal wird es über diesem, dann wieder unter diesem präsentiert. Ist dies der ultimative Hinweis zum Geschehen? Kann dies als jene Bipolarität unseres Lebens aufgefasst werden, die allgegenwärtig ist? Geist versus Körper, das Verlangen gegen die Enthaltsamkeit? Oder führt uns Eynaudi einfach frech auf eine falsche Fährte? Lässt unsere Gedanken im Kreis wandern, ohne je anzukommen?
„Edelweiß inspiriert sich an Gustav Klimt und Emilie Flöge, an Sport, an den Aquarien des 19. Jahrhunderts, an Babys, den 70ern, der Zukunft und an dem Künstler Lucio Fontana“. Liest man die kurze Erklärung aus dem Programmheft, so kann man viele der gezeigten Bilder auch tatsächlich in diese Aufzählung einordnen, aber man kann sie auch ganz anders dekodieren. Oder sie stehen lassen, als getanztes Rebus, das unendlich viele, wunderbare, neue Bewegungsmuster und Figuren anbietet, aber letztlich nicht aufgelöst werden soll. Eine Fundgrube für Tänzerinnen und Tänzer und für das Publikum eine Inspirationsquelle, die erlaubt, der eigenen Fantasie Flügel wachsen zu lassen.