Im Herzen Deutschlands, in Aschaffenburg, befindet sich die Galerie 99. Würde man eine Umfrage machen, welches Programm die Galerie 99 vertritt, würde es wohl nicht erraten werden. Der Inhaber Peter Faeth hat sich auf zeitgenössische chinesische Kunst spezialisiert und verfolgt dieses Programm nun schon seit 10 Jahren. Der Name “ 99 “ gesprochen „neun neun“ ist der chinesische Name des Sohnes von Faeth, der 1999 geboren ist. Die Zahl 99 hat im Chinesischen die Bedeutung „auf immer und ewig“ und 9 ist auch die kaiserliche Zahl. So hat der Kaiserpalast in Beijing 9999 Räume. Somit wäre das kleine Geheimnis rund um die sinnvolle Namensgebung der Galerie gelüftet.
Grund genug also, dieses Jubiläum ausgiebig zu feiern. Und da aller guten Dinge immer drei sind, kommen in diesem Jubiläumsjahr gleich drei Jubiläumsausstellungen nach Aschaffenburg. Begonnen wird mit der Schau 10:15. Die Ziffern bezeichnen einerseits die ersten 10 Jahre der Galerie, 15 steht für die Anzahl der Künstlerinnen, die in dieser Ausstellung gezeigt werden. Andererseits symbolisieren sie aber auch die noch frühe Tagesstunde. Die Schau repräsentiert eine geballte Kraft chinesische Frauen-Power, die ein großes Spektrum zeitgenössischer Grafik und Malerei abdecken. Damit dürfte sie wohl einmalig in Deutschland sein, aber auch darüber hinaus. Faeth verlässt sich nicht auf Namen, die international kursieren, sondern ausschließlich auf seinen Geschmack und seine Beziehungen. Das Gros seiner Künstlerinnen und Künstler hat in Peking an der Hochschule studiert oder unterrichtet dort. Seine Ausstellungen bringen aber nicht nur die Kunstwerke nach Deutschland, sondern auch sehr oft ihre Schöpferinnen und Schöpfer. Was Peter Faeth hier betreibt, ist Kulturaustausch ganz abseits von großem Gedöns, aber mit umso mehr Nachhaltigkeit. 10 Jahre kontinuierliche Arbeit beweisen dies eindrücklich. Mit Liu Liping, Yang Yang und Pan Ying sollen stellvertretend für alle anderen Protagonistinnen der Ausstellung 10:15 drei Künstlerinnen herausgegriffen werden, die einen ganz speziellen, eigenen Stil entwickelt haben.
Liu Liping arbeitet an der CAFA (Central academy of fine arts) in Peking und hat sich zwei großen Themengebieten verschrieben. Sie beschäftigt sich einerseits mit der Natur und gibt dabei vor allem die in China symbolgeladene Lotusblume in ihren verschiedenen Stadien und während der unterschiedlichen Jahreszeiten wieder. Andererseits widmet sie sich ausgiebig dem Thema des weiblichen Aktes. In China steht die Lotusblume für absolute Reinheit und Perfektion.
Die beiden Arbeiten „Lotus im Winter“ und „Steine im Schnee“ zeigen eindrucksvoll, welchen Zugang Liu Liping zur Malerei gefunden hat. Es ist der Versuch, sich über einen Realismus, der dennoch nicht mit einem Fotorealismus zu vergleichen ist, dem Phänomen der Malerei, aber auch dem der Natur zu nähern. Die Schwarz-Weiß-Reduzierung darf nicht automatisch als rein grafisches Stilmittel missinterpretiert werden.
Im Ölbild der „Steine im Schnee“ sind es vor allem die malerischen Elemente, die stilbildend wirken. Der Einsatz von Farbe und Fläche steht vor jenem der Linie. Ein wenig anders ist dies im ausgestellten Lotusbild. Gerade mit diesem Werk steht sie ganz in der asiatischen Tradition der Linie, die sich auch mit der Kontemplation während des Arbeitens am Werk aber auch während des Betrachtens auseinandersetzt. Zwei schöne Beispiele, wie Liu Liping chinesische Mal- und Zeichentradition in sanfter Weise zu erneuern versteht.
Yang Yang, eine Künstlerin, die sich einer breiten technischen Ausdruckspalette bedient, ist in der Ausstellung der Galerie 99 mit zwei bemerkenswerten Gemälden vertreten.
Ihre nur 36 x 36 cm großen fotorealistischen Porträts eines kleinen Jungen, über dessen Kopf Wasser aus einer Dusche fließt, betitelt sie mit „Shower baby 1“ und „…2“. Was Yang Yang hier zeigt, bezieht sich einerseits auf eine Jahrhunderte alte Tradition der Portraitmalerei in Europa, die ihren ersten Höhepunkt, den man hier vergleichend einsetzen kann, in der Renaissance fand. Wie in jener Epoche, reduziert die Künstlerin das Geschehen auf das Porträt und setzt es vor einen einheitlichen, farbigen Hintergrund, was bewirkt, dass alle Aufmerksamkeit des Betrachters dem Antlitz des Kindes vorbehalten bleibt.
Andererseits verbindet sie diese Tradition mit einem asiatischen Motiv, denn der kleine, schwarzhaarige Junge ist, obwohl er seine Augen geschlossen hat, als Asiate erkennbar. Die technische Perfektion gibt Auskunft, wie intensiv sich die Künstlerin mit ihrem Genre auseinandergesetzt hat und fasziniert zugleich enorm. Ihre Kunst kann getrost als globaler Ost-West-Spagat verstanden werden, wenngleich gerade die realistische Malerei in China ja seit der Machtergreifung der Kommunisten immer hoch im Kurs stand. Ihre „Privatisierung“ jedoch, das Aufzeigen eines Themas in einem extrem intimen Lebensbereich, ist ein neues Phänomen der asiatischen Malerei, das sich – und das bleibt in unserer globalisierten Welt nicht aus – selbstverständlich auch aus westlichen Vorbildern speist.
Pan Ying, die aus einer Künstlerfamilie stammt, widmet ihr Werk der künstlerischen Wiedergabe chinesischer Minderheiten.
„Yi Minorität“ und „Tajik Minorität“ sind ihre beiden Papierarbeiten betitelt, die mit Tusche und Farbe gestaltet wurden. Zwei Bilder, die man ad hoc nicht einer Künstlerin aus China zugeschrieben hätte und die auch wegen ihrer jeweiligen ausführlichen Beschreibung der jeweiligen Tracht der Frauen, als zeithistorisches Dokument gelten können.Der zweite große Themenkreis wird von Pan Ying in abstrahierter Form ausgedrückt – mit Tuschearbeiten widmet sie sich Bändern und Verwebten – zwei typisch weibliche Themen.
Die Ausstellung, die bis zum 28.3. zu sehen ist, ist einerseits Kennern der Materie zu empfehlen, andererseits aber auch Einsteigerinnen und Einsteigern in die chinesische Kunstproduktion unserer Zeit. Denn sie gibt einen weit gespannten Überblick, für den man sich normalerweise in Millionenstädte begeben muss. Darüber hinaus besteht in der Galerie 99 immer die Möglichkeit sich persönlich nähere Informationen zu den Künstlerinnen zu holen – ein Mehrwert, den ein Museum meist nicht bieten kann. Auf die beiden noch kommenden Jubiläumsausstellungen darf man schon gespannt sein. Die folgende ist eine Gemeinschaftsschau von 20 männlichen Künstlern und danach werden Arbeiten von Yuan Yusheng gezeigt. Er wird in China bereits als „lebende Legende“ bezeichnet.
Mit den ersten 10 Bestandsjahren ist also bereits ein kleiner Schritt im Hinblick auf die Ewigkeit getan. Für die Beständigkeit einer Galerie jedoch wurde damit nicht nur ein festes Fundament, sondern schon darüber hinaus gebaut. Herzliche Glückwünsche!
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