Woyzeck on the Highveld

Woyzeck on the Highveld

Michaela Preiner
15. Dezember 2009

Lesezeit: 4 Minuten

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Die hölzerne, rohe Konstruktion auf der Bühne – ein vergrößertes Kasperletheater mit dem Charme einer Kohlenmine – markiert das Umfeld, in dem sich das Drama von Woyzeck abspielt. Wir befinden uns in Südafrika in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts. Das Land, in dem die industrielle Revolution in vollem Gange ist, bot William Kentridge die […]

Die hölzerne, rohe Konstruktion auf der Bühne – ein vergrößertes Kasperletheater mit dem Charme einer Kohlenmine – markiert das Umfeld, in dem sich das Drama von Woyzeck abspielt.

Woyzeck on the Highveld D'après Georg Büchner Mise en scène William Kentridge  © Barney Simon

Woyzeck on the Highveld D'après Georg Büchner Mise en scène William Kentridge © Barney Simon

Wir befinden uns in Südafrika in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts. Das Land, in dem die industrielle Revolution in vollem Gange ist, bot William Kentridge die richtige Staffage für das Stück von Georg Büchner, das dieser im Vormärz verfasste.

Kentridge, international bekannt als bildender Künstler, der grenzübergreifend arbeitet, schuf für die Bühnenfassung die mit Puppen aufgeführt wird, neben der Grundkonzeption der Inszenierung eine filmische Grundlage, die hinter den agierenden Personen in schwarz-weiß- Zeichnungen abläuft. Die aus Holz grob geschnitzten Puppen werden von Schauspielern und einer Schauspielerin bewegt, die dabei auch zu sehen sind. Diese Ausdrucksform verdoppelt die dargestellten Charaktere und bringt eine zusätzliche, psychologische Komponente ins Geschehen.

Woyzeck, bei einem Hauptmann in Diensten, ist ein träumerischer, grüblerischer Mann, der über den Sinn des Lebens und die Ungerechtigkeiten nachdenkt. Die Leinwand, auf der die gezeichneten Filme von Kentridge zu sehen sind, fungiert auf dreierlei Art und Weise. Sie zeigt einerseits das Innere der jeweiligen Räume, die Landschaft in der sich die Figuren bewegen, aber auch, was in den Köpfen der jeweiligen Protagonisten vorgeht. Und so wird schon kurz nach Beginn deutlich, dass Woyzeck psychische Probleme hat. Während er dabei ist, den Tisch zu decken, entsteht eine derarte Unordnung in seinen Gedanken, dass er große Schwierigkeiten bekommt, den Teller, das Besteck und das Glas ordnungsgemäß anzuordnen. Eine schöne Szene, untermalt mit Musik, die auch in einem weiteren Bild ein tragendes Element darstellt. Der weiße Arzt, der am lebenden Subjekt – sprich Woyzeck- forscht, hält ein Abhörgerät an Woyzecks Ohr. Im selben Moment erklingen afrikanische Lieder. Verwundert dreht er das Hörgerät zu sich, hält es an sein Ohr – und klassische Cellomusik ertönt darauf hin. Dieses Spiel treibt er noch mehrere Male, begleitet von animierten Zeichnungen auf der Leinwand, die Gedanken Woyzecks und des Arztes aufzeigen.

Marie ist es, an die der Knecht denken muss, seine große Liebe, sein Ankerpunkt in der wirren, unübersichtlichen und ungerechten Welt. Sie tritt resolut mit kariertem Umhang und kariertem Rock als selbstbewusste Frau auf, die sich von einem Minenarbeiter verführen lässt, der im richtigen Augenblick gekonnt seine Muskeln spielen lässt. Ihre Untreue lässt Woyzeck schließlich zum Mörder werden, der seine Wut und Verzweiflung gerade an jenem Menschen auslässt, dem er eigentlich am nächsten stand.

Die karikierte Darstellung der beiden weißen Protagonisten – des Dienstherren Woyzecks und des Arztes – zeigt eine unverhohlene Kritik am ehemals weißen Regime Südafrikas. Keine der schwarzen Figuren jedoch ist in der Lage, intellektuell dagegen zu halten. In einer schönen Metapher, die sich auf die „Dressur“ des Menschen bezieht, wird vorgeführt, wie ein Nashorn zum gelehrigen Schüler mutiert. Ein schwarzer Conférencier, der das Stück über immer wieder mit kurzen, erklärenden Auftritten belebt, führt dem Publikum allerlei Rechenkünste vor, die das Nashorn durchführt. Auf die Frage, wie viele Kinder denn ein Herr aus dem Publikum habe, scharrt es mit einem Huf zig-Male auf dem Boden. Der Schwierigkeitsgrad der gestellten Aufgaben steigert sich, bis das Tier zu Ende der Dressurvorführung sich selbst erschießt. Dies, in dem es an einer Schnur zieht, die an seinem Horn festgebunden ist, welche mit dem Auslöser eines Revolvers verbunden wurde. Der Conférencier, der den Revolver in Händen hält, zielt auf das Tier, das gerade beginnt, sich zu wehren – dabei aber selbst den Auslöser betätigt. Was nützt dem Menschen Erziehung, wenn er in letzter Konsequenz keine Unabhängigkeit erlangt? Kentdrige hat diese brisante Frage, die nicht nur Südafrika, sein Heimatland betrifft, mit diesem Gleichnis eindringlich auf den Punkt gebracht. Ein Bild, das bei den Zuseherinnen und Zusehern im Kopf bleiben wird und noch lange nachhallt.

Die Aufführungen im TNS sind die letzten dieser Inszenierung. Sie wurde im Jahr 1992 das erste Mal in Südafrika mit dem Ensemble der Handspring Puppet Companie auf die Bühne gebracht und tourte seither mit enormem Erfolg durch viele Länder. Ein Beweis seiner universalen Aussagekraft, die über Jahrhunderte und Kontinente hinweg die Menschen noch immer berührt. Das TNS (Nationaltheater in Straßburg) zeigte mit diesem Gastspiel wieder einmal seine internationale Ausrichtung, die gerade in Straßburg bestens am Platze ist. Eine eigene Vorstellung für Europaparlamentarier hätte wohl Sinn gemacht.

Zu sehen noch bis 20. Dezember im TNS.

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