Von Wien ins Burgenland und nach ‚Chikago‘

Von Wien ins Burgenland und nach ‚Chikago‘

Aurelia Gruber

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5.

März 2022

Die Theatercompagnie ‚wortwiege‘ ist wieder in den Wiener Neustädter Kasematten gelandet. Dieses Jahr wurde die Spielzeit auf zwei Festivalperioden erweitert. Eine von Mitte Februar bis Mitte März und eine zweite, die im September beginnen wird. Das Auftaktprogramm steht unter dem Motto „Szene Österreich“ und bringt zwei Werke österreichischer Provenienz auf die Bühne.

Herr Grillparzer

„Herr Grillparzer fasst sich ein Herz und fährt mit dem Donaudampfer ans Schwarze Meer“ ist der opulente Titel eines Stückes von Erwin Riess. Darin beschreibt er das Aufeinandertreffen einer jungen Ungarin mit dem alternden Franz Grillparzer, der sich auf eine Reise von Wien nach Athen begeben hat. Sowohl er als auch die junge Frau flüchten vor den Umständen ihres Heimatortes. Riess gelingt es, Franz Grillparzer als einen Menschen zwischen Zaudern und Beharren, zwischen aktivem Kreativitätsschub und grantlerischer Lethargie greifbar zu machen. Csilla, seine ihm zugeteilte Stewardess, entpuppt sich rasch als wissbegierige junge Frau. Sie erkennt in dem Schriftsteller eine unverhoffte Bildungschance, vielleicht sogar einen Ausstieg aus ihrem Taglöhnerdasein.

Mit der Form einer „Szenischen Skizze“, wie Anna Maria Krassnigg dieses spezielle Format nennt, wechselt das Geschehen auf der atmosphärisch eingerichteten Bühne von Lydia Hofmann permanent zwischen freiem Spiel und Lesung. Dadurch schafft die literaturbesessene Theatermacherin einen eigenen Raum, der sich zwischen dem geschriebenen Wort und seiner darstellenden Umsetzung auf der Bühne bildet. Dabei gelingen Ein- und Ausblicke sowohl zurück zum Buch als literarischen Ursprungsort als auch zu einer Bühne, auf welcher das Geschriebene eine dreidimensionale Lebendigkeit erfährt. Die herausragende Besetzung – Horst Schily als Grillparzer und Saskia Klar als Csilla, sowie Raphaela Schober in der Apsis des Bühnenraums am Bösendorfer-Konzertflügel, ausgestattet mit einem üppigen, gold glänzenden Schleppenrock, der an schimmernde Wasserreflexionen und Wellen der Donau erinnert, machen die Aufführung zu mehr als einem theatralischen Kleinod. Und vor allem Lust, sich Grillparzer wieder oder auch ganz neu lesend zu nähern.

Chikago

Dasselbe Format, wenngleich auch stofflich gänzlich verschieden, wird dem Publikum in einer zweiten „Bühnenröhre“ der Kasematten mit dem Stück „Chikago“ präsentiert. Es ist dies eine dramatische Bearbeitung des gleichnamigen Romans von Theodora Bauer. Karl Baratta und Marie-Therese Handle-Pfeiffer schufen die Bühnenfassung. Dabei blieb der Sprachdiktus von Bauer erhalten, der sich von poetisch-erzählerischen Passagen hin zu rohen, fast kantigen Dialogen spannt.

Mit Anna (Nina Gabriel) und Katica (Anna Maria Krassnigg) werden zwei Schwestern aus dem Burgenland der 20er-Jahre des vorigen Jahrhunderts vorgestellt, die sich mit einem jungen Mann, Niko Lukic, aus ihrem Ort nach einem dramatischen Ereignis „ins Amerika“ aufmachen. Der Roman erzählt eine Familiengeschichte über drei Generationen hinweg. Er berichtet vom Auswandern genauso wie vom Zurückkommen und erklärt auf sehr anschauliche Weise, wie junge Menschen politisch radikalisiert werden können. Auch diese Inszenierung lebt von einer musikalischen Besonderheit. Christian Mair agiert sowohl am Hackbrett als auch an einem Sampler und untermalt das Geschehen mit zarten Klangspuren bis hin zu jazzigen Rhythmen und deutschem Liedgut.

Das Ensemble spielt hinter einer langgezogenen Tafel. Gekennzeichnet nur durch minimale Veränderungen an den Kostümen, schlüpfen Lukic und Krassnigg in mehrere Rollen. Ein Erlebnis, wie sich Krassnigg dabei von blutjungen Mädeln sich zum nationalistischen Anführer einer Jugendgruppe verwandelt. Die Wiederholung eines tragischen Lebens in der familiären Kette Vater-Sohn zeigt Lukic ohne aufgesetzen Pathos lebensnah. Einzig Nina C. Gabriel verkörpert durchgehend eine einzige Person: Anna, die trotz widrigster Umstände ihr Leben meistert und ausgestattet mit einer großen Portion Lebensweisheit auch das politische Geschehen rund um sie herum mit treffenden Aussagen messerscharf analysiert.

Die feinfühlige Staffage von Lydia Hofmann inklusive eines dreidimensionalen Tableaus, das eine amerikanische Skyline inklusive ihr vorgesetzter Freiheitsstatue zeigt, lässt mühelos den Ortswechsel zwischen dem burgenländischen Dorf und der amerikanischen Großstadt zu.

Die „Szenischen Skizzen“, die Anna Maria Krassnigg hier publik macht, würden sich – in gekürzter Fassung – auch extrem gut als Fernsehformat machen. Man stelle sich vor, Bücher würden so vorgestellt werden! Mit einem dramaturgisch gut gesetzten Ende könnte man wahrscheinlich gar nicht anders, als sofort die Buchhandlung seines Vertrauens aufzusuchen und sich diese Lektüre kaufen.

Die Großmutter

Ergänzt wird das Festival in Wiener Neustadt durch sonntägliche Matineen, in welchen auch der Kurzfilm „Die Großmutter“ mit Erni Mangold in der Hauptrolle gezeigt wird. Eine filmische Fassung der wortwiege nach einer Erzählung von Marie von Ebner-Eschenbach. Darin trifft eine alte Frau in ihrer Trauer um ihren Enkelsohn auf einen jungen Anatomie-Arzt. Die Rückwärtsspulung ihres Ganges vom Donauufer hin zur Prosektur erzeugt eine eigene Zeitqualität, die sich vom realen Messen und Erleben einiger Stunden abhebt. Und die den letzten Weg ihres ertrunkenen Enkels, weg vom Wasser, hin in die Leichenhalle, auf subtile Weise nachzeichnet.

Alle Termine finden sich hier wortwiege.at

 

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