Die (8:tension) Serie von ImpulsTanz ist noch nicht zu Ende und wartet mit großen Gegensätzlichkeiten auf. In teilweise als experimentell zu bezeichnenden Produktionen arbeiten sich junge Choreografinnen und Choreografen an Stoffen ab, die sehr persönliche Bezüge aufweisen, aber auch wissenschaftliche Erkenntnisse als Hintergrund haben.
Will Rawls „The Planet-Eaters: Seconds“ zeigte, wie „Mann“ sich eine fremde, regionale Tanztradition aneignen kann.
Was macht ein Afro-Amerikaner, der sich für Tanz interessiert sommers in Mazedonien?
Will Rawls gab in der (8:tension) Reihe des ImpulsTanz Festivals Einblicke in seine Eindrücke einer Reise durch Ex-Jugoslawien. Das Erlebte verarbeitete er in seiner Produktion „The Planet-Eaters: Seconds“ und präsentierte damit gleichzeitig ein wahres Multi-kulti-Tanzgemisch.
Bei seinem damaligen Aufenthalt sei er öfter als Mr. Obama angesprochen worden, erklärte der Tänzer und Choreograf im selbst geschriebenen Text im Programmheft. Während Obama seinen ersten Wahlkampf absolvierte, erkundete Rawls das Land mit seinen vielen Ethnien, das unter Tito Yugoslawien hieß. In Serbien machte er sogar änger Halt, um dort in einer Volkstanzschule Unterricht zu nehmen.
Rawls kommt zu Beginn mit einer Kopfbedeckung auf die Bühne, in der sich das christliche Symbol einer Kirche auf einer afrikanisch inspirierten Maske sitzt. Sofort assoziiert man dieses Kostüm mit Rawls Familiengenalogie. Sein Partner, Chris Kuklis, hat sich zwischen einigen Rollen Grasteppich versteckt, die er mit sich herumschleppt. So lange, bis Rawls ihm schließlich mehr mit Gewalt als freiwillig, eine nach der anderen abnimmt. Wie diese Aktion, so passen auch das Absetzen seiner Maske und das Anziehen eines Overalls, der dieselbe Musterung wie jene von Kuklis trägt, zu der Idee, das Aneignen einer fremden Kultur in Bildern zu veranschaulichen.
Den Rhythmus des Balkan muss man üben
Eins, zwei, eins, zwei, drei, eins, zwei, eins, zwei, drei. Ausdauernd übt Rawls gemeinsam mit seinem Partner den Rhythmus, der viele der Tänze, die am Balkan gesungen werden, markieren. Kuklis ist für die Musik an diesem Abend zuständig und greift dazu auch selbst zur Gitarre. Über lange Strecken hinweg bleiben die Bewegungen der beiden Männer jedoch ohne musikalische Begleitung. Es sind einzelne, einprägsame Szenen, welche die Vorstellung takten ohne dass jedoch ein durchgehender, roter Erzählfaden erkennbar wäre. Das Einübung von bestimmten Schrittfolgen, schweißtreibend, da Rawls dabei permanent hüpft, geht unter den gestrengen Augen von Kuklis vonstatten. Immer wieder gibt er dem Tänzer mit seiner Stimmgabel einen feinen Einsatz.
Beim Wort Nigger schlägt das Herz schneller
Um die größte Beschimpfung, die Afro-Amerikaner erdulden müssen, dreht sich eine der berührendsten Szenen des Abends. Darin erzählt der kräftig gebaute Tänzer, wie er von einem Montenegriner damit provoziert wurde. Die Schilderung ist dramaturgisch höchst gelungen. Das Herzklopfen von Rawls, als er sich bewusst wurde, dass sich ein Konflikt anbahnt, der sich nicht zum Guten würde wenden, wird von ihm in einem rhythmischen Gedicht wiedergegeben. Konzentriert sitzt er dabei auf der Bühne, dem Publikum zugewandt. Das Volkslied, das er an diese Szene anschließt, rezitiert er nicht nur in der Landessprache und in Englisch, er vermischt es auch mit kurzen Einspielungen von Laurie Anderson. Seine getanzte, gesungene und gesprochenes Cross-over-Mischung kommt hier auf dem Höhepunkt an und ist atemberaubend.
Was bleibt, sind Archetypen
Ein wilder Sound, der an einen Erdrutsch oder einen Raketenstart erinnert, alleine diese höchst subtile Auswahl zeigt, wie offen Rawls die Interpretationen lässt, und ein dramatischer Lichtwechsel leiten in die Abschlussszene. In dieser kommen Rawls und Kuklis als zwei archetypische Gestalten auf die Bühne. Der eine ganz in Weiß, der andere in Schwarz – ähnlich wie sich im alpenländischen Raum die Männer als Schön- und Schiachperchten verkleiden. Leicht halten sich die beiden Männer an der Hand und tanzen zu Dudelsackklängen einen Reigen. Die nationalen Befindlichkeiten scheinen aufgehoben, was bleibt ist die Dualität von Gut und Böse, von Hell und Dunkel, von Licht- und Nachtgestalten.
Der Versuch, sich einer fremden Tanztradition zu nähern, sie zu inhalieren, in sich aufzunehmen und zu verarbeiten, kann nur ein subjektiver bleiben. Einer, dessen Weg von der eigenen persönlichen Landkarte bestimmt wird. Eine Botschaft, die genauso mehrdeutig bleibt, wie die vielen anderen Interpretationsansätze in dieser Produktion.
Valentina De Piante Niculae M.E.L.T. – Motion, Emotion and Lateral Thinking bei 8:tension
Einen ganz anderen Weg ging die Choreografin und Performerin Valentina De Piante Niculae, die auch als Neurowissenschaftlerin und in der Feldenkraismethode ausgebildet ist. Sie wählte den Weg der Introspektion und ließ Vlad Benescu, Corina Tatarau und Elisabeta Trefas die vermeintlich unergründlichen Tiefen zwischen Körper und Geist ausloten.
Dafür bot sie den Rahmen eines Traumes, in den die Performenden zu Beginn glitten um sich bald in allen möglichen Bewegungselementen zu befinden, die wir im Alltagsleben normalerweise nicht anwenden. Dabei ließ sie die Kniegelenke der Tanzenden immobil erscheinen, sodass diese auch Mühe hatten, überhaupt auf die Beine zu kommen.
Der Sound bewegt den Körper
Eduard Gabia war für den Sound verantwortlich, dem er einen Text aus einem Interview mit Benoît Lachambre hinterlegte. In diesem Jahr leitete Lachambre, der für seine Arbeit einen kinesthätischen Ansatz wählt, beim ImpulsTanz auch einen Workshop. Der Text, zum Teil geflüstert, zum Teil fragmentiert, war nur ansatzweise zu verstehen. Im Vordergrund stand der Rhythmus, der die Tanzenden zum Teil minimal, zum Teil aber peitschend fortbewegte.
In einem statischen Mittelteil ließ De Piante Niculae ihre drei Performenden an den Bühnenrand gehen und dort unbeweglich stehen bleiben. Einzig ihre Mimik begann dort ganz subtil zu sprechen. Von betretenen bis hin zu belustigten Gesichtern variierte ihr Ausdruck und machte einmal mehr klar, wie sehr gerade diese Art von Körpersprache normalerweise im Tanz vernachlässigt wird. Sosehr man meinte, die Emotionen dieser drei Menschen durch ihre beredten Gesichter erraten zu können, so befremdlich wirkte ihre Mimik, als sie kurz darauf sich zu harten Beats bewegten. Es war eine wunderbare tänzerische Veranschaulichung von neurowissenschaftlichen Untersuchungen, in welchen nachgewiesen wurde, dass Bewegung und Emotionen voneinander abhängig sind, sich sogar steuern lassen.
Ein logischer und faszinierender Schulterschluss zwischen Tanz und Neurowissenschaften
Die letzte Szene schloss den Kreis zur Ausgangsszenerie und brachte die Tanzenden wieder zurück auf den Boden, in jene Ausgangpositionen, in welchen sie die Performance begonnen hatten. Ein Abend, der den wissenschaftlichen Ansatz der Choreografie spürbar werden ließ und in dem der logische und zugleich faszinierende Schulterschluss zwischen Tanz und Neurowissenschaften gelang.