Wiener Festwochen reloaded

Vergangenes Wochenende schlossen die Wiener Festwochen ihre Pforten. Grund genug, eine subjektive Rückschau unserer Redaktion auf ein Festival zu halten, das unter der Intendanz von Tomas Zierhofer-Kin eine ziemlich radikale Charakterwandlung erfuhr.

Gleich vorweg: Das Spannende an der Neuaufstellung war, dass das Publikum bei vielen Formaten nicht mit frontalem Kunstkonsum befriedigt wurde. Vielmehr war bei einigen Produktionen nicht nur Partizipation, sondern aktives Mitmachen gefragt. Wer sich auf dies einließ und Zeit genug hatte, die unterschiedlichen Angebote wahrzunehmen, kam sicherlich voll auf seine bzw. ihre Kosten.

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Agora im Schauspielhaus Wien (Foto: Luca Fuchs)

Eines dieser Formate wurde im Schauspielhaus präsentiert: „Agora“, ein Projekt von Robert Misik und Milo Rau lotete an sieben Abenden gelungen aus, wie ein offener Diskurs zu aktuellen, gesellschaftspolitischen Fragen unter Einbeziehung von Bürgerinnen und Bürgern stattfinden kann. Ein Vortrag von Slavoj Žižek wiederum zog derart viele Menschen an, dass sein Gespräch in mehrere Räume des Bildungszentrums der Arbeiterkammer übertragen werden musste, die mit den Festwochen kooperierte. Hier war weniger das Mitdiskutieren angesagt, sondern vielmehr die Möglichkeit, diesen polarisierenden Philosophen in Wien ohne Ticketkosten zu erleben. Wenige Monate zuvor füllte er – gegen Eintritt – das Burgtheater.

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„…struggle of memory against forgetting“ (Foto: ECN)

Das „Performeum“ glänzte neben seinen Performances mit einer Ausstellung, die bei der Documenta in Kassel sofort akzeptiert worden wäre. Hervorzuheben dabei ist „…struggle of memory against forgetting“ der jungen Südafrikanerin Dineo Seshee Bopape. Darin verarbeitete sie Goldfolie, Ziegelsteine, Keramik und getrockneten Lehm und integrierte eine Reihe von alten Plattenspielern und Platten. Darauf zu hören waren Meeresgeräusche sowie der Ruf des Quetzals, einem Vogel, um den sich Freiheitsmythen ranken. Auf kleinen Holztäfelchen waren Jahreszahlen und die Key-Daten von Angriffen auf unterschiedliche, afrikanische Länder und Stämme festgehalten, sowie die Versuche, sich dagegen zur Wehr zu setzen. Wie auch bei den „Gedenksteinen“, die in europäischen Städten, im Boden eingelassen, an Opfer des Nazi-Terrors erinnern, musste man sich auch bei der Installation von Bopape bücken, um die Schrift lesen zu können. Diese Körperhaltung, bei der sich auch unweigerlich das Haupt senkt, ist das Mindeste an Respekt und Ehrerbietung, das die Besuchenden den Opfern dieser Geschehnisse entgegenbringen konnten.

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„Permanent Storm for a Tropical Constellation“ (Foto:ECN)

Genauso eindrücklich erlebte man nur einen Raum weiter Marco Montiel-Stotos „Permanent Storm for a Tropical Constellation“. Was sich im Programmheft höchst artifiziell und komplex las, widersprach der Erfahrung vor Ort. Ein von Wasser umgebenes, höchst fragiles Häuschen, eingerichtet mit allerlei Nippes und Erinnerungsstücken, gab Ausblick auf drei Bildschirme. Darauf zu sehen war die Reise auf einem Boot entlang von Baumhäusern in Maracaibo, eine Reise in ein Elendsviertel mit Zwischenstopps und dem eindringlichen Gefühl, sich selbst in einem dieser Häuser zu befinden. Ähnliche Eindrücke evozierte auch Elisabeth Tambwes „Coco na Chanel“, in der das Publikum die afrikanische Lebensweise in einem Vorort einer Millionenstadt hautnah zu spüren bekam.

Congo na Chanel Fotoneu 26.04

Congo Na Chanel (c) dig-up Production

Auch die großen Produktionen im Museumsquartier oder dem Theater an der Wien widmeten sich dem Fremden, Unbekannten und vor allem auch der Sichtweise von Fremden auf unsere europäische Kultur. Wie zum Beispiel „Les robots ne connaissent pas le Blues oder die Entführung aus dem Serail“ – einer unglaublich spritzigen, witzigen Kurzfassung von Mozarts Werk, das mithilfe afrikanischer Sänger und Tänzer, zusätzlich zum europäischen Ensemble, einen ganz neuen Dreh erhielt.

Les Robots... 4 photocredit Knut Klassen

Les Robots ne connaissent pas le Blues (c) Knut Klassen

Monika Gintersdorfer gelang diese Aufführung wesentlich besser als „Die selbsternannte Aristokratie“, die nach einem ähnlichen, jedoch literarisch angelegten Prinzip funktionierte. Wobei festzustellen ist, dass auch letztgenannte Produktion dem Applaus nach zu messen, beim Publikum unglaublich gut ankam.

Dieses teilte sich – bei den großen Produktionen – in Festwochenbesuchende, für die diese Zeit schon seit Jahren ein Fixpunkt in ihrem kulturellen Kalender darstellt und auffallend viele junge Menschen. Letztere waren es auch, die so mancher Publikumsflucht von älteren Semestern standhielten und das Ende der Produktionen mit langem Applaus bedachten. So geschehen bei Ishvara des Chinesen Tianzuho Chen, das neben Sitzfleisch auch die Bereitschaft erforderte, sich auf eine junge, trashige Ästhetik einzulassen, in der jede Menge Verweise quer durch mehrere Kulturen angesiedelt waren.

Ishvara 1 photocredit Zhang Yan

Ishvara – Foto: Zhang Yan

Aber auch die bereits genannte Produktion „Les robots ne connaissent pas le Blues“ wurde gerade vom jungen Publikum zum Teil mit Standing Ovations bedacht. Gleiches bei „Mondparsifal Alpha 1-8 (Erzmutterz der Abwehrz)“, jenem Auftragswerk an Bernhard Lang und Jonathan Meese, das eingefleischten Wagnerianern Blutsperlen auf die Stirn hätte treiben können. Wer hier jedoch open-minded in die Vorstellung ging, wurde vielfach belohnt. „Battlefield“ vom Duo Brook/Estienne griff wiederum alle Altersschichten ab und servierte ruhiges Erzähltheater entlang eines großen Stoffes.

Energiegeballten Tanz brachte der Brasilianer Bruno Beltrão mit „New Creation: Inoah“ nach Wien. Einem testosterongeschwängerten Werk, in dem sich zeitgenössischer Tanz mit Hip-hop und Street dance innig verschränkte. Lange Applauskaskaden zeigten, wie gut diese Produktion beim altersmäßig sehr gemischten Publikum ankam. Den selben Applauspegel erreichte auch das „Back to back Theatre“, ein Bumerang bei den Wiener Festwochen, der jedes Mal aufs Neue eine große Anhängerschaft anzieht. Der schon hymnischen Berichterstattung zu „Traiskirchen. Das Musical“ muss nichts hinzugefügt werden. Die Akklamationen kamen von Kritik und Publikum gleichermaßen.

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BACK TO BACK THEATRE – LADY EATS APPLE (Foto: Krafft Angerer)

Der kleine Ausschnitt aus dem Festwochenprogramm, den unsere Redaktion bewältigte, spiegelte, entgegen anderer medialer Berichterstattung, eine höchst positive Publikumsbefindlichkeit wieder. Vor allem viele junge Menschen nutzten mit Begeisterung das breite Angebot, das ja auch in vielen Teilen gratis konsumiert werden konnte. Das bewirkte offenkundig eine Öffnung hin zu jenen Gesellschaftsschichten, die zwar kultur- und diskursaffin, aber selten mit einem großen Portemonnaie ausgestattet sind.

Nicht nur das finden wir extrem positiv. Auch, dass die neue Leitung der Festwochen es nicht nur wagte, sondern es durchzog, in diesem alteingesessenen Kultursetting neue Positionen aufzuzeigen, die, und das hat Neues auch an sich, auch scheitern können. „Promised Ends: The Slow Arrow of Sorrow and Madness“ von Derrick Ryan Claude Mitchell war, trotz einer klugen Choreografie, wegen seiner Überlänge und vorhersehbaren Erzählstruktur kein wirkliches Highlight. Publikumsunverständnis heimste sich auch „Macaquinhos“ ein, jene Performance, die den Anus ins Rampenlicht setzte und wenig Anreiz für darüber hinausgehenden Diskussionsstoff bot.

Das negative Medienecho, das derzeit auf das Festwochenteam, allen voran Tomas Zierhofer-Kin hereinprasselt, erinnert an den Widerstand, den der Steirische Herbst in seinen ersten Jahren verspürte. Wer meint, dass die Ausgangsbasis heute eine andere als damals sei, irrt. In den ersten Jahren des Steirischen Herbstes wie auch heute bei den Festwochen war und ist es vor allem das arrivierte Bildungsbürgertum, das zum Sturm auf das Neue, Unbekannte und vor allem Provokative ansetzte. Dass der Steirische Herbst in diesem Jahr sein 50-jähriges Bestehen feiert, ist einzelnen Persönlichkeiten und der Kulturpolitik zu verdanken, die erkannt haben, dass diese Veranstaltungsreihe für zeitgenössische Kunst im weitesten Sinne weit über seine Grenzen hinaus höchste Anerkennung findet. Und damit Graz international zu einem Avantgardezentrum etablierte. Die vielen Personen aus unterschiedlichen Kontinenten und zugleich auch Bevölkerungsschichten, die in Wien an den Festwochen mitarbeiteten, wird diese Stadt als kunstoffen und risikofreudig in Erinnerung bewahren. Nicht als einen europäischen, heiligen, bewahrenden Kulturgral, in dem Kunst sehr hochschwellig nur zur Erbauung einiger weniger produziert wird. Daran sollte man denken, wenn man den alten Festwochen, so schön und interessant sie auch waren, larmoyant nachtrauert.

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2 Kommentare

  1. Sehr eigenwillige Seite: „Man“ bloggt als European Cultural News, und widmet solch kulturpolitischen Schwergewichtern wie den Wiener Festwochen eine „subjektive Rückschau“ – ohne Nennung des Subjekts.
    Das muss viel durchdacht werden. Das ist komplett nicht ernst zu nehmen.

  2. Lieber „der name als solcher“ (welches Subjekt sich auch immer dahinter versteckt), wir nennen bei allen unseren Artikeln die Subjekte in diesem Fall Dr. Michaela Preiner. Kulturkritik ist immer subjektiv, da es sich um keinen naturwissenschaftlichen Versuch handelt, sondern um eine Einschätzung durch Menschen, die nun mal per se subjektiv sind. Weiters widmeten wir den Festwochen wie jedes Jahr einige Artikel, die Sie gerne hier https://www.european-cultural-news.com/category/festwochen/ nachlesen können.

    Beste Grüße aus der Redaktion

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