Wie lange dauert die Ewigkeit

Das Festival Musica widmete den 24. September einem der ganz großen der zeitgenössischen Kunst: Steve Reich. In Zusammenarbeit mit ARTE wurde ein Film präsentiert, der in diesem Jahr produziert wurde und in die Arbeit des Komponisten einführt. Die beiden anschließenden Konzerte – „Drumming“ aus dem Jahre 1971 sowie „Music for 18 musicians“, zwischen 1974 und 1976 komponiert – fanden unter Mitwirkung von Steve Reich statt, was den Abend noch zusätzlich adelte.

Steve Reich - Foto: Wonge Bergmann

Steve Reich - Foto: Wonge Bergmann

Der Film, mit dem Titel „Phase to face“, der vor allem von der persönlichen Erzählweise des Komponisten lebt, wird am 28. September um 23 Uhr in ARTE ausgestrahlt und zeigt eines ganz deutlich: Steve Reich ist nicht nur ein Komponist, der mit seiner Musik die Emotionen des Publikums weckt, sondern er ist auch ein Mensch, der berührt. Gerade seine Art, klar und einfach über sein Schaffen zu erzählen, ohne Schnörkel oder musiktheoretische Floskeln, beeindrucken zutiefst. Ohne ins persönlich Anekdotische abzugleiten, werden seine Entwicklungsschritte deutlich, die sich von einer minimalistischen Arbeit hin zu immer dichteren und komplexeren Kompositionen bewegen. Nicht geplant, und deswegen gerade unübertroffen als Einstieg in die Szenerie ist jener mitgefilmte Anruf, bei welchem Reich die Nachricht übermittelt wird, dass er den diesjährigen Pulitzer-Preis erhalten habe. Sein einfacher Kommentar, dass es zwei Arten von Nachrichten gäbe – gute und schlechte – und er froh sei, dass es sich um eine gute gehandelt habe – zeigen deutliche seine unprätentiöse Haltung.

Viele seiner Werke gehen von einem einfachen Kompositionsprinzip aus, nämlich eine kurze, rhythmische Sequenz von einem zweiten Instrument oder auch Medium übernehmen zu lassen und diese in einer geringfügigen Tempoverschiebung zu spielen. Durch diese Phasenverschiebung wird ein Flirren und Schwirren in der Wahrnehmung erzeugt, welches so vorher in der Musik noch nicht zu hören gewesen war „Eigentlich mache ich nichts anderes als es in der hergebrachten Form des Kanons passiert – ja eigentlich handelt es sich bei meiner Arbeit nur um eine Fußnote des Kanons“, so fasst Reich dieses Prinzip kurz zusammen. Dass sich seine Fußnote jedoch zu einem Lebenswerk ausgedehnt hat zeigt, wie reichhaltig er aus diesem Grundfundus schöpft und arbeitet. Archaische Rhythmik, Jazz aber auch einzelne Klassiker gehören zu seinen Vorbildern.

Das Ensemble Modern/Synergy Vocals, mit welchem Reich den Abend bestritt, stammt aus Frankfurt am Main und arbeitet mit dem Künstler seit den 90er Jahren in Europa kontinuierlich zusammen. Obwohl die Stücke vielen bekannt sind, ist eine live-Aufführung dennoch ein besonderes Erlebnis. Sie zeigt, wie sehr die Musiker durch die ständigen Wiederholungen körperlich gefordert sind und lassen das Bühnengeschehen, auch durch die staffettenartigen Übernahmen von einzelnen Instrumenten, auch choreographisch erleben.

Im Werk „Drumming“ sind es die einfachen Rhythmen, die von den ersten Augenblicken an das Publikum im Bann halten. Die vier Paar gestimmten Bongotrommeln werden von 4 Schlagzeugern bedient, wobei der erste mit einem vorgegebenen, einfachen Rhythmus beginnt, welchen die anderen nachfolgend zu imitieren haben. Aus der einfachen Grundkonstellation generiert sich ein teilweiser dichter, rhythmisch klar nachvollziehbarer Trommelsound, der auch deutlich auf das Ursprungsland Afrika dieser Trommelgattung verweist. Der Westen trommelt Afrika, so könnte eine Zusammenfassung lauten, um diese Komposition von Reich, die von den Musikern durch leichte Improvisationen bei jeder Aufführung abgewandelt werden können, lauten.

Music for 18 musicians wurde an diesem Abend von 19 Personen zur Aufführung gebracht. Auch in diesem Werk wird eine grundsätzlich einfache Rhythmik verwendet, die sich auf die Atmung des Menschen bezieht, der tonale Charakter wird aus 11 verschiedenen, wenngleich sehr verwandten Akkorden gebildet. Die in 9 Sektionen unterteilte Partitur lässt den Musikern – wenn auch geringfügig – so doch Spielraum und beeindruckt das Publikum durch seine scheinbaren, immer wieder kehrenden Wiederholungen, die jedoch mehr aus Abwandlungen denn aus gleichen Wiedergabemomenten bestehen. Die 4 eingesetzten Frauenstimmen gleichen sich den Instrumenten – einer Geige, einem Cello, zwei Klarinetten bzw. Bassklarinetten, drei Marimbas, zwei Xylophonen und einem Metallophon sosehr an, dass sie zeitweise gar nicht mehr als menschliche Stimmen wahrgenommen werden. Die beinahe 1stündige Dauer dieses Stücks bringt es mit sich, dass, auch wenn man gewillt ist, bis zum Schluss dem Kompositionsprinzip aufmerksam zu folgen, ein Punkt eintritt, in welchem man unwillkürlich in eine Art Meditationszustand verfällt, der nichts anderes mehr bewirkt, als sich der an- und abschwellenden Musik hinzugeben. Was ist Zeit, was ist gestern, heute, morgen, was kommt immer wieder, was ist die Ewigkeit – und wie lange dauert sie – all das sind Fragen, die sich in diesem Zustande aufdrängen, ohne beantwortet werden zu können. Steve Reichs „music for 18 musicians“ kann als ein erratischer Block in der Musikgeschichte bezeichnet werden, an welchem kein Hörer, keine Hörerin, aber auch kein Komponist und keine Komponistin vorbeikommt. Es wird – und das hat sich in den letzten Jahren schon gezeigt – als Klassiker der zeitgenössischen Musik bezeichnet werden und dies völlig zu recht.

Die standing ovations im bis auf den letzten Platz ausverkauften Saal der Cité de la musique et de la danse in Strasbourg waren vor allem auch vor dem Hintergrund des Lebenswerkes dieses Ausnahmekomponisten gerechtfertigt.

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