Wer bin ich eigentlich?

Wer bin ich eigentlich?

Michaela Preiner

Foto: ( Edi Haberl )

27.

September 2023

Der Regisseur, Autor und Performer Franz von Strolchen alias Christian Winkler schuf mit der Produktion „Das Schiff des Theseus“ ein postdramatisches Stück zum Thema Roma.

Die „poetisch-dokumentarische Performance“ weist einen starken Bezug zu Graz auf und läuft als Co-Produktion im „Steirischen Herbst“ im Theater am Lend. Das macht Sinn, lautet doch das diesjährige Thema des Festivals „Humans and demons“ und sind doch viele der Beiträge mit ihren Inhalten mit Graz verknüpft.

Der Text stammt vom Ensemble selbst. Bernhard Berl, Vinko Cener, Franciska Farkas, Natalija Teodosieva und Christian Winkler erzählen Geschichten aus ihrem Leben und dem ihrer Vorfahren. Bis auf Natalija und Christian, der den Intro-Part übernimmt, gehören sie alle zur Bevölkerungsgruppe der Roma und stammen aus Österreich, Slowenien, aus Ungarn und Mazedonien. Zwischen den einzelnen Schilderungen arbeiten alle gemeinsam an einem Holzboot mit der Aufschrift Feuerwehr Steiermark. Sie entkernen es, schleifen Teile der Oberfläche ab, lackieren und kleben einzelne Holzteile zusammen.

Moritz Weiß und Ivan Trenev (Fotos Edi Haberl)

Ivan Trenev (Akkordeon) und Moritz Weiß (Klarinette/Bassklarinette) steuern vom Bühnenrand her eine musikalisch-stimmige Untermalung bei. Klezmer mit starkem Balkandrive, aber auch lyrische Stücke, gut ins Ohr gehend, sowie dramatisch Klingendes, wenn sich das Geschehen auf der Bühne zuspitzt, haben die beiden in ihrem Repertoire.

Das Boot, das auf der Bühne bearbeitet wird, ist eines, das schon in den 30-er-Jahren in der Mur als Rettungsboot vertaut war. Dass es nicht zum Einsatz kam, als sich am 13.3.1938 die Urgroßmutter von Bernhard Berl in der Mur ertränkte, zeugt von jener feindlichen Gesellschaftshaltung, welche die Roma in der Zwischenkriegszeit und während des 2. Weltkrieges bitter erfahren mussten.

Der aus der Oststeiermark stammende Bernhard, erzählt plastisch, dass er sich mit knapp 20 Jahren auf die Suche seiner Vorfahren machte und dabei erfuhr, dass er ein Roma ist. Während seiner Erzählung merkt man, wie sehr er nach wie vor von diesem Umstand emotional ergriffen ist, auch wenn er diesen zuallererst mit den Mitteln des Humors herunterspielt. „Ich bin Roma? Super, ein Italiener!“, war seine Reaktion auf die Enthüllung seiner Abstammung. Erst die knappe Antwort der Großmutter: „Nein, kein Italiener, ein Zigeuner!“, zieht dem jungen Mann den Boden unter den Füßen weg. Freimütig bekennt er, dass er ohne psychologische Unterstützung sein Leben nicht wieder in den Griff bekommen hätte.

Natalja hat gegensätzliche Erfahrungen gemacht. Von Kleinkind an war sie einer ihrer „babas“, die eine der bekanntesten Roma- Sängerinnen war, sehr zugetan. So wie sie wollte sie werden. Als ihr Bruder ihr mit acht Jahren erzählte, dass es zwischen dieser Großmutter und ihr gar keine Blutsverwandtschaft gab und sie keine Romni ist, brach eine Welt für sie zusammen.

Vinko, ein Roma aus Slowenien, musste die Sprache seiner Ahnen erst im Erwachsenenalter erlernen. Zu sehr waren seine Eltern bedacht, sich in ihrem Land zu integrieren und nicht als Roma aufzufallen. Es klingt fast wie Schicksalsironie, dass Vinko schließlich eine eigene Fernsehsendung hatte, in der er Roma-Belange moderierte. Seit vielen Jahren lebt er nun schon in Graz und erlebt hier immer wieder, was es heißt, hier nicht geboren zu sein.

Franciska schließlich beginnt ihre Schilderung mit einer grauenhaften Geschichte aus der Nazi-Zeit. Nach einer Betroffenheitspause, in welcher man merkt, dass dem Publikum sehr unwohl geworden ist, setzt sie plötzlich ein gänzlich anderes Gesicht auf und stellt die Frage, was denn wäre, wenn diese Geschichte erfunden wäre. Franciska ist Profi-Schauspielerin, in Ungarn eine Berühmtheit und wünscht sich nichts mehr, als nicht ständig nur mit Romnja-Rollen besetzt zu werden.

So unterschiedlich alle Lebensläufe des Ensembles und die Zugänge zur Roma-Herkunft auch sind, sie vereint, dass sich an einem Punkt in ihrem Leben ihre Identität ins Wanken geriet und sie sich mit ihrer Herkunft auseinandersetzen mussten, ob sie wollten oder nicht. Franz von Strolchen schuf mit der Einbeziehung des Bootes zwei kunstvolle dramaturgische Ebenen, die auf den ersten Blick ganz unaufdringlich erscheinen. Zum einen wird mit Hilfe von Lauftexten das philosophische Paradoxon des Theseus-Schiffes erklärt. Zum anderen schafft er mit dem Ruderboot eine Klammer. Sie umfasst die Geschichte der Urgroßmutter von Bernhard, die am Anfang der Inszenierung erzählt wird, hin zum Ende, denn: In der letzten Szene wird das Schiff ohne Worte mit einem weißen Stoff ummantelt, mit Seilen umwickelt und letztlich alleine auf der Bühne zurückgelassen. Die Assoziation, die hier stehen bleibt, hat es in sich: Auf diese Weise verschnürt, finden Menschen ihre letzte Ruhe, die auf hoher See versterben und nicht an Land gebracht, sondern in den Fluten der Meere oder Flüsse ihre letzte Ruhe finden.

„Das Schiff des Theseus“ öffnet viele Fenster in die Vergangenheit, zugleich aber wird auch der fast übermächtige Wunsch der Darstellerinnen und Darsteller nach einer besseren Zukunft spürbar. Einer Zukunft, in der die Abstammung und Herkunft eines Menschen keine Rolle mehr spielen sollte. Utopien werden dann zur Realität, wenn sie gelebt werden. Jetzt damit anzufangen scheint in Zeiten wie diesen, in welchen die nationalen Gegenströmungen wieder zunehmen, das Gebot der Stunde. Aktueller kann zeitgenössisches Theater wohl kaum sein.

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