Langsam zieht er vorbei, der lange Trauerzug Gustavs III. Voran die Trommel, die den getragenen Schritt vorgibt, den die Trauergäste einhalten. Es bedarf nicht mehr, als einige dieser verhaltenen Schläge, um sich das Defilee genau vorstellen zu können. Die adeligen Damen in ihren langen, schwarzen Gewändern und Schleiern sowie die Offiziere, die ihre aus Pietät abgenommenen Hüte vor sich hertragen. Sie versammeln sich zur Verabschiedung des schwedischen Königs, der am 29. März 1792 gestorben war. Er fiel einem Attentat zum Opfer, das während eines Maskenballes in der Nacht vom 16. zum 17. März in der Oper von Stockholm auf ihn verübt worden war. Fast 70 Jahre später hat Giuseppe Verdi dieses Ereignis als Anlass für seine Oper „Ein Maskenball“ genommen, obwohl der Ort verlegt und einige Personen, nach heftigen Tumulten gegen das geplante Stück, umbenannt werden mussten. Zu groß war die Angst, das politisch motivierte Attentat, das von adeliger Seite aus geplant und durchgeführt worden war, würde auch in Italien Schule machen. Gustav III bezahlte es mit seinem Leben, dass er eine neue Verfassung nach englischem Vorbild einführen wollte, was auf Privilegien vieler Adeliger Auswirkungen gehabt hätte. Joseph-Martin Kraus (1756-1792), seinem Haus- und Hofkomponisten, blieb die traurige Aufgabe, für die Verabschiedung die Musik zu komponieren. Seinen nahen Tod im Dezember desselben Jahres dürfte er schon gespürt haben, und so kann das Werk auch durchaus als sein ganz persönlicher Lebensabgesang interpretiert werden.
Dass diese Begräbnissymphonie nun in Straßburg vom OPS unter der Leitung des Gastdirigenten Claus Peter Flor aufgeführt wurde, hängt auch damit zusammen, dass sie sehr selten zu hören ist. Ein Umstand, der Marc Albrecht wohl gereizt haben muss, der für das Programm dieser Saison verantwortlich zeichnet. Flor lässt an diesem Abend, der neben Kraus auch Mozart und Mahler gewidmet ist, das Orchester spiegelverkehrt zur gängigen, zeitgenössischen Aufführungspraxis Platz nehmen. Durch die Aufstellung der Bässe auf der linken, und der Geigen auf der rechten Seite, hinter denen die Trommel sich versteckt duckte, zeigt der Dirigent anschaulich, dass sich die Aufführungspraxis des Barock auch in ihrer Orchesteraufstellung gänzlich von heute unterschied. Kraus Werk ist eine Trauermusik voll bizarrer Einsprengsel, egal ob scharfer Trompetentöne oder Trommelklänge. Der Choral im dritten Satz, der ein schwedisches Kirchenlied zum Vorbild hatte, lässt erkennen, wie sehr Bach in Europa zum Vorbild für dieses Genre geworden war. Der Kanon, der sich in allen Stimmen bald darauf findet, und der einem wunderschönen Hornsolo folgt, das wegen seiner verhaltenen Spielweise und seiner großer Sprünge als Herausforderung für jeden Hornisten gelten kann, beginnt kurzfristig die Trauerstimmung aufzuhellen. Kraus war ein Komponist seiner Zeit, dem christlichen Gedanken verpflichtet, weswegen er hier aber auch die Heilsbotschaft der Auferstehung und des ewigen Lebens durchklingen lässt. Er macht damit erduldbar, was dem Menschen nicht erduldbar erscheint und stellt ein musikalisches, zartes Licht in die Mitte der schwarz gefärbten Trauer. Es ist wohl Claus Peter Flor zu verdanken, dass sich diese Komposition für ein Staatsoberhaupt durch seine Interpretation in ein menschliches Maß verwandelte, das allen Menschenbürgern zur Ehre gereichen würde.
Mit dem Konzert für Klavier und Orchester Nr 12 von Wolfgang Amadeus Mozart verschränkte sich durch den zweiten Satz, dem Andante, der Hinweis auf das schon angesprochene menschliche Maß zur Kraus´schen Musik in besonderer Art und Weise. Der Solist, Andreas Haefliger, verstand es, der pianistischen Versuchung zu widerstehen, sich in den Köpfen des Publikums als rasender Technikbeherrscher einzunisten. Vielmehr gelang ihm ein viel größeres Kunststück. Das „Parlieren“ seiner rechten Hand im Gegensatz zur fast schon orchestral eingesetzten Linken, die er zu Beginn des ersten Satzes wie ein zartes Begleitinstrument verwendete, machten schnell deutlich, dass es ihm darum geht, den musikalischen Aufbau aufzudecken und diesen nicht durch bewusst zur Schau gestellte Virtuosität tot zu spielen. Wie er im zweiten Satz das Tempo so stark zurücknahm, sodass genügend Raum blieb, um den getragenen Emotionen tatsächlich Platz zu lassen, beeindruckte stark. Die kleinen Läufe und Triller spielte er wie beiläufig, wie eingestreut, und missbrauchte sie niemals in einer Art circensischem Selbstzweck. Mit einem feinen, subtilen Gefühl für die Klangfarbe brillierte er, ohne dabei übertreiben zu müssen. Auch sein Zwiegespräch mit dem Orchester im dritten Satz, in dem dunkle, ja fast ahnungsvolle Einschübe hörbar wurden, zeugt von einer Musikalität, die sich aus einer tief empfundenen Emotion speist. Erlebbare, fast greifbare Menschlichkeit war zu hören. Etwas, das auf der Bühne beinahe verloren gegangen ist, aber mit Haefliger wie von einer anderen Dimension her wieder zu leuchten begann. Dies zeigte sich auch in seiner Zugabe mit dem langen h-moll Adagio KV 540, das er zu Beginn ganz nahe an einem Largo interpretierte. In einem dunklen Erzählstil, nur durch kurze Aufhellungen vereinzelt durchbrochen, wurde durch diese Musik und vor allem Haefligers Interpretation klar, dass manches im Leben unbeantwortet stehen bleiben muss, unbeantwortet und unbesprochen bleiben muss, weil darüber, wie im Wittgenstein´schen Sinne, nicht gesprochen werden kann. Wer sich so von seinem Publikum verabschiedet, ist sich der Wirkung der Musik bewusst und hat es nicht notwendig, als Zirkuspferdchen auf dem Klavier zu agieren. Das Straßburger Publikum kann sich nur wünschen, einmal einen Soloabend mit Haefliger hören zu dürfen.
Mit dem Abschluss, Mahlers Adagio aus der 10. Symphonie, zeigte Claus Peter Flor, wie differenziert er diese schwierige Partitur ausmusizieren lässt, wie sehr er sich auch selbst emotional auf diese Musik einlässt. Dass das Werk eine Klammer zu Kraus und Mozart darstellt, die aufzeigt, wie rasant sich die Musik in knapp über hundert Jahren weiter entwickelt hat, kann noch als ein zusätzlicher Lernaspekt angesehen werden, für den man dankbar sein darf. Ein dunkler Abend voller menschlicher Wärme, die man vor dem Fernsehschirm so wohl niemals spüren kann.
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