Wenn Herz und Kopf aufeinanderprallen

Wenn Herz und Kopf aufeinanderprallen

Michaela Preiner

Foto: ( )

3.

November 2021

Das Akademietheater zeigt 'Moskitos' von Lucy Kirkwood in einer fulminanten Besetzung. Dabei kommt der Intellekt genauso zu seinem Recht wie die emotionale Anteilnahme.

Kaum besteht eine Familie aus mehr als 3 Personen, gibt es auch schon ein schwarzes Schaf. Jemanden, der alles anders macht als es erwünscht ist. Jemanden, der einem zugleich aber einen Spiegel vorhält, in den man nicht gerne blickt. In „Moskitos“ von Lucy Kirkwood, derzeit am Akademietheater in fulminanter Besetzung zu erleben, ist das schwarze Schaf rasch gefunden.

Jenny (Mavie Hörbiger) verkörpert in einer Familie von Intelligenzbestien genau das Gegenteil. Lebenslustig, aber nicht zu höherer Physik geboren, leidet sie unter dem Tod ihrer kleinen Tochter, die an Masern oder Mumps verstorben ist. Geimpft wurde das Kind nicht, weil Jenny im Internet gelesen hatte, dass die Impfung Schäden an Kindern hervorrufen könne.

Mit diesem Setting stellt die Autorin Lucy Kirkwood das Publikum mitten in eine Aktualität, die derzeit global mitzuerleben ist. Impfgegner stehen Impfwilligen gegenüber und man erkennt am Bühnengeschehen, dass die Sprachen, die jeweils gesprochen werden, gänzlich andere sind. Die Nachvollziehbarkeit der beiden Pole fällt einem mit den Hauptcharakteren, den Schwestern Alice und Jenny nicht schwer. Herzlich, emotional, hilfsbereit und empathisch aber auch grenzenlos dumm die eine, intelligent, arbeitsbesessen und karrierewillig die andere. Einfühlungsvermögen ist bei Letzterer nur in wenigen Augenblicken feststellbar.

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„Moskito“ (Foto: Marcella Ruiz Cruz)

Der Regisseur Itay Tiran verfrachtet den Beginn der Familiengeschichte, aber auch die folgenden Szenen, in eine kühle White box. Mal gibt sie jene Eiseskälte wieder, die sich emotional um einige Familienmitglieder gebreitet hat, ein anderes Mal verwandelt sich diese Box in ein Schweizer Labor, in dem Alice (Sabine Haupt) einen bahnbrechenden Versuch begleitet, der die Wissenschaft auf ein neues Level heben soll. (Bühne Jessica Rockstroh). Vorbild dafür war das CERN, der in Genf ansässigen Europäischen Organisation für Kernforschung, an dem mit einem Teilchenbeschleuniger gearbeitet wird.

So erfolgreich Alice in ihrem Beruf auch ist – zuhause gibt es keine heile Welt. Ihr Sohn Luke (Felix Kammerer) befindet sich in einer veritablen Krise und durchlebt mit einer Freundin (Caroline Baas) alle Höhen und Tiefen eines jungen Mannes, für den die Welt auf dem Kopf zu stehen scheint.

Zusätzlich beherrscht wird die Familie durch ihr weibliches Oberhaupt Karen (Barbara Petritsch). Einer alten, verbitterten Wissenschaftlerin, die nicht über die Tatsache hinwegkommt, dass ihr Mann und nicht sie einen Nobelpreis erhalten hat, obwohl sie ihm die notwendigen Studien dazu geliefert hatte.

Nachdem die Figuren vorgestellt wurden, entwickelt sich eine tragikomische Geschichte, die viele Lacher parat hält, bei der einem aber auch öfter das Lachen im Hals stecken bleibt. Niemand hat hier nur eine weiße oder eine schwarze Weste. Alle sind sie durchwachsen von Gut und Böse und alle werden von der Abwesenheit von Lukes Vater beherrscht. Einem ebenfalls hochintelligenten Wissenschaftler, der die Familie in einem psychischen Ausnahmezustand verlassen hat, ohne dass diese weiß, wohin er gegangen ist und warum er Sohn und Frau verlassen hat.

Markus Meyer verkörpert diesen Abwesenden in weißer Latexhaut und wandelt seine Erscheinung schließlich auch in einen Seher, der dem Publikum die Zukunft von Luke erklären wird, aber auch eine wissenschaftliche Zukunfts-Prognose wagt. Mit Henri (Bless Amada) kommt ein junger Mann hinzu, der bald erfahren muss, dass ein Außenstehender, auch wenn er recht hat, sich besser nicht abfällig über Familienmitglieder äußern sollte.

Obwohl Kirkwoods Stück noch vor der Pandemie geschrieben wurde, ist es aktueller als aktuell. Die Familientragödie, die sich intelligent mit einem Wirtschaftskrimi vermischt, erzeugt beim Zusehen wohlige Erkenntnisschauer, zugleich eröffnet sie aber auch eine unumstößliche Einsicht. Egal, wie weit der Mensch in seinen wissenschaftlichen Erkenntnissen voranschreitet und welche Auswirkungen diese auf unseren Planeten haben, auf das Wesentliche reduziert, bleibt letztlich die menschliche Verletzbarkeit, sowie die Suche nach Geborgenheit in einer stabilen Beziehung oder Familie.

Es ist die intelligente Mischung aus Kopf- und Herzkino, zwischen dem das Geschehen permanent changiert, welche diese Inszenierung so interessant macht – ganz abgesehen von den – man muss es wieder sagen – herausragenden Leistungen des Ensembles. Mavie Hörbiger brilliert in einer zugegebenermaßen auch dankbaren Rolle, jener der exaltierten und unberechenbaren Jenny. Sabine Haupt spiegelt ihr exaktes Gegenteil und überrascht schließlich doch mit einer Attitüde, die man ihr nicht zugetraut hätte. Barbara Petritsch vervollständigt den weiblichen Familienteil durch eine herrische, überhebliche, letztlich aber dennoch hochsensible, fragile Persönlichkeit.

Durch die unglaubliche Aktualität des Stoffes wird das theatrale Geschehen zum nahezu unverklausulierten Abbild einer Realität, der wir nicht entweichen können. Diese Projektionsfläche bietet zugleich aber auch im geschützten Kunstraum die Chance, zu versuchen, das jeweils andere Gegenüber zu verstehen.

Eine Empfehlung an Impfbefürworter und Impfgegner, die im Moment aufgrund der angewendeten 2G-Regel jedoch nicht in den Genuss einer Vorstellung kommen.

Weitere Termine: https://www.burgtheater.at/produktionen/moskitos

 

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