Nach oben buckeln und nach unten treten. Wer dieser perfiden Anleitung zum Glücklichsein folgt, tut sich in seinem Leben meist nicht schwer, ist bei seinen Mitmenschen aber auch nicht wirklich beliebt.
Ein rassistisches Stück wider den Rassismus
Im TAG läuft derzeit mit „Weiße Neger sagt man nicht“ ein Stück, in dem es Paradebeispiele dieses sozialen Verhaltens zu studieren gibt. Mit dem provokanten Titel will die Regisseurin und Autorin Esther Muschol, die das Stück gemeinsam mit dem Ensemble verfasste, auf die Problematik von Rassismus aufmerksam machen. Daraus ist aber noch viel mehr geworden, nämlich ein atemberaubender Parcours zwischen politischer Korrektheit und dem Gegenteil davon.
Dieser ist angesiedelt zwischen einem höchst vergnüglichem Voyeurismus, den man anlässlich eines Assessment-Center-Auswahlverfahrens für eine Führungspersönlichkeit an den Tag legen darf und Schreckensmomenten, die den zweien Teil des Abends bestimmen. In ihm drehen sich nämlich die Machtverhältnisse unter den Teilnehmenden komplett um. Womit Esther Muschol sehr frei auf den „Talismann“ von Johann Nestroy verweist.
Aus schwarz mach weiß und umgekehrt
Die ursprünglich geplante Fassung musste 10 Wochen vor der Premiere komplett neu angedacht werden: „Sie hat nicht funktioniert“, meinte dazu Muschol knapp. Was in der aktuellen Version nun noch an Nestroy erinnert, ist ein „Geschenk“. So wie Titus Feuerfuchs eine Perücke bekommt, mit welcher er seine roten Haare geschickt verbergen kann, erhält Titania Coleman (Nancy Mensah-Offei) ein Make-up, das ihre schwarze Haut kurzerhand in eine weiße verwandelt. Sie ist eine von sechs, fünf oder doch nur vier Personen – im Laufe der Handlung gibt es diesbezüglich einige Überraschungen zu erleben – die sich um einen Job in einem österreichischen, aber international agierenden Industrieunternehmen bewerben.
Was da so alles von den Bewerberinnen und Bewerbern gefordert wird und vor allem wie die Aufgaben auf der Bühne publikumswirksam umgesetzt werden, macht richtig Spaß und strapaziert die Lachmuskeln. Beim „Postfachspiel“ muss Coleman so rasch es geht hintereinander Entscheidungen treffen. Die Emails werden vom lebenden Emailprogramm alias dem hemdsärmeligen Johann Pertl alias Georg Schubert angekündigt und verlesen. Michaela Kaspar in der Rolle der übereifrigen Amelia Schulz buseriert Coleman in der selben Szene als unfähige Sekretärin und zusätzlich wird Coleman in dieser Situation noch ständig vom Kindergarten angerufen, in dem sich ihre kleine Tochter gerade mehrmals übergibt.
Eine Handlungsvolte jagt die nächste
Was sich in den ersten Szenen noch als witzige Gesellschaftskritik am oftmals abstrusen Auswahlverfahren von Führungspersonen präsentiert, kippt mit einer einzigen Handlungsvolte. Mit ihr verkehren sich die Machtverhältnisse mit einem Schlag ins Gegenteil.
Im Handumdrehen verändert sich das Verhalten aller. Der kompetitive und doch in gewisser Weise gemeinsame Kampf um den Job verändert sich zu einem rundum opportunistischem Gebaren von Ja-Sagern. Egal wie blödsinnig die Aufgaben sind, die nun die neue Machtperson an die Bewerbenden stellt, egal wie erniedrigend sie auch sind, es gibt niemanden, der sie nicht befolgt. Wer sich die Überraschung dieser Handlungsänderung bei einer Vorstellung nicht entgehen lassen möchte, überspringt am besten die nächsten drei Absätze.
So wie Nancy Mensah-Offei sich mithilfe der Schminke zu Beginn ein weißes Gesicht zulegte, so schwärzen sich nun alle anderen die ihren. Besser, man tut so, als sei man empathisch, besser vorauseilender Gehorsam als kein Job, ist die Devise.
Titania Coleman agiert nun so, wie sich die weißen Kolonialisten in Afrika einst aufführten. Überheblich, ohne einen Funken Mitleid, das Letzte und Schlimmste von ihren Untergebenen verlangend. Dabei wird man beim Zuschauen ganz schön hin und her gebeutelt. Darf sie denn das? Du meine Güte, so war das also, so ist das auch heute noch, so wurden und werden Menschen anderer Hautfarbe malträtiert und gedemütigt – und wir stecken bei all dieser Diskriminierung nach wie vor fein den Kopf in den Sand. Sätze wie diese sausen einem durch den Kopf, während das böse Spiel auf der Bühne kein Ende zu nehmen scheint. Dass sich Coleman dabei in einem blauer als blauem Kleid präsentiert, lässt leicht Assoziationen zur rechts angesiedelten Partei in Österreich zu. Welch wunderbare, versteckte Metapher, in der die Absurdität von Ausgrenzung von andersfarbigen Menschen und die Anbiederung an ein scheinheiliges, nationalistisches System zugleich auf den Punkt gebracht wird. Ihre Gegenspielerin Beatrix Melichar, dargestellt von Elisabeth Veit, tritt hingegen in ganz Schwarz auf. Passend zu ihrer Funktionärstätigkeit, die sie doch so gerne ablegen möchte – im Umfeld eines Niederösterreichischen Landeshauptmannes.
Sogar die im Chor vorgetragenen Heimatlieder wechseln, je nachdem, wer gerade die Machtposition innehat. Darf das Ensemble zwecks Teambuildingsmaßnahme zu Beginn das Lied eines Wildschützen mehrfach anstimmen, sieht es schließlich Salomo Weiß (Raphael Nicholas) als seine Pflicht an, die neue, schwarze Chefin mit einem afrikanischen Lied zu beglücken.
Rassismus ist das, was die Betroffenen für Rassismus halten
„Ist unser Stück rassistisch?“, wollte das Ensemble bei einem Gespräch mit dem Publikum erfragen. Ja, es ist rassistisch, denn es arbeitet mit all den Vorurteilen, die unsere, von weißen Menschen dominierte westliche Gesellschaft gegenüber Schwarzen hat, wenn auch subkutan. In der Inszenierung erhält Titania Coleman von Beginn an einen Außenseiterplatz. Mit ihr wird vorsichtiger kommuniziert, ihr versucht man ungefragt gewisse, gesellschaftliche Usancen zu vermitteln, ohne sich bewusst zu sein, dass sie diese Sonderbehandlung gar nicht benötigt.
„Ich erhielt einmal eine ziemliche Abfuhr, als ich mit einem Schwarzen aus Nigeria über die nigerianische Fußballnationalmannschaft sprechen wollte“, erklärte Jens Claßen in der Diskussion nach einer Aufführung. Im Stück verkörpert er einen höchst wandelbaren Psychologen und Philosophen, der, gezwungenermaßen, in mehrere Rollen schlüpfen muss. Claßen ist ein Fußballfan und deswegen ist für ihn dieser Sport immer ein Gesprächsthema. Umso erstaunter war er, als er von seinem Gesprächspartner folgende Abfuhr erhielt. „Man kann doch nicht davon ausgehen, dass ich mich für Fußball interessiere, nur weil ich aus Afrika bin.“ Diese kleine Geschichte zeigt wunderbar auf, dass es unsere eigenen Ideen, Wertigkeiten und Vorurteile sind, die unsere Kommunikation mit anderen Menschen bestimmen. Je nach den Landkarten, welche unsere Kommunikationspartnerinnen und -partner im Kopf tragen, befinden wir uns dann in einem harmonischen oder disharmonischen Gespräch. Und: Rassismus muss nicht das sein, was wir dafür halten. Rassismus ist das, was die Betroffenen für Rassismus halten.
Macht ist der größte Rassismusfaktor
In der Muschol-Inszenierung ist besonders gut zu erfahren, dass bei dem Thema Rassismus der Machtfaktor die allergrößte Rolle von allen spielt. Wer oben ist, muss politisch nicht korrekt sein, wer unten kriecht, sollte sich darob umso mehr bemühen. Die Menschenwürde bleibt dabei auf der Strecke.Das überraschende Ende geht tief unter die Haut und hinterlässt reichlich Diskussionsstoff.
„Weiße Neger sagt man nicht“ ist vergnüglich und in höchstem Maße aufwühlend zugleich. Diese emotionale Extramischung mit einer herausragenden, spielerischen Ensembleleistung sollte man sich nicht entgehen lassen.
Termine auf der Homepage des TAG.