Wachkoma, Blindenfussball und Kunst

„Training – Spielstätte für einen inklusiven Humanismus“ läuft nur drei Tage lang im Künstlerhaus. Anlässlich des Festivals Imagetanz 2015 gab das Brut dem Künstlerduo hoelb/hoeb die Möglichkeit, eine hybride Performance zu gestalten. Sie schließt sich an „close link“ an, jene 2013 im Steirischen Herbst gezeigte Ausstellung, die sich mit dem Thema Wachkoma beschäftigte.

Das Intensivbett schwebt bedrohlich hoch über den Köpfen der Besucherinnen und Besucher. Verkabelt mit der Überwachungsstation, die am Boden steht, blinken Lichter und ertönen Pieps-Geräusche. Wie in einem Flashback erinnert man sich an selbst Erlebtes oder auch an einen Besuch im Krankenhaus. Nur dass dort die Betten nicht schweben. Was aber sehr wohl zu schweben scheint, ist oft der Zustand, in dem sich die Patientinnen und Patienten befinden, die in einem solchen Bett liegen. Natürlich ist ein Intensivbett keine Kunst – aber wie schon Marcel Duchamp vorexerzierte, reicht das Setting aus, um es zu einem solchen zu erheben.

Dem Duo hoelb/hoeb geht es primär aber gar nicht darum das Bett zum Kunstwerk zu erhöhen. Vielmehr erwecken sie mit dieser Installation mannigfaltige Assoziationen und Gefühle. Wie ist das so, wenn man sich in einem körperlichen Ausnahmezustand befindet? Das auf den Kopf gestellte Leben, vom Tod bedroht, von Maschinen geschützt, zeigt sich stärker in seinen technischen Hilfsapparaten als im Menschen selbst. Das ungute Gefühl, unter dem schweren Bett zu stehen, evoziert Todesängste. Die ruhige Geräuschkulisse der Maschinen vermittelt ein Gefühl der allumfassenden Überwachung. Was empfinden Angehörige? Und warum sind die Ohnmachtsgefühle angesichts dieser Überlebensapparatur so mächtig?

Der inklusive Humanismus – eine Begriffsdefinition von Thomas Macho

„training – Spielstätte für einen inklusiven Humanismus“ nennt sich die Performance von Barbara Hölbing und Mario Höber im Künstlerhaus, an der mehr als 20 Menschen aus den Bereichen Kunst, Wissenschaft/Forschung und soziale Praxis teilnehmen. Insgesamt werden dort vier Räume bespielt. Ein Text des Philosophen Thomas Macho mit dem klingend Titel „Werwölfe, Hausschweine und Terminatoren“ war Ausgangspunkt für diese Arbeit. Er setzt sich für einen inklusiven Humanismus ein, der wieder beim Ausgangspunkt desselben in der Antike, spätestens der Renaissance anknüpft. Die Exklusion, die im Laufe der Jahrhunderte mit ihrem Kulminationspunkt in der Naziära einsetzte, habe sogar den Begriff des Humanismus an sich beschädigt, erklärte Macho bei einem kurzen Einführungsvortrag. Wer mag, kann sich Machos Bezugstext mit nach Hause nehmen. Der lecture-Raum, das Oktogon des Künstlerhauses, sonst eher wenig bespielt, ist so etwas wie das Herz der Schau. In seiner Mitte hängt ein Mikrofon als Symbol für die Möglichkeit, selbst das Wort zu ergreifen, aber auch als reales, technisches Hilfmittel.

Torfußball – eine unglaubliche Sportart

Bei einer Führung werde ich kurzerhand in jenen Raum gebracht, der als verkleinertes Torballfeld fungiert. Jener Sportart, die Sehbehinderte spielen. Knapp über dem Boden sind in der Mitte drei feine Seile gespannt, jedes mit Glöckchen versehen, sodass eine Berührung auditiv angezeigt wird. Sie trennen die beiden Spielfelder voneinander. Jede Mannschaft besteht aus drei Personen. Ziel ist es, wie bei vielen Ballspielen, den Ball möglichst oft ins gegnerische Tor zu schießen. Wohlgemerkt unter den gespannten Seilen hindurch und ohne auch nur das Geringste zu sehen. Torball ist eine Insidersportart, wenngleich es darin Weltmeisterschaften gibt. Punz Christian, Kapitän des Vereins ABSV-Wien wird in diesem Jahr bereits zum dritten Mal im WM-Kader mitspielen. Judith Kowal steht im Künstlerhaus an der Seite des großgewachsenen, blinden Mannes. Sie ist geprüfte Schiedsrichterin und begleitet viele Tourniere. Bereitwillig beantworten die beiden jede Frage und freuen sich offensichtlich, Menschen kennenzulernen, die bis dato noch nichts von diesem Sport gehört haben. Ein hohes Verletzungsrisiko bestünde dabei, nach oben gäbe es keine Altersgrenze und bei den Veranstaltungen kämen leider nur Freunde und Verwandte, um zuzusehen. Man sei jedes Mal froh, wenn ein Tournier verletzungsfrei zu Ende ginge. Ein Kollege verlor einmal einen Zahn, Christian Putz selbst verletzte sich an einer Eisenstange am Auge. Wenn man dies hört und das Video sieht, das im Hintergrund an die Wand projiziert wird, ist man verwundert, noch nie über Torball etwas gehört oder gelesen zu haben.

Information und Dokumentation aus einer Hand

Schon stehen die nächsten an, um auch aus erster Hand etwas über das Sportfeld im Künstlerhaus zu erfahren. Also heraus aus dem Raum und rein ins nächste Kommunikationsabenteuer. Auf mich wartet Anja Quickert. Sie leitet das Redaktionsbüro training, was bedeutet, dass sie einerseits für Auskunft und Verteilung von weitergehendem Informationsmaterial zuständig ist wie zum Beispiel auch den Macho-Text. Anndererseits nimmt sie eine rein beobachtende Funktion einnimmt. Die unterschiedlichen Disziplinen und deren Überschreitungen fasziniert sie besonders. Sowie der Umstand, dass ohne eigene Aktivität der Besucherinnen und Besucher sich Zusammenhänge der Arbeit nicht erschließen. Ob ihre dokumentierten Beobachtungen veröffentlicht werden und wenn ja wo, steht noch nicht fest. Work in progress ist hierfür die richtige Bezeichnung. Mit Quickert lässt es sich unendlich plaudern und diskutieren, denn sie ist freie Mitarbeiterin bei Theater heute, eine der wichtigen Theaterzeitschriften im deutschsprachigen Raum. Es macht richtig Spaß, sich mit ihr zu unterhalten und auszutauschen.

Wachkoma und seine Folgen

Der Themen-Break könnte nicht schärfer ausfallen. Als nächstes mache ich Station bei Frau Gerlinde Ofner. Sie ist diplomierte Gesundheits- und Krankenschwester und war am Aufbau einer Wachkomastation in Graz beteiligt, in der bis heute im Schnitt 50 Patientinnen und Patienten betreut werden. Sie hat sogenannte Lagerungspolster bei sich und wird in Auftritten zeigen, wie damit Wachkomapatientinnen und -patienten gelagert werden können. „Nestlagerung“ oder „Königssitz“ sind Begriffe, unter denen man sich die jeweilige Position schon recht gut vorstellen kann. Meine Frage, ob sie Angst davor hätte, jemals auch in solch einen Zustand zu gelangen, verneint sie. Aber sie hätte ihren Kindern den Auftrag gegeben, dass, sollte sie jemals eine Hirnblutung haben und im Wachkoma liegen, sie für sie einen Platz aussuchen sollten, bei dem sie die bestmögliche Mobilisation bekäme. In eine Materie ganz einzutauchen nimmt offenbar auch jeden Schrecken vor dem für Außenstehende Unfassbaren. Und es tut gut zu wissen, dass es Menschen gibt wie sie – wenngleich Frau Ofner heute in Pension ist – die sich diesem Beruf mit Leib und Seele verschrieben haben.

Nina Hömberg, Sonderpädagogin und Inklusionsforscherin, gesellt sich zu unserem Gespräch und berichtet, dass sie an der TU in Berlin ein Projekt zur Inklusion geführt hat. Studierende im Architekturfach sollten dort 3-minütige Videos zu diesem Thema verfassen. „Der Rollstuhl kam natürlich überproportional oft darin vor“ erklärt sie, aber es war für die meisten Beteiligten die erste Gelegenheit überhaupt, über dieses Thema nachzudenken. Bei ihren Auftritten wird sie versuchen, durch verbale Beschreibung eines jeweils gezeigten Videos Blinden einen Zugang zu der Thematik zu geben. „Ich werde sehen, ob das funktioniert und wenn nicht, was ich besser machen kann“, erklärt sie ihren Ansatz. Und auch, dass das System von höher, weiter und schneller ein schlechtes für die Gesellschaft sei. Vielmehr sei es wichtig, die Andersartigkeit von Menschen nicht nur zu erkennen, sondern zu akzeptieren und als Bereicherung anzusehen.

Vier Positionen von insgesamt 20, die in diesem Projekt vertreten sind, und einen Kurzvortrag habe ich in zwei Stunden geschafft. Die Bilder an der Wand, allesamt von zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern, insgesamt 19, verschränken das Experiment, das sich gedanklich mit der Idee der sozialen Plastik von Joseph Beuys verbinden lässt, mit der bildenden Kunst. Wenngleich auch nur höchst unaufdringlich. Tone Fink ist mit einer feinen Zeichnung vertreten mit dem Titel „Menschen über Viecher“ aber auch einer „Gürteltiermaske“, Franz West oder Martha Jungwirth sind auch dabei. Von Mario Höber selbst ist eine beeindruckende Arbeit mit dem Titel „Prothese“ zu sehen. Eine Abbildung von Stoff- und Metallobjekten, die durch die Titelgebung beängstigende Assoziationen erwecken. Sie alle laden ein, weitere intellektuelle Querverbindungen zu den Aktionen und Gesprächen herzustellen, die hier angeboten werden.

Ein wenig erinnert die Idee dieser Performance, obwohl der Terminus aufgrund des hybriden Angebotes hier nur teilweise stimmt, an das postdramatische Theater. Werden doch Menschen aus ihren eigenen Berufs- oder Erfahrungsfeldern mit solchen zusammengebracht, die sich in einem kulturellen Umfeld bewegen. hoelb/hoeb agieren dabei als Dramaturgen, Netzwerker, führen auch eine Art Regie und sind nicht zuletzt für das „Bühnenbild“ verantwortlich. Wo befindet sich der Besucher oder die Besucherin nun eigentlich wirklich? In einer Ausstellung, einer Performance, in einer der vielen lectures, die wiederum in welchem Umfeld gegeben werden? Es gibt keine eindeutigen Zuordnungen und Abgrenzungen. Vielmehr offene Räume, offene Konzepte, offene Kommunikationen. Die Sprossenleitern an der Wand und die umgehängten „Start“-Nummern, die Besucherinnen und Besucher beim Eintritt erhalten, erwecken das Gefühl, dass hier körperliche Fitness trainiert wird. Tatsächlich ist es aber der Kopf, der gefordert wird.

Verlässt man das anspruchsvolle Setting jedoch wieder, weiß man, dass kein Muskel- sehr wohl aber ein Wissenszuwachs stattgefunden hat. Was man damit macht, ist so individuell, wie der Zugang zu „training – Spielstätte für einen inklusiven Humanismus“.

Das Festival selbst trägt in diesem Jahr den Untertitel „Festival für Choreografie, Performance und unheimliche Körper“. In der Arbeit von hoelb/hoeb verlieren diese gänzlich ihren Schrecken.

Links:

www.torballsport.at
www.wachkoma.at
www.brut-wien.at

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