Der Traum und die harte Realität des Tanzes

Der Traum und die harte Realität des Tanzes

Michaela Preiner

Foto: ( )

27.

Juli 2015

Cordeiro beeindruckt an diesem Abend nicht nur durch sein Doppeltalent, das er als Schauspieler und Tänzer zeigt. Es ist seine clevere, sich permanent verschränkende Dramaturgie mehrerer Personen und Ebenen, die beeindruckt. Es ist seine Sicht auf den Tanzbetrieb, die wie von außen wirkt, und doch aus dem innersten Kern desselben kommt.

Volmir Cordeiro überzeugte in einer fulminanten Doppelrolle als Conférencier und Inês, einer Tänzerin und Choreografin im Rahmen von (8:tension). Mit seinem Auftritt beim Impuls Tanz – Festival eroberte er das Publikum im Schauspielhaus – ohne jegliches Bühnenbild.

Der junge Brasilianer hatte mit 14 Jahren sein erstes Aha-Erlebnis in Sachen zeitgenössischer Tanz. Lia Rodrigues, seine spätere Lehrerin, trat in seiner Heimatstadt Concordia auf. Cordeiro versteckte sich unter einem Stuhl, um der Vorführung, die aufgrund der Nacktheit der Tänzer und Tänzerinnen für Kinder verboten war, dennoch beizuwohnen. Der Eindruck, den die Truppe auf das Publikum machte, war für Cordeiro überwältigend. So etwas wollte auch er machen.

Mit 21 landete er schließlich in Lia Rodrigues Companie in den Favelas von Rio und erhielt dort, nach seiner Schauspielausbildung, das Rüstzeug zu einem zeitgenössischen Tänzer. Inês ist sein zweites Stück und handelt nicht, wie es der Titel vermuten lässt, ausschließlich von einer Person. Auch wenn das bei oberflächlicher Betrachtung vielleicht so erscheinen mag.

Der Saal bleibt hell, aus dem Lautsprecher ertönt in heftiger Lautstärke Sambamusik. Lärmend, nicht unterhaltend. Langsam, einen Schritt grazil vor den anderen gesetzt, schreitet Volmir Cordeiro über die Treppe des Zuschauerraumes Richtung Bühne. Groß, und schlank von Wuchs, beeindruckt er durch seinen majestätischen Gang, den man von Models auf dem Laufsteg, aber auch von Dragqueens her kennt. Bekleidet ist er mit mehreren bunten Handtüchern und Stoffen aller Art, die er um seinen Oberkörper geschlungen hat. Eine wenig modische, hellbraune Unterhose bildet den optischen Kontrapunkt. Die Füße stecken in schwarzen, knöchelhohen Lederschuhen. Sobald Cordeiro an der Bühnenrampe angekommen ist, setzt er sich darauf, die Beine lässig baumelnd und beginnt von Inês zu erzählen. Von ihrer Kindheit und ihren Träumen, wahrgenommen zu werden, sichtbar zu sein für das Publikum. Von ihrem Wunsch, auf der Bühne zu stehen und die Menschen in ihren Bann zu ziehen, allen zu gefallen. Schnell wird klar, dass diese Kunstfigur als Alter ego von Cordeiro angesehen werden kann. Aber auch als Charakterstudie vieler Tänzerinnen und Tänzer schlechthin. Denn das, was er von ihr erzählt, gilt gleichsam für den Großteil von ihnen. Ohne den Wunsch zu gefallen, aufzufallen, jemand Bekannter zu werden, macht es wenig Sinn, diesen Beruf zu ergreifen.

Codeira setzt seine Stimme theatralisch ein, überzeichnet die Vorstellung, die er über diese Frau aufbaut und spielt immer wieder mit dem Wechsel zwischen der Erzählung über und dem Schlüpfen in die Rolle von Inês selbst. Nach ungefähr 30 Minuten Text animiert er das Publikum, Inês nun zuzusehen. „Go, go, go, watch her, watch the artist“, ruft er immer wieder und versucht, die Zusehenden damit in Stimmung zu bringen. Einmal auf der Bühne, verwandelt sich der junge Mann, bzw. Inês plötzlich in einen Penner. Am Boden liegend, mit den eigenen Tüchern zugedeckt, räsoniert er über allerlei, bis hin zum Wetter und changiert unmerklich wieder zu Kunstfigur Inês. Richtig verkörpert Cordeiro diese Rolle aber erst, nachdem er sich zwei schwarze schmale Streifen Klebeband auf die Augen geklebt hat. Wie stark geschminkt wirkt sein Gesicht nun, feminin und bühnentauglich. Er beginnt ohne Musik zu einem imaginären 4er Rhythmus zu tanzen, sich im Pirouettendrehen zu üben und muss doch immer wieder abbrechen. Das Training ist hart, vermittelt er damit, und immer mit der Möglichkeit verbunden, zu scheitern.

Die Momente des Scheiterns verändern die Choreografie. Aus der tänzelnden Inês wird ein Boxer. Ein Mensch, der ebenso auf einer Bühne tänzelt, aber nicht den Anspruch hat, Kunst zu produzieren. Aber auch er möchte dem Publikum gefallen. Damit hat er mit Cordeiros Kunstfigur viel gemeinsam.

Abermals erfolgt die Verwandlung in den Körper von Inês. Nun tanzt sie mit dem Rücken zum Publikum und landet schließlich in der Pose einer Sängerin, die die Bühne mit leichten Tanzschritten zu ihrem eigenen Gesang überquert. Inês ist 57 Jahre alt geworden und hat 2 Kinder. Was ist übrig vom Traum, ein Star zu werden? Nun ist sie Choreografin – ein harter Seitenhieb auf all jene, die nach ihrer aktiven Tanzkarriere in dieses Fach wechseln. Nicht, weil es ihrem Wunsch entspricht, sondern schlicht aus der Notwendigkeit heraus, damit Geld zu verdienen und den alternden Körper noch einmal gewinnbringend einsetzen zu können.

Cordeiro beeindruckt an diesem Abend nicht nur durch sein Doppeltalent, das er als Schauspieler und Tänzer zeigt. Es ist seine clevere, sich permanent verschränkende Dramaturgie mehrerer Personen und Ebenen, die beeindruckt. Es ist seine Sicht auf den Tanzbetrieb, die wie von außen wirkt, und doch aus dem innersten Kern desselben kommt. Von einem Menschen, der sich mitten drin befindet und weiß, wie hart dieser Beruf ist. Er weiß, dass es viele Träume gibt, aber nur wenige, die auch tatsächlich in Erfüllung gehen. Der Text, der sich allein der positiven Erwartungshaltung widmet, steht in krassem Gegensatz zum tänzerischen Geschehen. Diese Wirklichkeit prallt ungebremst auf nichterfüllbare Träume. „Inês befindet sich im Kampf mit ihrer eigenen Realität“, erklärt Cordeiro an einer Stelle. Die Performance an sich gerinnt in diesem Kontext zu einer Art Beschwörungsformel, die ihm helfen soll, seine eigenen Wünsche und Träume in Erfüllung gehen zu lassen. So interpretiert, ist der Applaus des Publikums dann der ultimative Bann des Scheiterns. Ob er tatsächlich hilft, wird man am 16. August bei der Preisverleihung des Austria Prix Jardin d`Europe & FM4 Fan Award sehen.

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