Vom Kartenspiel zum Theater

Man stelle sich vor: Drei Karten spielende, junge Menschen, die darum rittern, wer von ihnen bei einem interaktiven Spiel den eindruckvollsten Spielepart hinterlässt. Dieses Spiel mit szenischer Erweiterung wird derzeit in der Garage X vor Publikum präsentiert, denn gespielt, dieser Ausdruck, stimmt nicht ganz. „Previously on“ nennt sich die Performance von und mit Gerhild Steinbuch, Philine Rinnert und Sebastian Straub, die sich darin in einer demokratischen Theaterinszenierung üben. Steinbuch ist zuständig für die Textpassagen, Rinnert für die Bild- und Raumgewalt und Straub für die Darstellung des Hauptcharakters Herr P., einem Sammler. Sie ziehen in jeder Runde eine neue Karte, um sich dann, dem Glücksprinzip unterordnend, selbst mit ihren jeweiligen Ideen einzubringen. Obwohl das an dieser Stelle vielleicht etwas theoretisch klingen mag, soll noch angefügt werden, dass die demokratische Ausgangssituation sich eigentlich durch den Zufall ad absurdum führte. Ist doch der Zufall ein integrales Momentum in einem Kartenspiel, das sich an diesem Abend auch direkt auf das Endergebnis auswirkte.

Soweit so gut, oder auch nicht ganz so gut. Die zu erzählende Geschichte – jene des Sammlers Herrn P., der auch durch Statements von zwei seiner Söhne ein wenig greifbarer wird – hat keinen bestimmten Anfang und kein wirkliches Ende. Straubs vielfältige, hintereinander angesetzte Interpretationen ein und desselben Textes, in unterschiedlichen atmosphärischen Zuständen, zeigen überdeutlich, wie sehr das Theater von der Präsenz eines Schauspielers lebt. Immer dann, wenn er seinen Stuhl verlässt, um „zu spielen“ hat er alle Aufmerksamkeit für sich. Egal, wie sehr daneben auch Projektionen von Computerdateien – Bilder von Kunstsammlern und Kunstsammlungen aber auch ein Emailschriftverkehr um die Gunst des Publikums parallel heischen. Oftmals macht ihm das eine oder andere eingeblendete Bild, verwaltet und gut ausgewählt von der Bühnenbildnerin Rinnert Konkurrenz, besonders jene von SammlerInnen, die mit kuriosen Brillen inmitten ihrer kunstbehangenen Appartements ihre künstlerische Affinität zeigen. Den wohl schwersten Part hat die Autorin Steinbuch inne, die neben Texten über Herrn P. zusätzliche Statements, die in diesem Semi-Impro-Spiel notwendig werden, live in die Tasten ihres Computers tippt. Und dennoch ist sie an diesem Abend – die Siegerin. Ihr Stockerlplatz ergab sich aus den von ihr eingebrachten Beiträgen – aus einer nicht ganz durchschaubaren Spielarithmetik. Und das ist das Manko, das dieser Abend vorweist. Die Idee, gleichberechtigt die unterschiedlichen Mechanismen eines kollektiven Geschehens auf der Bühne zu hinterfragen und deutlich zu machen, hapert ein wenig in der Ausführung an der komplizierten und nicht wirklich durchschaubaren Spielanleitung. Hätte das Publikum entschieden, der imaginäre Siegespokal wäre wahrscheinlich anders vergeben worden. Eine Nachjustierung würde hier nicht schaden, sondern die Attraktivität des Experiments wahrscheinlich erheblich steigern.

Die drei Kreativen bilden zusammen das Kollektiv „Freundliche Mitte“. Sie arbeiten dabei ganz im Zeitgeist des postdramatischen Theaters, in welchem sich Autoren, Regisseure, Schauspieler oder Laien auf der Bühne selbst ihre Bälle zuspielen und sich damit bewusst vom bisher eingeübten Kanon des Texttheaters abheben wollen. Die Negierung des Dramatischen wird an diesem Abend aber nicht durchgehend eingehalten. Straubs schon erwähnte Deklamation eines vorgegebenen Textes macht dies deutlich. Neu ist diese Art von Theater nicht. Ihren Ausgangspunkt findet es zum Teil im ebenfalls demokratisch organisierten Diskussionstheater von René Pollesch, aber auch in nicht dramatisch aufgebauten Textvorgaben wie z.B. von Peter Handke oder Elfriede Jelinek. In Wien angekommen ist diese Art von Theater schon seit geraumer Zeit. Ein aktuelles Beispiel ist jene Aufführung, die erst vor wenigen Tagen im WUK zu sehen war. Die Gruppe God`s Entertainment präsentierte dort „Cleaning, BABYSITTER, I help in house – SEVEN EURO! in welcher mithilfe von Menschen mit Migrationshintergrund auf der Bühne auf die Situation der Schwarzarbeiterinnen und Schwarzarbeiter aufmerksam gemacht wurde. Stärker noch als in „Previously on“ setzte die Truppe auch auf eine zusätzlich ausformulierte Theaterkritik mit dem Hinweis, dass das Theater an sich einer Erneuerung bedürfe, von Grund auf neu gebaut werden müsse. Ganz so, wie es die Darstellenden an diesem Abend mit ihren handwerklichen Beschäftigungen wie bohren, hämmern, sägen, mauern usw. auch taten. Diese Grenzüberschreitung, die am zeitgenössischen Theater derzeit interessanterweise keine wirklichen Skandale hervorruft, hat ihre Parallelerscheinung in der bildenden Kunst. Dort übertrifft die Anzahl der Studierenden, die sich auf den Beruf von KuratorInnen oder Kunstvermittlern vorbereiten, bereits jene, welche sich zu bildenden KünstlerInnen ausbilden lassen. In beiden Fällen bleibt die Frage, ob die präsentierten Ergebnisse so spannend, belustigend, belehrend, aktivierend oder was immer auch sonst sind, dass sie das Publikum ohne jene Aura akzeptiert, die bislang entweder der Person des Textlieferanten, der Autorin oder der SchauspielerInnen innewohnte.

Die ungeplante Einlage einer Dame, die ihr klingelndes Handy bei der Premierenvorstellung in der Garage X am Petersplatz partout nicht anfinden konnte und deren Missgeschick in Folge sogar noch einmal Aufnahme in die Performance fand, sorgte für zusätzliche Erheiterung an diesem Abend. All jenen zu empfehlen, die zeitgenössisches Theater ohne Anspruch auf philosophisch-tiefgründige Unterfütterung oder soziale Betroffenheitskeule einmal rein von seiner chaotisch-unterhaltsamen Seite aus genießen wollen.

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