Das Konzert des Philharmonischen Orchesters Straßburg am 9. Dezember führte an diesem kalten Herbstabend in warme Gefilde. Mit Claude Debussys Images für Orchester und Maurice Ravels Scheherazade wählte Marc Albrecht zwei relativ unbekannte Stücke. Nur der Ausklang, Debussys symphonische Dichtung „La Mer“ gehört zu jenen Werken, das in vielen Konzertsälen dieser Welt oft erklingt.
Der musikalische Direktor der OPS blieb damit seiner Linie für diese Saison treu, Werke aufzuführen, die selten oder noch nie in Straßburg gespielt wurden. Debussys „Images für Orchester“ zeigte sich dabei als überaus komplexes Werk, das den Zuhörerinnen und Zuhörern viel musikalische Erfahrung abverlangt, möchte man es ganz erfassen. Eine kompositorische Idee jagt die nächste, rasche Rhythmen- und Stimmungswechsel erfordern nicht nur vom Orchester, sondern auch vom Publikum höchste Aufmerksamkeit. Debyssys „Images“ eilt der Ruf voraus, schwer verständlich zu sein und sich erst bei oftmaligem Hören wirklich zu erschließen. Dennoch wirkt das Werk auch auf musikalisch Unkundige bezaubernd. Marc Albrecht am Dirigentenpult behandelte den ersten Satz beinahe schon mit Understatement und ließ keine großen Affekte zu. Dies hatte aber andererseits zur Folge, dass die einzelnen Instrumentalstimmen, von denen es genügend gibt, klar und deutlich vernehmbar waren. In umso größerem Kontrast gestalteten sich dann jedoch die folgenden Sätze, die mit dem Generalthema „Iberia“ übertitelt sind. Die Kastagnetten, die im zweiten Satz die Rhythmik durchgehend akzentuieren und die sauberen Trompetensoli ließen das heiße, quirlige Stadtleben Spaniens genauso nachempfinden wie das Auf- und Abwogen der frühlingshaften Luft des finalen Satzes.
Mit Maurice Ravels Scheherazade präsentierte sich die französische Mezzosopranistin Béatrice Uria-Monzon mit ihrer vollen und warmen Stimme in perfekter Abstimmung zum großen Klangkörper. In drei Strophen huldigte Maurice Ravel in diesem Werk musikalisch der östlichen Ferne. Zugrunde legte er ein Gedicht von Léon Leclère (1874-1966), der sich in großer Verehrung für Richard Wagner den Künstlernamen Tristan Klingsor zugelegt hatte. Es bezieht sich im ersten Satz des Werkes auf den Wunsch, allerhand Abenteuer in der Fremde sehen zu wollen. Uria-Monzon drückte dies mit den immer wiederkehrenden Worten „je voudrais voir“ – ich würde gerne sehen nicht nur musikalisch inniglich, sondern auch noch satzverständlich sehr gut aus. Ihre lieblich gesungene Antwort auf die Flötenstimmen des zweiten Satzes, unterlegt mit den Gedanken an einen Geliebten, entführten abermals in sonnendurchschienene und von Vögeln bevölkerte anmutige Landschaften. Der letzte, schöne lyrische Satz, in welchem Klingsor von einem Jüngling spricht, der Augen so süß wie die eines Mädchens hat, gab zu Ravels Zeiten allerhand Nährstoff für Spekulationen. Nichts davon ist jedoch in der Musik spürbar, die als wehmütige Erinnerung, als Hauch von Liebesgefühlen und unerfüllter Erwartung erzählt. Es zeigt sich gerade hier, wie allumfassend Musik ist, wie leicht sie jede Konvention überbrückt, enge Schranken durchbricht und direkt zu den Herzen der Menschen spricht, egal welchen Geschlechts sie auch immer sind.
Claude Debussys „La Mer“ ist ein Stück, das Marc Albrechts Interpretationsansätzen sehr entgegen kommt. Das Werk, das mit vielerlei kompositorischen Raffinessen die sensorischen Ereignisse des Meeres beschreibt, verlangt ein genaues Partiturstudium, um alle versteckten Einzelheiten auch hörbar zu machen. Mit viel Gefühl interpretierten die Musiker der OPS das Stück, in welchem das Kräuseln der Wellen, die glatte See, die sanfte Brandung an einen Strand oder das Aufspritzen einer Gischt von Claude Debussy in Töne umgesetzt wurde. Auf- und abschwellende, beinahe schon organische Gebilde, die sich durch die wogenden Streicher im zweiten Satz ergeben und ihren Höhepunkt in den Trompeten finden sind genauso hörbar wie Szenen vom tiefsten, ruhigsten Wasser, das an seiner Oberfläche glitzert und die Sonnenstrahlen bricht. Der spannungsgeladene Finalsatz mit den drohenden Bassstreichern und den rollenden Pauken, der bis zu seinem fulminanten Schluss dynamisch aufgebaut ist, beschreibt anschaulich den Dialog des Windes mit dem Meer. Noch lange wirkte der Zauber des Abends, der das Publikum in ferne Länder und weite Meere entführte weiter – gibt es einen schöneren Grund für den Besuch eines Orchesterkonzertes?
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