Bittere Brocken leicht verdaulich
Von Michaela Preiner
Anderthalb Stunden zu spät (Foto: www.lupispuma.com / Volkstheater)
Laurence und Pierre sind seit Jahrzehnten verheiratet. Am Tag nachdem sie zum ersten Mal Großeltern geworden sind, stürzt Laurence in eine psychische Krise. Just einige Minuten, bevor sie ihren Mann zu einem Essen mit einem Geschäftspartner, der zugleich sein bester Freund ist, begleiten soll.
G érald Sibleyras, 1961 in Paris geboren, ist ein begnadeter Komödienschreiber. Einige seiner Werke wurden ausgezeichnet und in viele Sprachen übersetzt. So auch „Anderthalb Stunden zu spät“, das seine Österreichische Erstaufführung im Volx Margareten feierte. Bettina Ernst und Rainer Galke, der in seiner Maske sehr an den geistreichen, deutschen Komödianten und Fernsehstar Heinz Erhardt erinnert, schenken sich in den eineinhalb Stunden, die sie auf der Bühne agieren, verbal rein gar nichts. So sehr aber die gegenseitigen Untergriffe auch mit psychischen Boxschlägen zu vergleichen sind, schafft es der Autor doch immer wieder, mit pointierten Aussagen einen Publikumslacher nach dem anderen hervorzurufen.
In einem stürmisch-witzigen, verbalen Parforceritt wird die Ehe der beiden aufgearbeitet. Die Regisseurin Aurelina Bücher zeigt in einem Tür-auf-Tür-zu Szenario gleich zu Beginn, dass das Zusammenleben von Pierre und Laurence nicht wirklich harmonisch ist. Und sie unterstreicht das wortreiche Kräftemessen der beiden, aber auch ihren unerwarteten, gewaltigen Ausbruch aus ihrer Beziehungs-Routine, durch den Einsatz von Mobiliar und Requisiten.
Der Inhalt eines Popcorn-Sackerls, in einer Befreiungsaktion aus eingefahrenem, zwänglerischem Gehabe über den Boden verstreut, wird zum Sinnbild für den Aufbruch in ein neues Zeitalter. Eine ganze Batterie an Fertig-Schokopuddingen, die Pierre öffnet und genüsslich verspeist, wird zum Symbol für das Aufbegehren gegen einen restriktiven Lebensstil, der sich vornehmlich den Zwängen der Gesellschaft unterordnete.
Anderthalb Stunden zu spät (Foto: www.lupispuma.com / Volkstheater)
Es macht ungeheuren Spaß, Rainer Galke dabei zuzusehen, wie er ein um das andere Mal vergeblich versucht, seine Frau doch noch dazu zu bewegen, mit ihm der Einladung seines Freundes zu folgen. Die Identitätskrise von Laurence, für die er zu Beginn überhaupt kein Verständnis aufbringen kann und die er in fünf Minuten vom Tisch wischen möchte, schwappt nach und nach auch auf ihn über. Auch mit dem Satz „Ich sage Seele und du antwortest Portemonnaie“, den Laurence ihrem Mann an den Kopf wirft, ist die schwierige Kommunikation der beiden miteinander gut beschrieben. Die Emanzipation von Laurence, die sich im Laufe der Komödie manifestiert, zeigt sich auch darin, dass sie ihr elegantes Ausgeh-Outfit gegen eine Malerkluft eintauscht. (Kostüme Nina Ball) Beseelt davon, ihre Leidenschaft in der Kunst auszuleben, wird das Publikum und ihr Ehemann Zeuge eines künstlerischen Kraftaktes, der auch die Familienstruktur näher erklärt.
Das Wortgefecht kulminiert schließlich, als Laurence ihrem Mann gesteht, eine gebeichtete Affäre vor 19 Jahren nur erfunden zu haben. Die Volte, die der Autor hier in der Argumentation von Pierre schlägt, ist unbeschreiblich geistreich und witzig. „Wie kannst du mir das antun!“, ruft er entsetzt und erklärt ihr, dass gerade dieser vermeintliche Seitensprung für ihn „der Kitt der letzten 19 Jahre Ehe“ gewesen war. „Du wirktest so glücklich als betrogener Ehemann“, ist ihre nicht minder unerwartete Antwort.
Doch trotz der vielen ernsten, angesprochenen Themen – der Verzicht der Frau auf eine eigene Karriere, ihre Einübung in die Rolle der Mutter und ihr Aufopferung für die Kinder – ist die Handlung doch immer mit einer großen Menge Humor aufgeladen, sodass so manch bitterer Brocken leicht verdaulich wirkt.
Das Bühnenbild (Monika Rovan) verweist auf einen familiären Entwicklungs-Stillstand, der wohl in den 80er-Jahren um sich gegriffen haben muss. Die Flamingo-Tapeten, der Esstisch und seine vier Sessel, alles stammt aus dieser Zeit, in der sich die damals noch junge Familie ihr Nest gebaut hat.
Anderthalb Stunden zu spät (Fotos: www.lupispuma.com / Volkstheater)
Mit der Auswahl dieser Komödie ist die Direktorin des Volkstheaters abermals dem Wunsch des Publikums in den Außenbezirken nachgekommen, Stücke aufzuführen, die – salopp gesagt – eine leichtere Kost darstellen als jene, die in der allerersten Saison moniert wurden. Diese Inszenierung ist wie geschaffen dafür, einen witzig-spritzigen Theaterabend zu erleben. In ihm werden nicht nur schauspielerische Höhepunkte, sondern auch eine sprachliche Glanzleistung präsentiert, in der sich die Abgründe eines Ehealltags auf höchst vergnügliche Weise offenbaren.
Weitere Termine auf der Webseite des Volkstheaters.
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