Liebe, Arbeit und Tod als elementare Lebenserfahrungen

Zwei Männer, eine Frau. Ein Thema, so alt wie die Menschheit selbst. In der Expedithalle der ehemaligen Anker-Brotfabrik in Favoriten wurde es mit einem Text von Sarah Jeanne Babits und Thomas Groß neu aufgerollt.

„Vita activa oder Das denkende Herz“ ist die neue Inszenierung der Bahamut Productions. Babits und Groß teilen sich die Autorenschaft dieser Aufführung. Noemi Fischer, für die Regie verantwortlich, inszenierte das Spiel um die Philosophin Hannah Larsson, den Architekten Oscar Immergrün und den Therapeuten Dr. Han höchst poetisch. Dabei hat sie die Gewaltaufgabe zu meistern, die große Halle in ihrer Breite und Tiefe auch tatsächlich zu bespielen. Dafür muss zumindest zu Beginn das Ensemble im Laufschritt ziemliche Strecken bewältigen.

Der Plot ist leicht erzählt. Hannah, eine Philosophin, die vom Psychotherapeuten Dr. Han behandelt werden soll, erweckt auch aufgrund des Titels des Stückes Assoziationen zu Hannah Arendt. Es sind nicht nur Bindungsschwierigkeiten, sondern auch der Verlust des Ich-Gefühls, die sie zu diesem Schritt bewegen. Sarah Jeanne Babits schlüpft selbst in diese Figur und erlebt darin den Zyklus von Entfremdung, Zuneigung, Loslassen und sich in ein Schicksal wieder einfügen. Dabei wird sie, wie ihre Kollegen, von Habib Samandi an einer Trommel und einer Flöte und Milos Todorovski am Bandoneon und am Akkordeon begleitet.

Musik (Komponist Ruei – Ran Wu) spielt eine mächtige Rolle in dem Stück. Stärker als die Sprache, die niemals ausufert, sondern eher knapp bemessen ist. Dabei produzieren die Musiker sowohl asiatisch-knappes Klangmaterial als auch süd- bis osteuropäische Harmoniefülle. Sie wird nicht nur für beinahe unmerkliche Szenenwechsel genutzt, sondern ist Trägermaterial jener Stimmungen, die Hannah emotional nahe an ihren Therapeuten heranführen. Ihre Frage, ob er aus China stamme, bleibt unbeantwortet, aber beide stimmen mehrfach in chinesische Gesänge ein. Selbstverständlich, so als hätten sie dies schon hundertfach gemacht. Fischer bringt damit eine seelische Verbindung zum Ausdruck, die sich aus dem Wunsch des Verstandenwerdens speist, das jenseits von Sprache liegt. Die asiatische Komponente, die sowohl Hannah als auch Dr. Han in den Momenten ihres Näherkommens auratisch umgibt, erzeugt eine Grundstimmung, die sich abseits von Betriebsamkeit und ständiger Arbeit als Wunschraum eröffnet. Als Ort, in den hinein sich Nähe und Liebesillusionen perfekt projizieren lassen. Für Dr. Han ist es nicht unerheblich, dass Hannah mit einem scharfen Intellekt ausgestattet ist. Im Gegensatz zu anderen Patienten, die repetitiv in den Sitzungen agieren und ihn unendlich langweilen, stellt sie Fragen und tritt mit ihm in einen Dialog, was sein Innerstes zutiefst berührt. Die Erkenntnis, bis zu diesem Zeitpunkt ein Leben ohne Hingabe und Liebe gelebt zu haben, erschüttert den Psychologen in seinen Grundfesten.

Verortet ist das gesamte Geschehen an einem undefinierten Ort irgendwo zwischen Europa und Asien, was sich auch an den Kostümen ablesen lässt. Thomas Groß personifiziert einen ruhe- und rastlosen jungen Architekten, der als Workaholic bezeichnet werden kann und für sich und seine Hannah ein filigranes Haus errichtet. Markus Kuscher schuf ein unglaublich zartes Bühnenbild mit einer ganzen Reihe von skulpturalen Gebilden. Nicht nur das Stangenhaus, das Oscar in wenigen Augenblicken an einem Seil hochzieht, sondern auch ein mit vielen weißen Stoffbahnen besetztes Segelschiff, sowie eine Zeltbehausung setzen einzelne Markierungen im großen Raum. Dennoch steht die Weite des Raumes im Gegensatz zur Intimität der Figuren.  Auch was die Verständlichkeit der Textpassagen betrifft ist die Expedithalle eine große Herausforderung. Kann die Live-Musik bestens wahrgenommen werden, gab es am Premierenabend Schwierigkeiten, was die Aussagen von Dr. Han betrifft. Seine leisen Textpassagen konnten teilweise nur erahnt werden. Das Ensemble war zwar mit Mikrofonen ausgestattet, aber die Verstärkung klappte nicht immer. Da aber die Gefühlsebene, die in dieser Inszenierung angesprochen wird, mindestens gleichrangig mit jener des Intellekts anzusehen ist, spielte dies unter Strich letztlich eine nur untergeordnete Rolle. Die Regisseurin wird in den kommenden Aufführungen auf die Soundverstärkung verzichten und vertraut auf die reine Stimmkraft der Schauspielerinnen und Schauspieler.

Oscar erzählt zu Beginn der Vorstellung die Geschichte des Hundes von Odysseus, der, als er seinen Herrn bei seiner Heimkehr erkannte, starb. Denken und sterben, den Intellekt so sehr bemühen, dass er schließlich zum Hindernis wird – diese Überlegungen plagen den jungen Mann im langen, blauen Gehrock. Er ist permanent im Unruhestand bis auf eine erzwungene Auszeit während einer Schiffsreise. Diese wird für das Publikum zu einem wunderbaren Erlebnis. Sanft schaukelt das Segelboot zur Musik nach vor und zurück, dreht sich im Kreis und zur Seite. Diese Szene ist ein wahrer Augenbalsam und bleibt sicher lange im Gedächtnis haften.

Bei fast allen Interaktionen zwischen den Beteiligten spielt eine Rikscha eine Rolle. Ausgestattet mit einem Teppich, wie man ihn von der Freud´schen Couch her kennt, dient sie als solches Äquivalent. Was passiert, wenn die Emotionen überhandnehmen und der Intellekt ausgeschaltet wird, erlebt man ausgerechnet bei Dr. Han. Ausgelaugt und manisch-depressiv zeigt er sich in allen erdenklichen Stimmungslagen gegenüber seinen Klienten. Man könnte ihn als einen Therapeuten in fahrlässigem emotionalem Ausnahmezustand bezeichnen. Einzig bei Hannah findet er eine gewisse Mitte in sich selbst. Sein Tod am Ende des Stückes bleibt offen. Selbst gewählt oder fremdverschuldet? Beide Varianten stehen im Raum. Hannah kehrt danach wieder zu ihrem Oskar zurück, der sein mittlerweile zusammengestürztes Stangenhaus ein zweites Mal hochzieht und so Raum für eine neue, alte Beziehung schafft.

Die philosophischen Bezüge, die im Begleitfolder von Byung-Chul Han, einem jungen deutschen Philosophen mit koreanischen Wurzeln, beigesteuert werden, ergeben eine schöne Ergänzung. Unbedingt notwendig sind sie jedoch nicht. Die Einbeziehung von Thanatos und seinem Gegenspieler Conatus, also dem Gott des Todes und einer dem Menschen inhärenten, treibenden Kraft in Gestalt der beiden Musiker, umrahmen das Geschehen ganz subtil leitmotivisch.

Ein Abend, der viele Sinne anspricht und jede Menge Räume für individuelle Interpretationen eröffnet.

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