Piraten und Westernhelden im Shakespeare-Format
Von Michaela Preiner
E r lieferte am Volkstheater eine Shakespeare-Interpretation rund um das Thema Liebe und Intrigen ab, die trotz einiger kleiner psychologischer Umdeutungen, dank der Übersetzung von Angela Schanelec, das bot, was einige Besucher des Abends vielleicht nicht auf ihrem Radar hatten: Einen Shakespeare, der sich nicht scheute, Grobes wenig verklausuliert aufzuzeigen und gleichzeitig dem derb-wilden Treiben ein Feuerwerk an geschliffener Sprache entgegenzusetzen, dass dem Publikum dabei schwindlig werden kann.
Die Premiere von „Viel Lärm um nichts“ begann unerwartet: Die Hausherrin, Anna Badora, verkündete vor dem Vorhang die virusbedingte Stimmlosigkeit Stefan Suskes, der die Rolle von Leonato, dem Regenten von Messina, dennoch spielen wollte, lieferte jedoch die Lösung des Problems zugleich mit: Leonato wurde live vom Souffleur Jürgen M. Weisert synchronisiert. Ein mutiges Unterfangen, das aber aufging und letztlich mit Extra-Applaus bedacht wurde.
Die Entscheidung, die sich häufig in Bewegung befindende Drehbühne und die Kostüme in einer Mischung aus Western-Saloon und Piratenspelunke auszustatten, macht Sinn. Denn das Testosteron, das die kämpfenden Recken nicht nur zu Beginn, sondern während des gesamten Stückes darin versprühen, spritzt auf diese Art bis in den letzten Winkel des Volkstheaters. (Bühne: Christian Kiehl, Kostüme: Nicole Zielke) Folgerichtig, dass auch die Damen sich keineswegs höfisch benehmen.
Allen voran zeigt Isabella Knöll als Beatrice, dass Gefügigkeit und Duldsamkeit für sie Fremdworte zu sein scheinen und brüllt gleich zu Beginn den Song „nothings gonna hurt you baby“, begleitet von ihrer eigenen Frauen-Power-Band, ins Mikro. Er stammt von der Brooklyner Ambient-Pop Band „Cigarettes After Sex“ und ist im Original um einiges weicher und sanfter. Aber sanft und weich passt nicht auf Beatrice. Knöll ist eine tolle Besetzung für jene Unbeugsame, deren Hass zu Benedikt, dem gerissenen Womanizer und Frauenverächter, sich letztlich in Liebe verwandelt. Sie verkörpert eine brennende, intensive, schamlose, beleidigende, unabhängige und höchst intelligente junge Frau, der selbst die angekündigte Ehe am Ende des Stückes nichts von ihrer Power und Eigenbestimmtheit nehmen wird. Das macht die halsbrecherische Verfolgungsjagd quer über die sich drehende Bühne mit Benedikt klar. Jan Thümer hat als ihre Hass-Liebe alle Hände voll zu tun, seine Auserwählte an sich zu binden, Herr wird er ihr aber bis zum Schluss nicht wirklich.
Bis es jedoch soweit ist, stattet der Regisseur einzelne Figuren mit intensiven Charaktereigenschaften aus. So darf das Stubenmädchen Margaret, mit ähnlichen widerständigen Charaktereigenschaften ausgestattet wie ihre Herrin, voll der Mannesgier, Benedikt coram publico besteigen. Evi Kehrstephan schwankt dabei grandios zwischen Lüsternheit und Anhänglichkeit, wohl wissend, dass ihr Traummann ihre Zuneigung nur körperlich erwidert. Pater Francis hingegen, dem aufgestreuten, weißen Kokain-Pulver sehr zugetan, ist ständig zugedröhnt. Fabelhaft, wie Thomas Frank wankend und schwankend und doch als einziger klar Denkender der gesamten Truppe mit einer riesigen Portion Humor und Spielfreude diese Figur interpretiert und Licht ins Dunkel einer ehebedrohlichen Verleumdung bringt. Sein umständliches Herabsteigen einer aus Alustangen improvisierten Kanzel erinnert an Helmut Lohners unvergessene Sesselszene als Titus Feuerfuchs in Nestroys Talismann aus dem Jahr 1976. Ein Beweis, dass Slapstick dieser Art und Weise ohne Ablaufdatum im Theater immer funktioniert.
Nicht zu vergessen ist Donna John, die Steffi Krautz als geschlechterumgedeutete Halbschwester von Don Pedro mimt. Ihr abgrundtiefer Hass ihrem Bruder (Sebastian Pass in weißem Silbernieten-verbrämten Macho-Disco-Outfit) gegenüber steigert sich gleich zu Beginn in der ersten Szene klar und deutlich, verliert sie doch während des Fechtkampfes blutigst ihre linke Hand, die flugs durch einen Metallhaken ersetzt wird. So ist schon nach den ersten Minuten klar, dass Schug auch bemüht ist, die psychologischen Beweggründe der Shakespeare-Figuren plakativ zu unterfüttern. Krautz` Furor steigert sich im Laufe der Vorführung grandios bis hin zu jener Szene, in der sie – während ihrer eigenen psychologischen Selbstverstümmelung – ganz in Wild-West-Manier und abseits des Shakespear´schen Drehbuches, von ihrem Halbbruder erschossen wird.
Auch Margret, Hero (Nadine Quittner) und Ursula (Claudia Sabitzer), die Beatrice eine Liebesintrige spinnen, erhalten einen Twist. Dürfen sie doch nach ihrem von Beatrice belauschten, hinterhältigen Dreierauftritt bei ihrem Abgang die englischen Verse der drei Hexen aus Macbeth deklamieren, in welchen diese ihre nächste Zusammenkunft vereinbaren.
Immer wieder heizen unterschiedliche Songs die ohnehin schon köchelnde Stimmung auf und verdeutlichen dabei zusätzlich die emotionalen Befindlichkeiten von Beatrice und Benedikt, wie in der wild-romantischen Darbietung von „Falling in love with you“ von Elvis Presley. Einzigartig, wie Isabella Knöll anfangs jedes einzelne Wort zögernd und zaudernd stimmringend aus sich presst, bis am Ende schließlich Beatrice und Benedikt den Text zur Punk-Version wie liebes-waidwunde Tiere herausschreien. (Musikalische Leitung: Thorsten Drücker)
„Viel Lärm um nichts“ – jenes Nichts, das im ersten Bild mit einer über die Bühne getragenen Fahne thematisiert wird – erhielt bei der Premiere neben vielen Bravo-Rufen auch zwei deutlich vernehmbare Buhs für die Regie. Für manche scheint diese deftige Shakespeare-Kost unverdaulich gewesen zu sein. Die Mehrheit am Premierenabend verließ jedoch sichtlich beglückt das Volkstheater. Unser Tipp: Bilden Sie sich selbst eine Meinung!
Weitere Termine auf der Homepage des Volkstheaters.