Und über allem thront Hillary

„We don`t speak to be understood“ ist mehr als nur eine Performance. Pieter Ampe und Benjamin Verdonck zeigten damit im Rahmen der Wiener Festwochen, wie unterhaltsam zeitgenössisches Theater sein kann. Und das ohne großen Einsatz von technischem Hilfsmaterial.

Sie ist zum Brüllen komisch, zum Ekeln grausig. Sie verblüfft kolossal durch einfachen Theaterzauber, verärgert durch beißenden Rauch und den Gestank nach verbranntem Toastbrot. Sie bewirkt Staunen, Nachdenken und herzlichstes Lachen. Wer dabei war, wird wissen, dass es sich um die Performance „We don`t speek to be understood“ von Pieter Ampe und Benjamin Verdonck handelt, die im Rahmen der Wiener Festwochen im brut aufgeführt wurde. Und sie ist eine Performance, bei der man zukünftig beim Hören von Vivaldis Jahreszeiten keine romantischen Landschaftsbilder mehr im Kopf haben wird.

Das Programmheft führt in die Irre. Darin sind zwei Briefe abgedruckt, die sich die beiden Performer gegenseitig in Vorbereitung ihres gemeinsamen Auftrittes schrieben. Oder so ähnlich. Denn man mag dies alles glauben oder nicht, eigentlich handelt es sich dabei nur um ein dadaistisches, kleines Vorspiel, das in eine absurde Vorstellung mündet, die nach einer Stunde viel zu früh vorbei ist.

Das Spiel kommt ganz ohne Worte aus – bis auf den ersten Auftrittssatz von Verdonck, die Begrüßungsformel „hej“ von Ampe, und an einer Stelle wilde ja- und nein-Staccati, die sich beide gegenseitig an den Kopf werfen. Sonst wird das Geschehen ausschließlich von Vivaldis Komposition der „Vier Jahreszeiten“ getragen. Und, nicht zu vergessen, im grande finale, von der Liebhabe-Hymne „we are the world“.

Mächtige und Erniedrigte, das kennt doch jeder

Ampe, mit langem roten Rauschebart und schon schütterem, aber nichts desto trotz auch langem Haar, das er zu Beginn zu einem Knoten zusammengebunden hat, spielt darin über weite Strecken einen unterwürfigen Mann, der von Verdonck nach allen Regeln der Kunst erniedrigt wird. Dabei mutiert er an manchen Stellen sogar zum Hund, den man behandeln kann, wie man möchte.

Nachdem sich Verdonck zur Jänner-Paraphrase von Vivaldi im Takt die Zähne putzt, öffnet er einen Kühlschrank, aus dem zur Überraschung und großem Gaudium aller Ampe freundlich heraus grinst. Schon das erste Zusammentreffen macht klar: Hier herrscht eine Unausgewogenheit im Zusammenleben. Einer ist oben, der andere unten, und zwar ganz weit unten. Unausgewogene Partnerschaften sind wohl allen Menschen im Publikum bekannt und so beginnt sich rasch eine Assoziationskette zu bilden, in welcher die starken Bilder, die an der Grenze zwischen Witz und Tragik angesiedelt sind, im Kopf unaufhörlich arbeiten.

Allein schon der unterschiedliche erste Auftritt zeigt, dass sich hier zwei ganz verschiedene Charaktere eingefunden haben. Verdonck schreitet in blauem Winterpullover, das Publikum betrachtend, auf die Bühne und rezitiert majestätisch unnahbar einen Satz Lyrik, während Ampe, einmal aus dem Kühlschrank gekrabbelt, alle, inklusive die Bühnenrequisiten, auf das Freundlichste begrüßt. Vivaldis März wird wenige Augenblicke später durch rosarote Bänder empfangen, die sich, an Ventilatoren befestigt, tanzend im Windhauch bewegen. Eine wunderbare Metapher, deren Zauber nicht nur das Publikum, sondern auch Ampe sofort erliegt. Nicht lange darf er sich daran erfreuen, denn ein ungeschicktes Zusammenstoßen veranlasst seinen Partner, sich mit ihm in Slow-Motion heftig zu prügeln.

Ab nun gibt es für Verdonck kein Halten mehr. In einer langen, höchst degoutanten Szene träufelt er Ampe eine bernsteinfarbige Flüssigkeit in dessen Mund. Nicht aus einer Flasche oder einem anderen Objekt, sondern über ihm stehend, aus seinem eigenen Schlund. Auch, dass Ampe anschließend das gelbe Nass aus seinem Mund wieder herausrinnen lässt und dabei seinen Bart benetzt, ist nicht viel appetitlicher. Zu diesem Zeitpunkt ist das Schlimmste noch nicht überstanden, denn es wird noch ein anderes Bild geben, bei dem man meint, den Schmerz der Protagonisten selbst zu verspüren.

Zum Glück hält der Juni eine Gesinnungsänderung parat und der Juli gibt Ampe Kraft, sich durch lautes Nein-Gebrülle, selbstverständlich alles im Takt, gegen die Unterdrückung seines Freundes aufzulehnen. Es kommt, wie es kommen muss. Während sich Verdonck von seinen Grauslichkeiten gegenüber seinem Partner schlafend erholt, beginnt neben ihm im Toaster etwas abzubrennen.

Ungerührt und hündisch beobachtet Ampe daneben diese Szenerie ohne einzugreifen. Man hat Angst, dass der beißende Rauch und der Gestank die eigenen Kleider olfaktorisch beeinträchtigt, während auf der Bühne Ampe seine Hand wie eine Hundepfote mehrfach ausstreckt, ohne jedoch dem Schlafenden tatsächlich eine Hilfestellung zu geben. Nachdem der Rauch abgezogen ist wird klar, das war das Ende des grausamen Peinigers.

Vivaldi als spannungsgeladene Hintergrundmusik

Ab nun dreht sich der Spieß um und Ampe mutiert zum dämonischen Ungeheuer, das den Körper seines Freundes beseitigen möchte. Vivaldis musikalischer Oktober mutiert zu einer spannungsgeladenen Hintergrundmusik, zu der der Überlebende den Kühlschrank langsam in den Bühnenhintergrund schleppt, um seinen Widersacher damit endgültig körperlichen Schaden zuzufügen. Letztlich kippt er ihn auf den Kopf von Verdonck, auf den er zuvor ein grünes Handtuch legte, um dann noch siegessicher den Kühlschrank zu erklimmen, um darauf zu posieren.

Ein getretener Wurm rächt sich eben. „Autsch, das muss gehörig wehtun“, denkt man. Erst als an späterer Stelle dasselbe mit Ampe passiert, nimmt man den kleinen Zaubertrick wahr, der diese Illusion ermöglichte. Dass nichts so ist, wie es auf den ersten Blick scheint, dies ist ein stilistisch wiederkehrendes Mittel in der Performance. Wenn man meint, eine Situation überstanden zu haben, kann man sicher sein, dass sich ihr eine zweite anschließt, mit der man nie gerechnet hätte. Und so kommt plötzlich, nach einem gekonnten Lichtwechsel, der vermeintlich Verstorbene wieder ins Leben zurück und vollzieht nun jene Erniedrigungsprozedur am nun leblosen Körper Ampes, die zuvor an ihm ausgeübt wurde.

Vivaldi ist verklungen, aber es gibt noch ein fulminantes Nachspiel. „We are the world“ erfüllt nun in krassem Gegensatz zur zuvor gehörten E-Musik den Raum. Auf der Bühne verschönert Verdonck dazu einen Christbaum mit bunten Papierschlangen. Der Kühlschrank mutiert in Windeseile zur Titanic, auf der sich die beiden in der Pose von Kate Winslet und Leonardo di Caprio zusammenfinden. Ganz zum allgemeinen Gaudium des Publikums. Eine große Windmaschine, die auch Nebel versprüht, markiert einen nicht enden wollenden Sturm von dem Ampe schließlich von Bord geschleudert wird. Am Boden rollend streckt er noch seinen Arm hilfesuchend aus, aber sein Kompagnon kann ihm nicht mehr helfen, rudert doch auch er in einem kleinen Boot um sein Leben. Das Theater, der Film, die mediale Vergnügungsindustrie, all das nehmen die beiden in dieser Szene gehörig aufs Korn und treffen damit voll ins Schwarze.

Verdonck und Ampe sind in Belgien keine Unbekannten

Benjamin Verdonck ist in Belgien ein bekannter Name. Er arbeitet am Theater, performt im Freien oder tritt mit der bekannten Toneelgroep aus Amsterdam auf, die ebenfalls bei den Festwochen mit einer Inszenierung von Ivo van Hove zu sehen ist. Dank der umsichtigen Planung von Stefan Schmidtke, der für das Schauspielprogramm der Wiener Festwochen verantwortlich ist.

Pieter Ampe, graduierte 2008 an der „Anne Teresa De Keersmaeker’s school for contemporary dance“ mit Hilfe von Verdonck, der ihn dort bei seiner Performance „Oh Feather of Lead“ unterstützte. Mit von der Partie war auch Simon Mayer, der sich durch seine regelmäßigen Auftritte im brut in Wien einen Namen machte. Interessant, wie sich so mancher Kreis in der Performance-Szene schließt. Gemeinsam bilden Verdonck und Ampe  ein neues Komödiantenduo, dem man nicht müde wird zuzusehen.

Das alte Spiel vom Großen und vom Kleinen, vom Bösen und Guten, vom Tyrannischen und vom Bauernschlauen, es funktioniert in dieser Kombination einfach wunderbar. Vielleicht auch, weil es ganz ohne elektronische Hilfsmittel auskommt. Die Musik kommt nicht aus einem PC, sondern von selbst aufgelegten Platten. Ein Tisch, ein Sessel, ein Toaster, drei Ventilatoren und ein ausrangierter Kühlschrank, mehr bedarf es nicht, um damit ausgiebigst kreativ zu spielen. Auf der Kühlschranktüre, weithin sichtbar, klebt ein Farbfoto von Hillary Clinton. Unbeeindruckt schaut sie dem närrischen Treiben der beiden zu und agiert so als Übermutter jeglicher Blödeleien. Ein Narr, wer sich daraus einen Reim machen will?

Ein wunderbarer Abend mit zwei begnadeten Schauspielern, die dem Publikum geben, was es sich sehnlichst wünscht: Eine Stunde prallvoll gepackt mit Vergnügen, Spaß, Überraschungen und dem Gefühl, dass zeitgenössisches Theater herrlich unterhaltsam sein kann.

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