Geoffrey Styles und Alasdair Malloy übernahmen das Piratenschiff des OPS
Leicht außer Atem begleitet mich Geoffrey Styles vom Bühnenausgang in seine Künstlergarderobe. Sein Ringelshirt und die um die Hüfte gebundene Schärpe machen einem Filmpiraten alle Ehre, dass Styles von Beruf jedoch Dirigent ist, würde man mit dieser Verkleidung nicht auf Anhieb vermuten. „Vorstellungen wie diese, sind anstrengend, noch dazu, wenn man zwei an einem Tag hat, so wie heute“ entschuldigt er seine ohnehin für mich nicht bemerkbare Atemlosigkeit. „Vorstellungen wie diese“ gibt Styles im Jahr nur wenige Male, dann nämlich, wenn er sich mit Alasdair Malloy um den Nachwuchs im Konzertsaal kümmert. „Erziehungs-Konzerte“ nennen sich diese Vorstellungen wenig attraktiv im Fachjargon, „Piraten“ klingt da schon spannender, und man kann sich ein „Bild“ machen, was da wohl auf die Kinder zukommen mag. „Alasdair macht seit langer Zeit Konzerte für Kinder, er hat damit in unserer Heimat in England begonnen und tourt mittlerweile mit seinen Programmen durch die ganze Welt. In Frankreich arbeitet er seit 2004 immer mit mir zusammen. Ich bin ja schon seit vielen Jahren im Lande, spreche die Sprache fließend und helfe ihm auf der Bühne auch mit Übersetzungen aus.“ Ob diese Konzerte auch einer intensiven Probenarbeit bedürfen, möchte ich wissen und bekomme als Antwort: „Ja, natürlich, vor allem geht es darum, den Musikern den Spaß an der Sache zu vermitteln. Und auch, dass ihre Freude auf die Kinder überschwappen muss.“ Dass dies im „Piratenkonzert“ gelang, war sicht- und spürbar. Nicht nur die Verkleidung der Orchestermitglieder, sondern auch ihre „Choreografie“ – mal beugten sich alle gleichzeitig bei Schiffsschräglage nach links, dann nach rechts, mal standen einzelne Instrumentalgruppen geschlossen auf, um sich nach wenigen Takten zu setzen und ihre Kollegen stehend „sprechen“ zu lassen, brachte Schwung und Fröhlichkeit auf die Bühne. „Alasdair stammt aus Schottland und ich bin in London aufgewachsen. Sein schottischer Dialekt und meine elegantere Aussprache prädestinieren uns auch für unsere Piratenrollen – er als Maat und ich als Steuermann“, Styles wird nicht müde, ein wenig über die Regieeinfälle zu plaudern. „In England gibt es eine lange Tradition der Pantomime, die vor allem um die Weihnachtszeit für Kinderkonzerte eingesetzt wird. Auf dem Festland ist diese Art noch relativ unbekannt. Wir wollen mit diesen Vorführungen vor allem auch zeigen, dass Musik Spaß bedeutet, dass man Freude daran haben kann, dass der Konzertsaal kein sakraler Tempel ist. Natürlich steckt dahinter auch der Gedanke, das Publikum für morgen für Konzerte zu begeistern“. Auf die Frage, ob denn die Kinder heute nicht ohnehin mit Musik durch die verschiedensten Medien überschwemmt würden, wirft Styles einen interessanten Gedanken ein: „Ja klar ist das so. Aber es ist auch eine interessante Entwicklung fest zu stellen. Zu Beginn der Audiowiedergabe stand die Monotechnik. Diese hat sich weiter entwickelt zur Mehrkanalwiedergabe bis zum Dolby-surround in der höchsten Qualitätsform. Aber heute sehen Sie vor allem die Kinder und Jugendlichen mit ihren Handys am Ohr Musik hören, ganz ohne Stereoeffekt. Das bedeutet einen Rückschritt und das Hören eines „realen Orchesters live“ hat eine ganz andere Qualität. Ein Orchester bietet nach wie vor den allerhöchsten Qualitätsstandard des Musikhörens an und dieser Klang ist mit nichts vergleichbar“. Ob er einen Unterschied zwischen dem englischen und dem französischen Kinderpublikum empfinden würde – diese Frage beantwortet er überraschend: „Das kann ich nicht sagen, denn mein Debüt in England hatte ich erst im vergangenen Herbst! Ich kam gleich nach meinem Studium als junger Mann nach Paris und bin immer in Frankreich geblieben. Ja ich bin in Paris geboren und wuchs aber in London auf, aber ich habe hier in Frankreich meine Familie und arbeite in Bordeaux. Deswegen habe ich keinen direkten Vergleich. Fast 95% meiner Zeit verbringe ich in der Oper, die ich sehr liebe.“ Styles ist seit 2002 stellvertretender Opernchef an der Opéra national in Bordeaux und arbeitet darüber hinaus mit dem „Orchestre national de Bordeaux Aquitaine“. „Können Sie Unterschiede zwischen Bordeaux und Strasbourg feststellen“ hake ich nach. „Nicht, was die Orchester betrifft. Das sind beides hervorragende Klangkörper. Aber mir fällt auf, dass die erzieherische Arbeit in Straßburg einen besonderen Stellenwert einnimmt. Sehen Sie sich einmal das Dossier an, das alle Lehrer schon lange vor der Aufführung bekommen haben, um ihre Schüler auf das Konzert vorzubereiten. Das ist wirklich fantastisch! Jedes „Nationalorchester“ in Frankreich ist ja verpflichtet, in einem gewissen Umfang mit Kindern zu arbeiten und jede Schulbehörde erarbeitet ihre eigenen Unterlagen hierzu . Hier in Straßburg arbeitet man auf diesem Gebiet vorbildlich“. In diesem Moment stürmt sein Maat herein. Über das linke Auge eine schwarze Augenklappe geschminkt ist es nicht leicht, Alasdair Malloy während des Gesprächs direkt anzusehen. „Entschuldigen Sie meine Verspätung, aber ich habe die Kinder am Ausgang noch verabschiedet. Das mach ich immer so, viele wollen auch noch ein gemeinsames Foto machen, das braucht immer seine Zeit, aber ich habe große Freude daran“, erklärt der Musiker gleich zu Beginn seinen kleinen Verzug. Wie lange er denn schon diese Art von Konzerten für Kinder mache, wie viele Programme er sich erarbeitet hätte und wie er überhaupt dazu gekommen sei, sind meine ersten Fragen. „Ach mein Gott, ich mache das schon über 20 Jahre. Über 40 Programme sind es bestimmt schon, aber ich habe sie noch gar nicht wirklich durchgezählt. Ich bin ja in meinem Hauptberuf erster Schlagwerker beim BBC Concert Orchestra und ich habe mehrere Kinderkonzerte erlebt, bei denen ich mir dachte: so geht das eigentlich nicht, so kann das nicht funktionieren. Es macht für mich keinen Sinn, die Kinder außen vor zu lassen, sondern sie müssen in das Programm mit eingebunden werden, die Musik muss adaptiert werden usw. Und so begann ich selbst, die Sache in die Hand zu nehmen. Ich denke mir nicht nur das Generalthema aus, sondern ich arrangiere auch die Musikstücke für diese Konzerte. Manches führen wir im Originaltext auf, aber anderes muss ich neu arrangieren, weil es z. B. zu lang ist. Wenn die Kinder, wie bei diesem Konzert, alle mitmachen können, wenn alle dirigieren, nicht nur ein oder zwei von ihnen auf der Bühne, dann haben auch alle etwas davon. Sie gehen nach Hause, voll Enthusiasmus und erzählen ihren Eltern davon. Das ist ein Beginn und kann sie auch später dazu animieren, ins Konzert zu gehen. Es ist schon interessant, denn ich bin schon so lange im Geschäft, dass ich in England bereits eine ganze Generation von Kindesbeinen an bis zum Erwachsenenalter mit meinen Konzerten begleitet habe. Wir haben da ein mehrstufiges Programm entwickelt, dass Konzerte je nach unterschiedlicher Altersstufe, anbietet“. „Sie reisen mit ihren Konzerten ja um die ganze Welt!“ „Ja, ich bin auch viel in Asien zu Gast, in Malaysia z. B. aber auch in China“. „Stellen Sie da Unterschiede im Publikum fest?“ „Oh ja, große sogar. Hier in Frankreich zum Beispiel besteht eine sehr hohe Affinität zur Kultur, Frankreich ist eine „Kulturnation“, das spürt man auch in der Erziehung der Kinder, in ihrer Reaktion. Sie wissen um die „Etikette“, wie man sich benehmen muss, und sind überrascht, dass sie in einem Konzert auch Spaß haben dürfen. In England wiederum gibt es diese Tradition schon viel länger, aber trotzdem gibt es viele Kinder, die vor so einem Konzert noch nie im Konzertsaal waren. Ich passe da die Auswahl der Stücke an, lasse kürzere und leichtere spielen; besonders auffallend ist jedoch das Benehmen der Kinder in China. Durch die restriktive „Ein-Kind-Politik“ haben diese Kinder ein anderes soziales Verhalten. Sie werden von ihren Eltern verhätschelt und sind außer Rand und Band. Rennen im Konzertsaal herum und können sich lange nicht so gut konzentrieren. Das ist dann für die Musiker und mich eine richtige Herausforderung. So unterschiedlich aber das Publikum ist, eines stelle ich immer wieder fest: Die Orchestermusikerinnen und –musiker sind überall gleich. Sie sind großzügig, schenken mir Zeit und nach der ersten Probe spielen sie mit enormem Enthusiasmus. Sie vertrauen mir auch, da sie sehen, dass ich die Arrangements selbst mache und Erfahrung habe. Wissen Sie, es ist aber nicht so, dass Musik nur etwas ist, wo man die Ohren benötigt. Das Zuhören erzeugt im besten Fall Vorstellungen und Bilder und ich hoffe sehr, dass ich mit dem was ich mache hier auf dem richtigen Weg für die Kinder bin. Wir möchten auch zeigen, dass es sich dabei um eine Gemeinschaftsarbeit, um ein Gemeinschaftsgefühl handelt, in dem man gut aufgehoben ist.“ Noch immer habe ich Schwierigkeiten, mich im Piratengesicht von Alasdair zurechtzufinden und Mühe, das Gespräch zu beenden, das den Enthusiasmus dieser beiden Musiker auf so direkte Weise widerspiegelt. Ob sie noch eine kleine Botschaft an das junge Publikum hätten, beschließe ich dieses „Pas-de-deux“ der beiden Herren. „Oh ja, macht Musik! Lernt ein Instrument, spielt in einem Jugendorchester oder singt in einem Chor. Ein Orchester ist ein unglaubliches, soziales Gebilde“ antwortet Alasdair Malloy sofort und Geoffrey Styles fällt ihm fast ins Wort: „Ja, und außerdem ist es auch ein unglaubliches Privileg, diese Freude mit anderen Musikern zu teilen“.
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