„Torvald“ frei nach „Nora“ von Henrik Ibsen. Eine sehenswerte Zusammenarbeit von „DAS GUT“ und dem TAG.
Zwei Frauen und drei Männer in Unterwäsche. Die Herren im schwarzen Slip, Lackschuhen und Socken. Die Damen in dunklen Dessous. So betreten sie die Bühne im TAG, um „Torvald“ zu spielen. Eine großzügige Neuinterpretation des Stückes „Nora oder ein Puppenheim“ von Henrik Ibsen. Lächerlich sehen sie aus, aber es entkommt ihnen kein Lachen. Schon bald darauf tragen sie einen Einheitslook – die Männer dunkle Anzüge, weiße Hemden und dunkle Krawatten, die Damen ebenfalls schwarz – Hose und Rock – hauptsächlich businesslike. „Crazy“ – die Hitnummer von Gnarsl Barkley wird während des Anziehritus intoniert. Eine Textzeile wird schließlich zum Leitmotiv aller. Daraus geht hervor, warum sie das tun, was sie tun: And all I remember is thinking, I want to be like them. „To be like them“ ist anscheinend Motivation genug, um alle Verrücktheiten des Arbeitslebens über sich ergehen zu lassen und kräftig dabei mitzumischen.
Die Tänzerin Rachelle Nkou, Schweizerin mit afrikanischen Wurzeln und hoher Österreich-Affinität, ist für die Regie verantwortlich. Geschrieben wurde der Text im Kollektiv von ihr, Lisza Loidl, Veronika Merklein, Iris Stromberger und Raimund Wallisch. Allerdings werden darin die Rollen, die zu Ibsens Zeiten noch männlich-weiblich klar verteilt waren, auf den Kopf gestellt. Nicht Nora möchte aus ihrer Situation ausbrechen, sondern Torvald. Anfangs scheint alles noch wunderbar im Lot. Obwohl von Beginn an klar ist, dass die Menschen, die hier auf der Bühne stehen, nicht mehr als Arbeitsroboter sind. Im Einheitstakt vor dem Schirm arbeiten, immer und immer wieder dieselben Bewegungen durchführen, immer und immer wieder dasselbe Liebesschwören zwischen Nora und Torvald. Da kann man schon einmal die Nerven verlieren. Die Sozialidylle, in der man es sich so schön eingerichtet hat mit Haus im Grünen, bröckelt bald gewaltig. „Das Kind“ lebt im Internat und schickt den Eltern Bücher, die es besonders interessieren. „Die Verwandlung“ von Franz Kafka, jenes schwarze Stück Weltliteratur, das gerne als Depressionsbeschreibung gelesen wird, alarmiert Nora und Torvald nicht. Zu sehr sind sie mit sich selbst beschäftigt, mit ihrem Streben nach ganz oben und ihrem Wahn, sich unterzuordnen und einzugliedern und ja nicht aufzufallen – außer es dient der Karriere.
Aber da gibt es immer wieder Momente, in denen man strauchelt und Halt braucht. Der wird vom virtuellen „Studio Linde“ prompt geliefert – so man sein Guthaben dort noch nicht aufgebraucht hat und der Account noch nicht geschlossen wurde. Johanna Orsini-Rosenberg als goldbehandschuhte Linde wird an diesem Abend von Torvald (Alexander Braunshör) und Nora (Birgit Linauer) des Öfteren zu Hilfe gerufen. Stets bereit, putscht sie die Strauchelnden mit Durchhalteparolen wieder hoch und sendet ihnen seltsame Energieschübe, die über die Krise hinweghelfen sollen. Ein unverrückbarer Fels, aber auch ein uneinnehmbarer, ist Krogstad – fulminantest von Julian Loidl interpretiert. Als Konzerndirektor entscheidet er zu Weihnachten, ob Torvald nach ganz, ganz oben befördert wird oder nicht. Dabei zeigt er auch, wie es geht, seine Kunden zu überzeugen. Egal ob mit metallic-farbenen Christbaumkugeln oder lukullischen Genüssen, Hauptsache es wird gekauft. Und das, auch ganz ohne Bedürfnisse. Mit der Ansage „Das Ganze gibt`s dann auch wäh- wäh- wäh- vegan“ hat er die Lacher des Publikums sicher auf seiner Seite.
Ein außergewöhnlicher Regieansatz und eine brillante Sprache
Gelacht wird überhaupt viel an diesem Abend. Zu lächerlich gebärden sich alle Beteiligten, als dass der Ernst der Lage, in der sie sich befinden, zu sehr auf die Gemüter drücken würde. Gewiss, Konsumkritik und das Aufzeigen des wahnwitzigen Kapitalismus-Auswuchses, der längst im Mainstream angekommen ist, hat man schon oft gesehen. Aber es gibt zwei nicht unbedeutende Aspekte, welche diese Koproduktion von „DAS GUT“ und dem TAG rechtfertigen. Es ist die ungewohnte, spritzig-rasante künstlerische Umsetzung. In ihr zeigt sich, dass die Regiehandschrift von Nkou stark von tänzerischen Elementen geprägt ist, die das Ensemble gewaltig herausfordern. Zum Zweiten sind es Textpassagen, die es in sich haben. Das Liebesbekenntnis, das sich als narzisstische Auffassung dieses zwischenmenschlichen Gefühles entpuppt, ist eines jener Highlights, in dem klar wird, dass die verwendete Sprache von Wortkaskaden nur so glitzert. Oder Torvalds endgültige Erkenntnis: „Ich bin aus Fleisch und Blut…. ich habe gekündigt“ verbindet kunstvoll sein prosaische Tun mit religiösen Wertevorstellungen, die längst abgelegt wurden, aber sprachlich noch immer durchblitzen. Die Rolle von (Dr.) Rank, mit Martin Bergmann besetzt, wird dazu benützt, das menschliche Tun mit jenem aus dem Tierreich zu vergleichen. Es sind wohl Wanzen, die sich Rank immer wieder aus seinen Haaren reisst, und die ihn zu allerlei Philosophischem inspirieren, bei dem einem der Appetit aufs Menschsein vergehen kann.
Das Finale grande, in welchem Linde schließlich vor Torvalds endgültiger Verweigerung kapituliert, ist ein schauspielerischer Höhepunkt. Was einst Frank Zander so bildwirksam als Ur-Urenkel von Frankenstein besang, nämlich „meine Batterie wird alle“, macht Orsini-Rosenberg umwerfend bildhaft klar. Die Moral von der Geschicht` bleibt offen. Der letzte Satz, den Torvald an seine Nora stellt: „Was wäre wenn?“ kann als Aufforderung an das Publikum aufgefasst werden. Wer mag, denkt selbst weiter. Für mögliche Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie jedoch bitte Zeitgenössisches zum Thema Kapitalismuskritik oder alternativ – Aussteigerliteratur.
Ein konsumfreundlicher, spritzig-witziger Abend, aber mit winzigen Haken und Ösen versehen, die im Abgang ganz schön zwicken können.