Schönreden und drüberfahren

Schönreden und drüberfahren

Michaela Preiner

Foto: ( Johannes Gellner )

1.

Oktober 2023

Das TIB zeigt in seiner neuen Produktion „Das demokratische Abendessen“, wie wenig es bedarf, um mühsam aufgebaute Fassaden eines toleranten „Ich“ bröckeln zu lassen. Im Rahmen des "Steirischen Herbstes 2023" fügt sich der Inhalt gut zum Generalthema "Humans and demons".

Als Inspiration diente das Buch „Gegen Wahlen: Warum Abstimmungen nicht demokratisch sind“ des belgischen Autors David Van Reybrouck. Darin argumentiert er, dass die gegenwärtige Praxis der Wahlen nicht unbedingt demokratisch ist und schlägt Alternativen vor, um die demokratische Repräsentation zu verbessern. Er stellt das Konzept des Losverfahrens vor, bei dem Bürger zufällig ausgewählt werden, um politische Ämter zu besetzen oder an Entscheidungsprozessen teilzunehmen, als einen Weg, um die demokratische Beteiligung zu fördern und die Macht zu dezentralisieren. Dieses alternative Modell soll eine Möglichkeit bieten, die demokratische Legitimation zu stärken und die politische Teilhabe zu erhöhen.

Das Theaterteam machte sich im Sommer im Griesviertel auf die Suche nach Personen, die an einem gemeinsamen Abendessen teilnehmen wollten. Dabei sollte im Gespräch erkundet werden, welche Einstellung die Menschen zu unserer Demokratie haben. An zwei Abenden wurde aufgekocht, die Gespräche dieser Settings auditiv aufgenommen und von einer Fotografin festgehalten. Elisabeth Holzmeister und Eva Hofer sowie Rupert Lehofer und Ed Hauswirth verarbeiteten die Texte zu einem sinnlichen Theaterabend mit einem derben Ausklang, der zugleich einen höchst subtilen Tiefgang aufwies.

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Das demokratische Abendessen (Foto: Johannes Gellner)

Die beiden Schauspielerinnen rekapitulierten Auszüge der Gespräche und imitierten dabei die Gäste. Alleine schon dieses Schlüpfen in unterschiedliche Rollen im Abstand von wenigen Augenblicken, lohnte das Zusehen, obwohl zu diesem Zeitpunkt nicht viel mehr als allgemeine Plattitüden über unseren Alltag aufgezählt wurden als da sind: Strompreiserhöhung, die Schwierigkeit, Kinder in einer städtischen Umgebung aufzuziehen, das Ausgegrenztsein von Menschen mit Migrationshintergrund. Immer wieder wurde betont, wie „toll“ es doch im Gries sei, wie divers die Menschen dort seien und dass es ein anderes, angenehmeres Leben als im Bezirk Geidorf sei. Gestandene Grazerinnen und Grazer durften sich über diese Aussagen wundern.

Erst mit dem Auftauchen eines Kellners (Rupert Lehofer) wendete sich die rosige, schön geredete Erinnerungsschleife und bröckelte Stück für Stück ab. Nicht nur, dass die Frauen entgegengesetzte Meinungen zu den Abenden vertraten, man erfuhr auch, wie schwer es gewesen war, Gäste zu rekrutieren. Dass der Mann einen ganz anderen Part in diesem Spiel einnahm als die Frauen, zeigte sich gleich bei seinem ersten Auftritt. Wollte er doch wissen, woher denn der viele Text käme und bald darauf, ob man denn bei der Gäste-Auswahl den Gini-Koeffizient berücksichtigt hätte. Die Antwort „Gini-Koeffizient, welcher Gini-Koeffizient?“ machte klar, dass hier zwei Welten aufeinanderprallten. Immer stärker zeigte sich im Laufe des weiteren Geschehens, dass der von den Gastgeberinnen von Beginn an offenkundig falsch eingeschätzte Ober mit Intellekt und Interesse am Thema ausgestattet war und durch seine Fragen der Handlung einen neuen Twist verlieh. Seine positive, hoffnungsvolle Sicht auf die Zukunft heizte die bereits gereizte Stimmung noch weiter auf. Es bedurfte nicht viel, war auch schon der Aggressionslevel derart gestiegen, dass es zu einem Showdown zwischen den beiden Frauen kam. Die bis dahin hoch gehaltene Weltoffenheit, die demonstrativ zur Schau getragene Toleranz gegenüber allem und jedem kippte innerhalb weniger Sekunden in Schimpftiraden und körperliche Angriffe. Dabei ließen die beiden Damen Blicke hinter die Kulissen zu. Von der Strapaze der Gäste-Rekrutierung über nervende Proben, bei welchen der Hund einer der Darstellerinnen im Wege stand, von peinlichen Sitzungen mit olfaktorischen Störungen hin zu einem veritablen Dissens mit der Dramaturgie reichte die Bandbreite.

Als schließlich der bis dahin Contenance haltende Kellner meinte, das Maß der Übergriffe sei voll und er würde ohnehin für eine iliberale Demokratie plädieren, eine Aussage, der man staunend folgte, waren sich die beiden Damen sofort wieder einig. Die gemeinsame, stumme Übereinkunft, den Störenfried loszuwerden, einte sie wieder und führte schließlich zu einem, wenngleich abermals geschönten Happy End.

Mit dem Song „It’s a good day to change the system“ klang die Inszenierung aus, allerdings mit einer aus der Realität des Vorgekommenen abgeleiteten Erkenntnis. Jede Person trägt unterschiedliche Züge in sich, jeder von uns ist scheinbar sowohl ein humal als auch ein demon. Zumindest braucht es herzlich wenig, um letzteren sichtbar werden zu lassen. Theater im Bahnhof

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