Tartuffe als Stummfilmtanz

Tartuffe als Stummfilmtanz

Michaela Preiner

Foto: ( )

19.

Juli 2019

„Staging a play: Tartuffe“ wartet mit einer ganz besonderen, extrem wiedererkennbaren Choreografie auf, für die man auch den Terminus „Stummfilmtanz“ verwenden könnte.

In grellen Farben, bunt ausstaffiert, beäugt eine Gruppe von Menschen einen jungen Mann, der ganz in Schwarz gekleidet ist. Dabei lugen sie vorsichtig hinter einer dreidimensionalen, aufgestellten Schrift hervor, die während des gesamten Stückes sichtbar bleibt: „For today I must stay in your house“ ist darauf zu lesen und antizipiert damit in einer Kurzfassung den thematischen Kern des Stückes. Spannend und vielversprechend beginnt Matija Ferlins „Staging a play: Tartuffe“ auf der Bühne des Theaters im Palais der KUG in Graz. Eingeladen wurde die Zagreb Dance Company von der Internationalen Bühnenwerkstatt. Bereits zum 28. Mal veranstaltet diese ein internationales Tanzfestival, das jeden Sommer Tanzbegeisterte für eine gute Woche in die Landeshauptstadt lockt.

Der 1982 in Kroatien geborene Ferlin absolvierte die School for New Dance in Amsterdam, lebte anschließend eine Zeitlang in Berlin und war Gast auf vielen internationalen Tanzfestivals und internationalen Schauspiel- und Opernhäusern. Auch in Österreich ist er kein Unbekannter. Er war bei Impulstanz zu Gast und erarbeitete jüngst in der Josefstadt eine Choreografie für Schnitzlers „Der einsame Weg“.

Für Ferlin ist es die zweite Arbeit, die unter dem Übertitel „Staging a play“ läuft. Die erste war Tennessee Williams Glasmenagerie gewidmet. Seine eigenständige Interpretation des Moliere-Stückes kommt ganz ohne Worte aus. Dem Choreografen war es wichtig, diese gänzlich durch Bewegungselemente zu ersetzen. Dabei greift das Ensemble auf ein Bewegungsvokabular zurück, das an Marionetten erinnert und auf fließende Übergänge häufig verzichtet.

Der starke Einsatz der Hände erinnert an die Gebärdensprache, ist jedoch völlig eigenständig und charakterisiert auch einzelnen Figuren. Ein weiteres stilistisches Charakteristikum der Produktion ist der häufige Blickkontakt, den die Tanzenden mit dem Publikum aufnehmen. Er ist so intensiv, dass man zuweilen den Eindruck erhält, man solle sich doch auch zum Geschehen äußern oder dem einen oder der anderen zumindest beipflichten. Einzig der Charakter von Dorine, Zofe der Tochter des Hausherren Orgon, fällt aus diesem Schema des Öfteren heraus. Sie stellt eine Figur dar, die sich in Ferlins Interpretation am Ende ganz gegen ihr vorheriges Naturell benimmt und von der aufsässigen Dienerin zu einer unterwürfigen Mitläuferin wandelt.

Die großartigen Kostüme – eine Mischung aus Harlekin-Outfit und peppigem Zeitgeistdesign stammen von Desanka Jankovic und Matija Ferlin selbst. Mit ihnen wird Wohlstand und Macht ausgedrückt – so lange, bis Tartuffe der kleinen Gesellschaft alles Materielle abgenommen hat. Nachdem Orgon ihm sein ganzes Hab und Gut überschrieben hat, entwendet Tartuffe von jedem und jeder ein Kleidungsstück, das er sich selbst überzieht. Dass sich Orgons Familie danach bis auf die Unterwäsche noch selbst entblößt, visualisiert die neuen Besitzverhältnisse. Außer ihrem Hemd am Leib ist ihnen nichts mehr geblieben.

Es dauert zu Beginn eine ganze Weile, bis alle Figuren vorgestellt werden und man sich in ihren jeweiligen Habitus eingesehen hat. Erst als die getanzten Dialoge beginnen, nimmt das Stück erzählerisch an Fahrt auf. Der lebensverdrossene, hünenhafte Hausherr erkennt in Tartuffe – dem viel kleineren, aber wendigeren, jungen Mann – die Chance, ganz nach seinem Willen sein Vermächtnis zu gestalten. Seine Frau lässt sich vom Eindringling verführen und reagiert, wie dieser, höchst betroffen, als ihr Sohn die beiden beim Tête-à-Tête stört. Mariane, Orgons schon für eine Ehe versprochene Tochter, ist ein Spielball der Wünsche ihres Vaters und bricht mehrfach unter seiner Despotie zusammen.

Ihr Verlobter Valère versucht verzweifelt in vielen Überredungsdialogen Orgon davon zu überzeugen, dass Tartuffe ein Gauner ist. Dieser ist sich – wie am Schluss deutlich wird – der Tragweite seiner Machtbesessenheit und Verführungskünste gar nicht bewusst. Das Spiel, für das er das Leben offenkundig hält, wird todernst und kippt in ein für ihn nicht vorhersehbar gewesenes Dilemma.

Ferlins Stück ist so angelegt, dass es Zusehenden, die Tartuffe nicht kennen, mit großer Wahrscheinlichkeit einen gänzlich anderen Interpretationsrahmen bietet. Tatsächlich folgt er jedoch nicht Molieres Blaupause und verpasst der Geschichte am Ende einen neuen Twist. Tartuffe landet nicht im Gefängnis, sondern reagiert völlig entsetzt und schmerzgebeutelt, als er jenen Mann tot auffindet, den er um sein Hab und Gut brachte.

„Staging a play: Tartuffe“ wartet mit einer ganz besonderen, extrem wiedererkennbaren Choreografie auf, für die man auch den Terminus „Stummfilmtanz“ verwenden könnte. Sie lebt über weite Strecken von den überzeichneten Figuren, die sich allesamt permanent auf der Bühne befinden. Die weiß geschminkten Gesichter können als Referenz für das barocke Script dienen, aber die Kostüme verweisen auch auf die Commedia dell`arte, die von Italien nach Paris importiert worden war und unter Ludwig dem XIV dort eine Blüte erlebte.

Als Sounduntermalung wurde die Einspielung einer langen, zeitgenössischen Orgelkantate von Luka Princic gewählt. Ihr eingängiger Beat untermalt eine Melodiestimme, die auch aus einer historischen Partitur entnommen worden sein könnte. Auch darin verschränkt Ferlin das Zeitgenössische mit dem Historischen auf subtile Art und Weise. Eine gelungene Produktion, die Raum für intensive Diskussionen bietet.

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