von Michaela Preiner | Nov. 15, 2019 | Theater
„In früheren Zeiten konnte einer ruhig vor seinem vollen Teller sitzen und sich’s schmecken lassen, ohne sich darum zu kümmern, dass der Teller seines Nachbarn leer war. Das geht jetzt nicht mehr, außer bei den geistig völlig Blinden. Allen übrigen wird der leere Teller des Nachbarn den Appetit verderben – dem Braven aus Rechtsgefühl, dem Feigen aus Angst. … Darum sorge dafür, wenn du deinen Teller füllst, dass es in deiner Nachbarschaft so wenig leere wie möglich gibt. Begreifst du?“
Mit diesem Text von Marie von Ebner-Eschenbach beginnt das „Gemeindekind“. Eine Produktion im Theater Spielraum, für welche der Text von Nicole Metzger, der Hausherrin, adaptiert wurde.
Sündenböcke gab es zu jeder Zeit. Heute würde man im gesellschaftlichen Kontext von Ausgegrenzten sprechen, im beruflichen von Mobbingopfern. Das Theater Spielraum in der Kaiserstraße nimmt sich dieses Themas mit dem Stück „Das Gemeindekind“ an. Der zugrunde liegende Roman gilt als eines der Hauptwerke jener Literatin aus dem 19. Jahrhundert, deren Texte erschreckend aktuell sind.
Gleich zu Beginn der Inszenierung hört man ländliche Csardas-Klänge und weiß sofort, dass man sich auf dem Land befindet. In Ungarn höchstwahrscheinlich. Dort wird ein Ehepaar verurteilt, das ohnehin keinen guten Ruf besitzt. Der Mann wird zum Tod verurteilt, die Frau zu 10 Jahren Zuchthaus und die Kinder werden in die Obhut der Gemeinde übergeben, die ab sofort für sie zu sorgen hat. In der Fassung von Nicole Metzger sind es ein Bruder und seine jüngere Schwester.
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Ohnehin vom Schicksal schon gebeutelt, schiebt man sie der Familie des Gemeindehirten zu, deren Frau als falsch und zänkisch gilt. Glück im Unglück hat das kleine Mädchen, das der Gräfin zufällt, welche diese in ihr eigenes Kloster schickt, um sie dort christlich erziehen zu lassen.
Metzger, die auch Regie führt, lässt Dana Proetsch, Veronika Petrovic und Paul Graf in unterschiedliche Rollen schlüpfen. Diese Herausforderung meistern allesamt mit Bravour. Proetsch schafft dabei den heiklen Twist zwischen einer dünkelhaften und zugleich standesbewussten Baronin zur groben Ziehmutter von Pavel, die alles andere als einen noblen Charakter hat.
Veronika Petrovic beeindruckt mit David Czifer als Geschwisterpaar. Vor allem jene Szenen, in welchen sie sich gegenseitig Schutz und Halt geben, sind überaus berührend. David Czifer reift von einem verschreckten, aber trotzigen Jugendlichen zu einem überlegten Mann, dem das finanzielle Glück aufgrund harter Arbeit zur Seite steht.
Abraham Thill gibt den Lehrer, der sich redlich müht, Pavel auf einen rechten Weg zu führen und ihm eine gute Ausbildung zukommen zu lassen. Allerdings schätzt er die Situation der Ziehfamilie des Jungen völlig falsch ein. Dass er noch dazu von seiner eigenen Lebenslüge davonläuft und ein neues Leben in einer neuen Stadt beginnen möchte, beraubt Pavel auch seiner einzigen Bezugsperson, mit der er reden kann.
Das Bühnenbild besteht aus nicht viel mehr als einem großen Tisch mit weißem Tischtuch, unter dem Pavel immer wieder Zuflucht findet. Das Kloster wird in Form eines beleuchteten Fensters hoch über der Bühne angedeutet. Der rasche Szenenwechsel und auch der häufige Kostümwechsel des Ensembles, gehen mit eine hohen Erzähltempo einher.
Paul Graf in der Rolle des Bürgermeistersohnes gibt einen selbstgefälligen, jungen Mann, dem letztlich sein Stolz und seine Habgier im Wege stehen. Obwohl sich die Inszenierung nicht bemüht, zeitgeistig zu erscheinen, ist es gerade das Eingangszitat, das noch einmal am Schluss eingespielt wird, welches die Aktualität der Ungleichheit von Reich und Arm, von Ausgegrenzten und Establishment deutlich macht.
Neben dem fulminanten spielerischen Einsatz, der aufzeigt, was am Theater alles mit einem tollen Ensemble möglich ist, ist es vor allem die bewegende Geschichte, die zwischen Komik und Tragik kaum zu überbieten ist, die fesselt. Ein Theaterabend wie aus einem Bilderbuch.
von Michaela Preiner | Apr. 25, 2017 | Theater
„Bonjour tristesse“ war Sagans erster und zugleich auch berühmtester Roman. Rund weitere 30 sollten noch folgen und sie nicht nur in Frankreich zur Bestsellerautorin machen. Geschrieben mit 18, wirbelte er 1954 gehörig Staub auf.
Zumindest die älteren Generationen echauffierten sich prüde über die im Buch geschilderte körperliche Zuneigung der jungen Protagonistin mit einem Studenten. Dass der Teenager Mitschuld am Tod einer Modedesignerin trug, war weniger relevant.
Im Theater Spielraum hat sich Katharina Köller der Theaterfassung des Romanstoffes von Ulrich Waller angenommen und Regie geführt. Wie schon mit „Colette“ wagte sie sich an einen sehr bekannten Stoff, in dem abermals eine jungen Frau der Mittelpunkt des Geschehens ist.
Schuhe als kryptische Hinweise
Die Bühne (Dimiter Ovtcharov) besteht aus einer schwarz-weißen, modernen Architekturfassade mit einem davor angebauten, schmalen Steg. Der Boden ist übersäht mit schwarzen Schuhen jeder Art. Alten und neuen, ausgelatschten und solchen, die noch gut in Schuss sind.
Köller wollte damit einen Verweis auf ein Denkmal liefern, das am Donaustrand in Budapest an die verfolgten Juden und Jüdinnen erinnert. Und sie wollte dem mondänen Geschehen in der Villa am Mittelmeer etwas Triviales, Reales entgegensetzen.
Der Verweis auf das ungarische Mahnmal ist – zumindest in Wien – ohne Erklärung kaum nachvollziehbar. Immerhin bilden die Schuhe aber nicht nur Hindernisse, wie sie das Meer mit seinen größeren und kleineren Felsbrocken an verschiedenen Stellen anbietet. Steine, über die man sich vorsichtig fortbewegt, oder, in tieferem Gewässer, einfach hinwegschwimmt. Die Schuhe erzielen von Beginn weg ein leichtes Unbehagen, eine diffuse Beklemmung, die man jedoch aufgrund der Leichtigkeit des Geschehens über lange Strecken hinweg gut unterdrücken kann.
Bonjour Tristesse, Christian Kohlhofer, Johanna Hainz © Barbara Pálffy
Johanna Hainz – eine Schauspielentdeckung
Die junge Regisseurin rahmt das Geschehen rund um die Beziehung von Vater und Tochter geschickt ein und lässt es von Beginn an wie einen Rückblick erscheinen. Dafür spricht Cécile am Anfang und am Schluss einen Text, der über Band eingespielt wird. Währenddessen sitzt sie, auf dunkler Bühne, dunkel gekleidet, mit dem Rücken zum Publikum. Alle anderen Szenen stehen dazu in heftigem Kontrast. Künden von der Leichtigkeit des Lebens, das von Cécile und ihrem Vater gelebt wird.
Kollateralschäden mit etwaigen Liebhaberinnen wie Elsa, sind dabei eingerechnet. Cécile – unglaublich authentisch und großartig von Johanna Hainz gespielt, ist nur die Nähe zu ihrem Vater wichtig. Seine verschiedenen Lieben erscheinen für sie nicht gefährlich, da sie regelmäßig ausgetauscht werden. Bei Hainz sitzt jede Geste, aber was noch viel wichtiger ist, jede einzelne Mimik, jedes Heben einer Augenbraue, jedes Weinen und jedes Herumtollen, sodass man sich fragt, wie diese junge Frau einmal in zwanzig Jahren spielen wird, wenn ihre Leistung im Moment schon derart reif ist. Eine wahre Entdeckung!
Reinhardt Winter verkörpert ihren Vater mit Bravour. Lebenslustig, ja lebensgierig, unbesonnen, aber zugleich warmherzig freut er sich, dass er unbeschwerte Sommertage mit seiner Tochter verbringen kann. Die beiden sind ein Traumpaar auf der Bühne, von dem man nicht genug bekommen kann.
Johanna Hainz, Reinhardt Winter © Barbara Pálffy
Die naive Elsa (Sandra Riedl geizt nicht mit ihren Reizen), rothaarig und von einem Sonnenbrand geplagt, macht bei den Spielen von Vater und Tochter geduldig mit. Bis Anne zu ihnen kommt. Eingeladen von Céciles Vater. Sie ist eine ehemalige Freundin von Céciles verstorbener Mutter und wächst sich, sehr zum Missfallen des Teenagers, zu einer richtigen Konkurrenz aus.
Nicole Metzger verkörpert die distanzierte, mondäne, erfolgreiche Designerin (Kostüme Anna Miriam Jussel), die sich in Raymond gründlich täuscht und von Beginn an gegen seine Tochter ankämpfen muss.
Die Intrige, die das junge Mädchen zu spinnen beginnt, wird Anne schließlich zum Verhängnis. Cyril, ein junger Jus-Student und in heftiger Liebe zu Cécile entbrannt, ist das ganze Gegenteil von ihr. Beharrlich, ernst, vorausschauend und linkisch zugleich. Herrlich, wie Christian Kohlhofer in dieser Rolle den tollpatschigen, jungen Mann spielt, der nicht aus freien Stücken Céciles Vater mit dessen Exfreundin eifersüchtig macht.
Vieles bleibt still
Bis zum dramatischen Ende darf aber heftig geliebt und gestritten werden. Verstohlene Küsse werden ausgetauscht, Cécile durch einen Backenstreich von Anne aber auch gehörig erniedrigt. Es wird im Meer geschwommen, am Strand gesonnt und in der Disco getanzt.
Katharina Köller arbeitet dabei sehr geschickt die Psychologie der einzelnen Rollen heraus. Sie gestaltet plausible Auf- und Abgänge, lässt das Spiel laufen, wo der Schmäh zwischen Tochter und Vater rennt und zieht verdichtet und verlangsamt das Geschehen, wo das intrinsische Befinden von Cécile veranschaulicht wird.
Nicole Metzger, Reinhardt Winter, Sandra Riedl © Barbara Pálffy
Man stellt sich nur die Frage, warum keinerlei Soundfiles oder andere Geräuschkulissen verwendet wurden. So ist das Geschehen zum Teil von einer eigentümlichen Stille erfasst, die den Eindruck von Längen erzeugt, die gar nicht vorhanden sind. Dies ist jedoch der einzige Wermutstropfen der Inszenierung.
Über weite Strecken darf man sich über das Treiben der Gesellschaft, die sich in Ferienlaune befindet, herzlich amüsieren. Das Ende ist im Roman von Sagan nicht so belehrend, wie es die Bühnenfassung anbietet. Bei der Autorin bleiben Cécile und ihr Vater im Roman das, was sie sind – Menschen, die eigentlich nicht erwachsen werden und immer versuchen, das Leben von seiner leichten Seite zu nehmen. Bei Köller/Waller bleibt Cécile jedoch in ihrer Tristesse gefangen.
„Bonjour Tristesse“ im Theater Spielraum bedeutet für alle, die in der Mitte des vorigen Jahrhunderts schon literaturaffin waren, ein schönes, nostalgisches „Wiedersehen“, für das junge Publikum ist es sicherlich eine tolle Neuentdeckung.
Weitere Termine auf der Homepage des Theater Spielraum.
von Michaela Preiner | Jan. 17, 2017 | Theater
Ödön von Horváth feiert derzeit in Österreich so etwas wie eine Renaissance. Das mit gutem Grund, spiegeln doch viele seiner Stücke höchst zeitgeistige Stimmungen wider. Leider, muss dazu festgestellt werden. Denn wer dachte noch vor 10 Jahren, dass Rechtsextremismus, Xenophobie und Themen wie Vertreibung und Flucht uns heute derart in Atem halten würden.
Figaro lässt sich scheiden, Theater Spielraum (c) Barbara Pálffy
Beaumarchais weitergedacht
Das Theater Spielraum bleibt mit der Stückauswahl seiner Eigenproduktionen hochaktuell und zeigt derzeit Horváths „Figaro lässt sich scheiden“. Jene Komödie, in welcher der Autor die Vorlage von Beaumarchais und die bekannte Vertonung „Figaros Hochzeit“ von Mozart nach deren inhaltlichem Ende weiterdenkt. In ihr wird Figaro zum geistigen Mitläufer und Unterstützer der französischen oder auch sonstigen Revolutionen gegen die ungerechten Herrschaftszustände, wenngleich er dabei auch seinem Dienstherrn, den Grafen Almaviva und dessen Gattin, zur Flucht verhilft.
Das Exil nutzt er schließlich, um mit seiner Frau Susanne einen Friseursalon in Großhadersdorf zu eröffnen. Dabei wechselt er von seiner einstigen Feudalherrenabhängigkeit in jene des kapitalistischen Systems. An seiner Weigerung Vater zu werden, zerbricht schließlich seine Ehe.
Figaro lässt sich scheiden, Theater Spielraum (c) Barbara Pálffy
Ein Spiel zwischen Komödie und Tragödie
Anders als im Horvath´schen Original gibt es in der Inszenierung von Gerhard Werdeker jedoch kein Happy End. Vielmehr lässt der Regisseur seine Figuren in freiem Fall von ihren einstigen Idealen auf den harten Boden der Realität unbarmherzig aufprallen. Kennerinnen und Kenner des Theater Spielraum bemerken rasch, dass das Stück jede Menge – aus neoliberaler Sicht – subversiver Gebrauchsanleitungen für den Umgang mit Kapital-Akkumulateuren bietet. Denn die Ausbildung der Superreichen-Klasse des 20. und 21. Jahrhunderts lässt sich – wie es der junge, linke, italienische Rebellen-Philosoph Diego Fusaro in einem herausragenden Artikel veranschaulicht – wunderbar mit dem Mittelalter vergleichen. Jener Zeit, in welcher sich das feudalistische System ausbildete und festigte.
Dabei changiert die Inszenierung zwischen einem deftigen Schwank, in dem das Ensemble seine komödiantischen Vorzüge zeigen darf und einem dramatischen Beziehungsstück. Yvonne Laussermayer, Johannes-David Schwarzmann und Gunter Matzka bringen dabei das Publikum in einer choreografisch angelegten Bankerl-Szene mit gegenseitigen Puffereien herzlich zum Lachen. Matthias Messner (Figaro) und Samantha Steppan (Susanne) hingegen erhalten nach ihrem veritablen Streit, der schließlich auch die Trennung besiegelt, Zwischenapplaus. Robert Rigler als Graf und Dana Proetsch, die im Spielraum die noblen Damenrollen gebucht hat, zeigen auf, dass sie sich als „Herrschaften von parfumierter Existenz“ in einer Realität in Armut nicht zurechtfinden. Weder können, noch wollen.
Figaro lässt sich scheiden, Theater Spielraum (c) Barbara Pálffy
Als Einstreuer gibt`s noch allerlei humoristischen Zeitbezug, angefangen vom Rauchverbot auf der Bühne bis hin zu einem Seitenhieb auf den president elect, Donald Trump.
Das Theater Spielraum ist Kult
Das Theater Spielraum festigt mit dieser Inszenierung abermals seinen heimlichen Kultstatus. Dieser begründet sich nicht nur darin, dass es unbeirrbar Klassiker der Weltliteratur zeigt. Vielmehr schaffen es die Inszenierungen im ehemaligen Erika-Kino jedes Mal, unglaubliche, ja beinahe schon unheimliche Gegenwartsbezüge aufzuzeigen. Wer sich selbst ein Bild machen möchte, kann dies nicht nur im Rahmen dieser Inszenierung tun, sondern darf auch ein Sonntagsfrühstück mit anschließender Aufführung im kleinen Saal genießen. Am 29. Jänner gibt es dazu mit einem Gastspiel von „ergo arte“ mit dem Titel „Der gute Ton – eine Navigation durch Zwang, Korsett und Schinkenbrot“ wieder Gelegenheit. Anmeldungen sind ob der begrenzten Kartenzahl unbedingt erforderlich.
Weitere Infos auf der Homepage des Theater Spielraum.