Von der Utopie direkt in den Krieg

Von der Utopie direkt in den Krieg

Kriegstreiber und Pazifisten – Menschen beider Gesinnungen treten überall auf der Welt dort auf, wo die Gefahr einer kriegerischen Auseinandersetzung besteht. Das aktuellste Beispiel dafür ist die Ukraine. Was noch vor wenigen Monaten kein Mensch für möglich gehalten hat, ist grausame Wirklichkeit geworden. Im Osten des Landes herrscht ein „Bruderkrieg“ und es ist noch lange nicht klar, ob dieser Brandherd nicht noch ein größeres Feuer anfachen wird.

v.l.n.r. Ingala Fortange, Andrea Köhler und Julia Schranz in dem Stück Tramp´s Albtraum der Schlüterwerke (Foto: Schlüterwerke)

v.l.n.r. Ingala Fortange, Andrea Köhler und Julia Schranz in dem Stück Tramp´s Albtraum der Schlüterwerke (Foto: Schlüterwerke)

Bertha von Suttner und der Pazifismus

Im Gedenkjahr anlässlich des Ausbruches des Ersten Weltkrieges beschäftigen sich eine ganze Reihe von Produktionen mit den Umständen, die zum Ausbruch des Krieges führten. Aber auch mit jener Frau, die ihr Leben dem Pazifismus widmete – Bertha von Suttner. Nun gibt es eine neue Theateraufführung, in welcher jedoch noch andere Stimmen zu Gehör gebracht werden, die sich für den Frieden einsetzten. Was im ersten Moment vielleicht als historischer Rückblick auf unsere Geschichte erscheinen mag, ist aber leider, wie eingangs aufgezeigt, brandaktuell. Viele der Aussagen, die das Ensemble der Schlüterwerke tätigen, könnten schrecklicherweise aus den letzten Wochen stammen.

„Tramp`s Albtraum“ nennt sich die neue Show unter der Regie von Markus Kupferblum. In ihr wird man dabei für eine Stunde in jene Tage zurückversetzt, in welchen der Erste Weltkrieg bereits in der Luft lag. Die Ermordung des Erzherzogs Franz Ferdinand in Sarajevo hatte bereits stattgefunden und in Wien sprachen die Menschen, so schien es, von nichts anderem als von einem bevorstehenden Krieg. 65 Jahre zuvor hatte Victor Hugo auf dem Pazifistenkongress in Paris eine Rede gehalten, in welcher er die Idee eines vereinten Europas ohne Grenzen beschwor. Über hundert Jahre und zwei verheerende Weltkriege sollte es jedoch noch dauern, bis seine Vision Wirklichkeit wurde. Und ob dieses Europa Bestand hat, ist mehr als ungewiss.

Stimmen gegen den Krieg

Victor Hugo, der französische Sozialist und Pazifist Jean Jaurès, der am 31. Juli in Paris ermordet wurde, Bertha von Suttner, der französische Literat Jules Romains – sie alle kommen mit Texten an diesem Abend zu Wort, wenngleich oft nicht in direkter Form. Vielmehr tragen die Charaktere – eine Caféhausbesucherin, ein jüdischer Literat, eine Filmassistentin, ein Ober, eine Schauspielerin und eine als Mann verkleidete Pianistin die einzelnen Texte vor, die in eine kurzweilige Diskussion eingebettet sind. In dieser wird der Kellner mit seiner Aussage, wie denn ein Krieg verhindert werden könne, wenn schon 30 Menschen in einem Caféhaus ganz unterschiedlicher Meinung seien, schlussendlich leider recht behalten.

Ingala Fortange als Pierot in der neuesten Produktion der Schlüterwerke (Foto: Schlüterwerk)

Ingala Fortange als Pierot in der neuesten Produktion der Schlüterwerke (Foto: Schlüterwerk)

Bis jedoch der Ausruf „Jetzt gibt es Krieg“ klar macht, dass Europa sich nun in den Abgrund stürzt, erklingen einige Lieder von Max Kowalski, einem Rechtsanwalt und Komponisten, der vor seiner Deportation nach Buchenwald in Frankfurt lebte. Als einer der wenigen, die noch während des Krieges entlassen wurden, emigrierte er nach London. Es ist Markus Kupferblum zu verdanken, dass Kowalski – als Komponist völlig vergessen – im Herbst mit einer CD rehabilitiert werden wird, die Ingala Fortange und Therese Cafasso einspielen werden. Kowalski hatte, ebenso wie Arnold Schönberg, sich Gedichte aus dem Lyrikband von Albert Giraud ausgesucht und vertont. Ingala Fortange interpretiert sie tief unter die Haut gehend als geltungssüchtiger Vamp aber auch als trauriger Pierrot und wird dabei von Therese Cafasso am Klavier begleitet. Cafasso schlüpft an diesem Abend in die Rolle eines Transkriptors von Chaplin, der seine Melodien nicht alleine zu Papier bringen konnte.

Dank Kupferblums Regie wird auch klar, wie sehr die Rolle der Frauen vor dem Ersten Weltkrieg eine gesellschaftlich inferiore gewesen ist. „Komponieren oder Regie führen das können nur Männer“ – und „als Frau hätte ich nie den Job als Pianistin bekommen“ – das sind nur wenige, aber umso charakteristischere Sätze, an denen klar wird, dass Gleichberechtigung zu jener Zeit noch auf keinem Gebiet durchgesetzt war. Aber auch, dass es ausgerechnet der Krieg sein wird, in dem Frauen zum ersten Mal Männerarbeit übernehmen werden, verkündet Julia Schranz als unerschrockene politisch denkende Frau inmitten einer von Männern dominierten Welt. Andrea Köhler als Möchte-Gern-Filmregisseurin gibt ihr schließlich auch die Chance, die Rede Bertha von Suttners zu deklamieren, welche diese bei der Verleihung des Friedens-Nobelpreises 1905 in Kristiania zu Gehör brachte.

Béla Bufe als Kellner in einem Wiener Kaffeehaus am Vorabend des 1. Weltkrieges. (Foto: Schlüterwerke)

Béla Bufe als Kellner in einem Wiener Kaffeehaus am Vorabend des 1. Weltkrieges. (Foto: Schlüterwerke)

Béla Bufe als Ober und Florian Hackspiel, der unter anderen Ausschnitte aus Victor Hugos Rede vorliest, agieren mitten im Publikum und evozieren so den Eindruck, als ob das Geschehen kein Theatrales wäre. Einspielungen von Kriegsereignissen aus dem Ersten Weltkrieg, die über die Videowand laufen, während Fortange Kowalskis Lieder interpretiert, machen deutlich, mit welch hohem Blutzoll die Menschheit jene Unvernunft bezahlen musste, die sich aus nationalistisch motivierten Abschottungen und falsch verstandener Vaterlandsliebe generierte.

Der Krieg ist nach Europa zuürckgekehrt

„Da tobt eine schwere Schlacht, die in ihrem Ausmaß alles übertrifft, was es bisher gab“. Das ist keine Aussage, die das Kriegsgeschehen im Ersten Weltkrieg kommentierte. Vielmehr stammt es von einem Militärvertreter der Ukraine, der damit die Kämpfe nahe der Stadt Krasni Liman beschrieb. Der Albtraum, der sich schon im Balkankrieg erstmals wieder zeigte, ist abermals nach Europa zurückgekehrt. Wo finden sich heute die internationalen Friedensbemühungen?

Weitere Aufführungen von Tramp`s Albtraum sind noch bis 29. Juni, jeweils Donnerstag bis Sonntag, im Souterrain des Café Korb in der Brandstätte 9 zu sehen.

Links:

www.schlüterwerke.at
Rede von Viktor Hugo

Die Gräfin in Reichenau

Die Gräfin in Reichenau

Sie trägt ein bodenlanges, cremefarbiges Kleid mit einem körperbetonten Schößchenoberteil, das ihre schlanke Figur hervorragend betont und weiß gekonnt mit einem Degen umzugehen. Wie ein Wirbelwind durchmisst sie permanent den Raum zwischen den gegenüberliegend angeordneten Sitzreihen. Ständig in Bewegung, kaum einmal zwei Minuten an einem Ort verharrend, verkörpert sie ein Energiebündel, getrieben von ihren eigenen Ideen und Gedanken, die niemals zu ruhen scheinen.

Lisa Wildman spielt die Gräfin Dotzky im Thalhof Reichenau (Foto: Fritz Novopacky)

Lisa Wildmann spielt die Gräfin Dotzky im Thalhof Reichenau (Foto: Fritz Novopacky)

Es bleiben nur kurze Momente, um ab und zu den Blick nach außen schweifen zu lassen – in eine wunderschöne Landschaft, die sich wie ein Trichter in das leicht darunter liegende Tal öffnet. Die vereinzelten Wolken ziehen an diesem Sonntagvormittag rasch über den Himmel, die Temperatur ist kühl. Im großen Raum, dessen Mitte von einem grünen Kachelofen akzentuiert wird, frösteln die meisten Menschen ein wenig. Sie haben sich eingefunden, um im Thalhof in Reichenau an der Rax „Die Waffen nieder“ von Bertha von Suttner anzusehen.

Nikolaus Büchel, Schauspieler und Regisseur hat Bertha von Suttners Erfolgsroman dramatisiert und ihn Lisa Wildmann quasi auf den Leib geschrieben. Sie scheint die einzige an diesem Vormittag zu sein, die von der frischen Temperatur keine Notiz nimmt und das verwundert nicht, denn, wie schon skizziert, ist sie ständig in Bewegung und erzählt dem Publikum in großen Zügen ihr Leben. Ihr Leben – das ist jenes, das Bertha von Suttner in Romanform goss und damit völlig unerwartet einen Volltreffer landete. Heute würde man Bestseller dazu sagen. Innerhalb weniger Monate verkaufte sich die Geschichte der Gräfin Althaus, verheiratete Dotzky, verheiratete Tilling mehrere Hunderttausend Mal und wurde anschließend in viele Sprachen übersetzt. 1889 gelang von Suttner dieser literarische Erfolg, mit dem sie ihre Einstellung zu Friedensbemühungen einer größeren Öffentlichkeit zu Gehör brachte. 2014, im Gedenkjahr an den Ausbruch des Ersten Weltkrieges aber auch zur 100. Wiederkehr des Todesjahres Bertha von Suttners gibt es mehrere Produktionen, die sich des Romans oder dem Leben der Autorin selbst wieder annehmen. Zuletzt war es Maxi Blaha in der Rolle von Bertha von Suttner, die im Parlament in Wien das Leben der Friedensaktivistin auf die Bühne brachte.

Der Erfolg des Buches „Die Waffen nieder“ begründete sich einerseits auf jenen fortschrittlichen, darin formulierten Ideen, die den Krieg nicht als ein von Gott gegebenes Ereignis darstellten, dem man schicksalshaft ohnehin nicht entrinnen kann. Vielmehr ließ Bertha von Suttner ihre Hauptfigur Martha darin in beinahe ketzerische Gedanken verfallen, welche sich nicht damit zufrieden geben, vorgefertigte Meinungen ohne kritisches Hinterfragen zu akzeptieren. Es ist aber auch die weibliche Sicht auf das Leben innerhalb der adeligen Gesellschaft in Wien zu Ende des 19. Jahrhunderts, die in dem Roman so sehr berührt. Martha, geborene Gräfin von Althaus, erlebt wie viele Frauen ihrer Generation und ihres Standes eine unbeschwerte Jugend, eine frühe Heirat mit einem beim Militär verpflichteten Grafen, die Geburt ihres ersten Sohnes aber alsbald auch den Tod ihres jungen Mannes am Schlachtfeld. Dieser Augenblick markiert Marthas Eintritt ins Erwachsenenleben, was in der Inszenierung in Reichenau mit einem Kostümwechsel offenkundig wird. Gräfin Dotzky öffnet dafür einen Knopf nach dem anderen, wendet ihr Kleid und trägt von diesem Moment an die Farbe Dunkelviolett. Lisa Wildmann überzeugt in der Rolleninterpretation nicht nur in jenen Sequenzen, in welchen sie in die Person der junge Martha schlüpft. Es ist die psychologische Entwicklung vom ungestümen Wildfang zur reflektierten Persönlichkeit, die sich nicht scheut, ihren Widerwillen gegen jeden Krieg laut zu artikulieren und dagegen aufzutreten, die rundum überzeugt.

Dabei sind es nur wenige Requisiten, die sie benötigt, um zu veranschaulichen, wie absurd, schrecklich und mörderisch die Kriege im 19. Jahrhundert waren, in welche die Soldaten immer wieder und wieder für Kaiser und Vaterland ziehen mussten. Zwei Handvoll bunter Zinnsoldaten sind es, die sie mehrfach mit ihrem Kleidersaum zu Fall bringt und damit das massenhafte Sterben markiert, das die Schlachtfelder in Europa mit Blut tränkte. Ein Turnbock, der ihr Reitpferd markiert und immer wieder ihr schlanker Degen, mit dem sie so manchem aus dem Publikum bedrohlich nahe kommt, eine Landkarte Europas des 19. Jahrhunderts und dazugehörig einige Dart-Pfeile, die sie darauf wirft. All das genügt, um mit ihr gemeinsam in jene Zeit einzutauchen, in der Frieden nur eine Frage von Jahrzehnten war mit der Gewissheit, jederzeit nur innerhalb weniger Wochen durch erneute kriegerische Auseinandersetzungen beendet zu werden.

Schon nach kurzer Zeit unterliegt man dem Gefühl, Gast zu sein in Gräfin Tillings lichtdurchflutetem Salon, der sich nach drei Seiten mit seinen vielen Fenstern in die Landschaft hin öffnet. Man wäre nicht wirklich überrascht, würde man Arthur Schnitzler im Vorbeigehen erkennen, jenen Autor, der wie kein zweiter dem Thalhof seinen literarischen Stempel aufdrückte. Wildmann nutzt dieses Surrounding gekonnt und spielt auch immer wieder mit den Gefühlen der Gastfreundschaft. Sie setzt sich zwischen ihr Publikum, schreitet hinter die letzten Stuhlreihen, um damit Bewegung bei den Zuseherinnen und Zuseher auszulösen und sie lässt sich dramatisch auf den Boden fallen, als sie die Todesnachricht ihres Gatten Graf von Dotzky liest. Scheinbar mühelos spielt sie ihr textgewaltiges Solo, das ihren Kampf für den Frieden genauso verdeutlicht wie ihre Rolle als Mutter, in der ihr bewusst wird, wie sehr ihre Erziehung ihre Kinder beeinflusst – hin zum kriegerischen, heldenhaften Tun oder auch zum friedfertigen Kampf gegen das unsinnige Blutvergießen.

Nikolaus Büchels Dramatisierung hält sich über weite Strecken ziemlich strikt an Suttners Textvorlage, wartet jedoch mit den allerletzten Zeilen mit einer großen Überraschung auf. Immer wieder lässt er die Stimmen der Gesprächspartnerinnen und – partner der Gräfin vom Band einspielen, wobei es immer nur die Stimme von Wildmann selbst ist, die zu hören ist. Eine geschickte dramaturgische Idee, in der zwar die verschiedenen Personen lebendig werden, allerdings klar bleibt, dass Wildmann diese nur in ihrem eigenen Erzählfluss zu Wort kommen lässt.

Die Romanvorlage wird in Büchels Fassung in ihrem zweiten Teil stark gekürzt. Sie beschränkt sich auf die Skizzierung der Todesumstände ihres zweiten Mannes, der im Deutsch-Französischen Krieg standrechtlich erschossen wurde und auf jene Aussagen, in denen die Gräfin explizit den Wahnwitz der Habsburger Außenpolitik anprangert und beinahe schon resignierend ihren eigenen Kampf gegen jede Art von Kriegstreiberei verdeutlicht. Immer wieder beklagt sie, dass ihre politischen Ideen deswegen nicht wahrgenommen werden, weil sie eine Frau ist und verweist damit auf das Fehlen nicht nur der politischen Gleichberechtigung. Diese hat Bertha von Suttner nicht mehr miterleben dürfen, kam sie doch erst bei Ausrufung der Republik am 12. November 1918 durch das ihm zugrunde liegende Gesetzt der Staats- und Regierungsform in dem auch das Stimmrecht aller Staatsbürger ohne Unterschied des Geschlechts festgesetzt worden war. Die letzten eindringlichen Worte mit denen das Publikum schließlich in den klaren Sonntagmittag entlassen wurde kamen jedoch nicht von Lisa Wildmann, sondern von einer zarten Kinderstimme: „Die Waffen hoch! Das Schwert ist Mannes eigen. Wo Männer fechten, hat das Weib zu schweigen. Doch freilich Männer gibt`s in diesen Tagen, die sollten lieber Unterröcke tragen!“ Tief getroffen von dieser Aussage stürmt Wildmann aus dem Saal ins Freie und macht damit deutlich, wie sehr sie diese Worte missbilligt. Sie stammen aus der Feder des Historikers und Schriftstellers Felix Dahn, der zwei Jahre vor Suttner starb. Politisch engagierte sich Dahn als Mitglied des Alldeutschen Verbandes, der zu den geistigen Wegbereitern des Nationalsozialismus gehört. Mit diesen zwei kleinen aber umso bedeutungsvolleren Sätzen, in den Mund eine Knaben gelegt, eröffnet Büchel den Ausblick in jene Zeit, die nicht nur den Ersten sondern auch den Zweiten Weltkrieg mit sich brachte. Kriege, von denen Suttner sich auch in ihren kühnsten Gedanken keine Vorstellungen machen konnte. Und – wie man heute im aktuellen Ukraine-Konflikt sehen kann – sind es Worte, die noch dazu leider nichts an Aktualität eingebüßt haben.

Beim anschließenden „Frühstück im Grünen“, das in dieser Saison im Thalhof erstmals zelebriert wird und auf großen Zuspruch seitens des Publikums stößt, hatte man nicht nur die Gelegenheit, sich an verschiedenen kulinarischen Köstlichkeiten zu laben. Vielmehr bot es auch die Möglichkeit, sich über das soeben Gesehene auszutauschen und an Büchel und Wildmann auch noch die ein oder andere Frage zu stellen. Am 7. 8. und 9. Juni wird Dr. Martina Winkelhofer im Anschluss an die Vorstellung aus ihrem neuen Buch „Wie unsere Familien im 1. Weltkrieg litten“ vorlesen und so die Thematik zusätzlich auf der Basis von persönlichen Erinnerungen und Briefen beleuchten.

Erzählter und erlebter Krieg

Erzählter und erlebter Krieg

Es gibt manches Mal Zufälle, die aus zwei Geschehen ein Vielfaches machen. Das mag sich hier kryptisch anhören, ist aber rasch erklärt. Ein solcher Zufall ereignete sich am 13. März in Wien. Kamen doch genau an diesem Tag zwei völlig unterschiedliche Theaterstücke zur Aufführung, an völlig unterschiedlichen Orten und zum Glück auch zu völlig unterschiedlichen Zeiten, sodass es möglich war, beide hintereinander zu besuchen. Und doch fußten beide auf einem Generalthema: Nämlich Krieg.

Die Rede ist hier vom Stück „Feuerseele“, das im Parlament uraufgeführt wurde und von „Zerbombt“, das am Max Reinhardt Seminar zu sehen war. Jetzt mag man meinen, dass zwei so unterschiedliche Aufführungsorte zugleich auch auf unterschiedliche Qualitäten des Dargebotenen deuten – was in der Tat auch der Fall war. Wobei in diesem Artikel nicht die eine gegen die andere Produktion ausgespielt werden soll, aber, und das war das Faszinierende, Vergleiche gezogen werden können, die es wahrlich in sich haben.

Feuerseele

Maxi Blaha, die umtriebige und vielseitige Schauspielerin, schlüpfte in „Feuerseele“ in die Rolle der Bertha von Suttner, die ihr von Susanne Felicitas Wolf quasi auf den Leib geschrieben wurde. Das Stück entstand nach einer Idee Blahas, zur Erinnerung an den 100. Todestag der Friedensnobelpreisträgerin. Im Budgetsaal des Parlamentes wurde sie dabei von Georg Buxhofer am E-Bass unterstützt, wobei diese musikalischen Interventionen vor allem im ersten Teil der Aufführung die noch romantische Stimmung der jungen Frau wiedergaben. Wolf komprimierte das Leben von Suttner in eine Stunde und ließ dabei weder die emotionalen Ebenen, noch die intellektuellen außer Acht. Zu Beginn blickt sie in ihre Kinder- und Jugendtage zurück, in welchen sie wegen der nicht standesgemäßen Beziehung ihres Vaters mit ihrer Mutter nicht in die Gesellschaft aufgenommen worden war. Sie erzählt von ihren ursprünglichen Schwärmereien für den Kaiser, den „alten Kriegstreiber“ wie sie ihn später nennen sollte, von ihrer Arbeit als Erzieherin im Hause des Barons von Suttner, ihrem kurzen Intermezzo als Sekretärin bei Alfred Nobel in Paris. Sie schildert ihr Durchbrennen und die heimliche Heirat mit dem um viele Jahre jüngeren von-Suttner-Sohn, ihre seelischen Verletzungen, als dieser in platonischer Liebe zu seiner Nichte entbrannte, dem frühen Tod ihres Mannes und der Rückkehr nach Österreich. Neben all den biographischen Hinweisen, die ihre Gefühlswelt offenlegten, schält Wolf aber vor allem jene Momente aus Suttners Leben heraus, in welchen sie begann, sich für den Frieden zu engagieren. Die ersten Konfrontationen mit dem Kriegsleid, die sie im Russisch-Türkischen Krieg erlebte, die tief empfundene Empörung über Rassismus und den stark spürbaren Judenhass in der k. u. k. Monarchie, sowie ihren Kampf für den Frieden vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Blaha spielt Suttner in der ersten Hälfte des Stückes in einem schwarz-blauen Schleppenkleid. Nach dem Tod ihres Mannes legt sie jedoch den blauen Rock ab, um in einer schwarzen, schmalen Hose und einer hochgeschlossenen Bluse sich nicht nur ihre modischen weiblichen Attribute zu entledigen, sondern offenbar auch ihre kämpferische Natur und Unbeugsamkeit stärker zu betonen. Keine Spur von der überlieferten Bertha von Suttner in ihrem langen, schwarzen Kleid mit Hut und Schleier. Stark ist der Text besonders in jenen Passagen, in welchen Wolf ihre Protagonistin hellsichtig über die Kriegstreiberei, die Nutznießer eines Krieges und ihre Vorausschau für eine internationale Friedensbewegung, die sich zwar erst viel später, aber doch im 20. Jahrhundert formierte. In diesen Passagen wird die unglaubliche Hellsichtigkeit und Intelligenz dieser Frau erfahrbar und es sind auch gerade diese Sätze, welche Vergleiche zu den kriegerischen Brennpunkten der heutigen Welt zulassen.

Die Regie von Alexander Hauer schlägt keinerlei experimentelle Volten, sondern belässt Blaha trotz einiger Abgänge von ihrem Podium relativ statisch auf der Bühne. Das Feuer, das in ihr selbst brennen musste, um so zu agieren, wie sie agierte, wird in seiner Regiefassung nicht wirklich entfacht. Vielmehr bleiben die Schilderungen über das Leid, das den Menschen im Krieg zugefügt wird, auf einer reinen Erzählebene. Und das ist nicht Blahas Schuld. Sie wird der Rolle äußerst gerecht und mutiert vom unreifen, schwärmerischen Backfisch zu einer resoluten, liebenden und für den Frieden fast bis zur Selbstzerstörung kämpfenden Frau, die ihre Fassung auch in ihren schlimmsten Zeiten nicht verliert. Die Regie dürfte wohl dem Aufführungsort geschuldet sein – bedächtig, nie laut werdend, Haltung bewahrend. Und trifft somit wahrscheinlich die Erwartung des angesprochenen Publikums.

Zerbombt

„Feuerseele“ stand in großem Kontrast zur Aufführung im Max Reinhardt-Seminar, eineinhalb Stunden später. Dort wagte sich David Stöhr, Studierender in der Regieklasse bei Anna Maria Krassnigg im zweiten Studienjahr an kein geringeres Stück als an das bei seiner Uraufführung heftig umstrittene Erstlingswerk der viel zu früh verstorbenen britischen Autorin Sarah Kane. „Zerbombt“ – eine schonungslose „homo homini lupo – Parabel“, lebt von Charakteren, die vom Krieg deformiert wurden. Kane erzählt die Geschichte des Journalisten Ian (Andrei Viorel Tacu) und seiner Freundin Cate (Michaela Saba Pircher). Die Geschichte einer kranken Beziehung, die längst aufgelöst wurde und dennoch kein Ende findet. Die Gewaltszenen, die Cate über sich ergehen lassen muss, wird sie zu einem späteren Zeitpunkt rächen, zuvor wird jedoch Ian selbst noch Opfer massiver Misshandlungen.

Der Krieg, der außerhalb des Hotelzimmers tobt, in welchem sich das Geschehen abspielt, hält genau in dieses Einzug. Mit aller Wucht und Gewalt, die man sich nur vorstellen kann. Der Soldat, von Lukas Watzl gespielt, hat schon so viele Morde auf seinem Gewissen und so viele Gewalttaten erlebt, dass er sich auch vor weiteren nicht scheut. Die Vergewaltigungsspirale, die Ian mit Cate begann, setzt sich zwischen dem in das Zimmer eingedrungenen Soldaten und ihm fort, bis er schlussendlich auf bestialische Art seines Augenlichtes beraubt wird. Das Einzige, was dem Soldaten nach diesem Exzess noch überbleibt, ist sich in all dieser er- und gelebten Grausamkeit selbst zu richten. Es ist allerdings keine Reue, die ihn dazu treibt. Kein Mord, keine Vergewaltigung, keine noch so grausame Menschenschinderei befreite ihn vom Schmerz, der ihn angesichts des gewaltsamen Todes seiner Freundin ergriff, von dem er Ian zuvor bis in grausame Details berichtete. Das Erkennen, dass auch weitere Gewalt diesen Schmerz nicht töten wird, führte schließlich zu seiner finalen Entscheidung.

Die Besetzung mit Lukas Watzl hat Stöhr klug gewählt, ist doch dem jungen Mann jene Zerbrechlichkeit anzumerken, die ihn am Ende Suizid begehen lässt. Stöhr, der bereits ein abgeschlossenes Psychologiestudium vorweisen kann, leitete Michaela Saba Pircher als Cate sowie die beiden Schauspieler Tacu und Watzl mit sicherer Hand durch die psychische Geisterbahn, die alles andere als leicht zu spielen ist; erleben doch die Figuren eine ständige Zunahme an seelischen und körperlichen Verletzungen. Es gibt in diesem Stück kein Auf und Ab, sondern ausschließlich ein rasantes Höllentempo in die allertiefsten menschlichen Abgründe, die erst einmal erspürt und dann auch gespielt werden müssen. Dass dies den jungen SchauspielerInnen dermaßen gut und mit Bravour gelang, ist mehr als erstaunlich. Der Wechsel vom Unterdrücker zum Unterdrückten, vom Sadisten zum Selbstmörder, vom verschreckten, jungen Mädchen hin zur kaltblütigen jungen Frau, die mit dem erlebten Grauen jede Unsicherheit ablegt, ist in allen Momenten glaubhaft gespielt.

Dabei greift David Stöhr zu keinen Verhüllungstricks und lässt Ian coram publico mehrfach masturbieren, vergewaltigen aber auch in der Opferrolle vergewaltigt werden. Einige Szenen, wie die erste Vergewaltigung von Cate, werden nur durch eine Geräuschkulisse, sei es stark prasselnder Regen oder ein infernalischer Lärm angedeutet – bei ihnen bleibt die Bühne dunkel. Andere wiederum – wie der kannibalistischen Akt, den Ian an einem toten Baby vollführt – werden dem Publikum schonungslos zugemutet. Gerade in dieser Schonungslosigkeit aber liegt die Kraft dieser Inszenierung. Das, was Kane mit ihrem Text vollbrachte, das greift der junge Regisseur, man möchte meinen – völlig ungefiltert – auf. Ohne jegliche Beschönigung, ohne Angst vor irgendwelchen Stolperfallen, die eine Inszenierung solch eines Stückes mit sich bringen kann. Und das war gut so. Die Lichtregie, die am Schluss den erbarmungswürdigen Zustand von Ian gut nachvollziehbar macht und das Bühnenbild von Sarah Sassen sind mehr als gelungen, bedenkt man vor allem, dass es sich hier um ein No-Budget-Projekt handelt. Ein schwarzes Bett, dahinter eine weiß-schwarze Ziegelwand, die im Laufe des Geschehens einstürzt, ein kleiner Kühlschrank und zwei Stehlampen verweisen in der Ausstattung auf die 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts – sind aber genauso gut in heutigen Urban-Style-Hotels zu finden. Kanes Stück hat leider durch die Krise auf der Krim und den Zuständen in der Ukraine eine aktuelle Brisanz in Europa erhalten, wie sie zum letzten Mal in den 1990er Jahren während des Balkankrieges auftrat.

Pircher durchlebt in ihrer Rolle eine Bandbreite an Gefühlen, die sich in ihr Innerstes eingraben. Sie ist imstande, diesen komplexen Prozess glaubhaft nach außen zu tragen und beeindruckt von Anfang bis zum Schluss. Andrei Viorel Tacu als Ian, vom Tod schon gezeichnet und dennoch beständig auf Trieberleichterung aus, meistert den immensen Schwierigkeitsgrad dieser Rolle so souverän, dass man den studentischen Hintergrund dieser Aufführung gänzlich vergisst. Alles Elend, das ein Mensch einem anderen zufügt, aber auch jeder Gräuel, der einem angetan wird, wird von ihm aus initiiert und erlitten. Mit seinem allerletzten „Danke“ – im Stück auch sein einziges – unterscheidet sich Ian von jenem Tier, das er zuvor mit menschlichen Zügen ausstaffierte.

Wie eingangs beschrieben, handelt es sich um zwei grundsätzlich unterschiedliche Produktionen, die nicht direkt miteinander verglichen werden können. Dennoch zeigen sie die enorme Bandbreite auf, in welchem sich Theater heute bewegen kann. Auf der einen Seite ein zeitgenössischer Einstieg in eine historische Figur, deren Anliegen jedoch auch heute noch von Brisanz ist. Textlich und von der Regie her aber so schaumgebremst, dass zwar dank der Leistung von Maxi Blaha der Funkenflug von der Feuerseele hin zum Publikum stattfindet, jener ihres Anliegens jedoch in einer leicht angestaubten Schublade liegenbleibt. Auf der anderen Seite ein Stück über die Gewalttätigkeit des Menschen und seinen grausamen Willen, anderen jene Qualen zuzufügen, die ihm selbst zugefügt wurden. So schonungslos von einem jungen Team gezeigt, dass ein Verdrängen dieser psychologischen Tatsachen einfach nicht möglich ist.

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