Zwei Konzerte, die bei Wien Modern in einer Woche zu hören waren, können programmatisch für das breite musikalische Spektrum angesehen werden, das bei diesem Festival geboten wird. Es ist möglich, beide Konzerte brennpunktartig zu benennen, um auf den Punkt genau auszudrücken, wie sich die Abende gestalteten: Schwarz und Weiß. Nicht bunt, nicht Grau in seinen Abstufungen, sondern Schwarz und Weiß.
Zu hören waren am Montag, dem 14. November, Philip Jeck in einer Gemeinschaftsproduktion mit Bernhard Lang und dem Ensemble Alter Ego in einem Konzert mit dem Titel „Tables are turned“, sowie am Mittwoch, dem 16.11., Wolfgang Mitterer mit seinem Stück „free radio“. Jeck, Lang und Alter Ego stehen für die Farbe Weiß, Mitterer hingegen für Schwarz.
TablesAre Turned ging als österreichische Erstaufführung über die Bühne und versetzte das Publikum schon nach kurzer Zeit in eine Art Trancezustand. Bernhard Lang, der für die ausnotierte Komposition verantwortlich zeichnete, die das italienische Ensemble mit einer fast übermenschlichen Präzision „abspulte“, schuf – ganz im Sinne von Philip Jeck – ein Werk, das Loops, also ständige Wiederholungen, als wesentliches Element der Gestaltung einsetzte. Und doch ist es falsch von Loops zu sprechen, denn diese wiederholen sich für gewöhnlich in bestimmten Abfolgen immer wieder präzise. Bei Lang jedoch herrschte Vielfalt in der Einheit. Seine kurzen, miniaturhaften Sequenzen veränderten sich ständig – nicht einmal unmerklich –, sondern deutlich wahrnehmbar. Dennoch gelang es ihm, den pace der Musik trotz der Vielfalt im Detail so herabzudrosseln, dass das vegetative Nervensystem der Zuhörerinnen und Zuhörer nicht anders konnte, als auf Entspannung zu schalten. Philip Jecks Kunst an seinen zwei Turntables der Marke Densette, ergänzten auf unglaublich harmonische Weise das Lang´sche Klanggerüst. Oder präziser ausgedrückt: Durch seine „Kunst“ erweiterte er die vorgegebenen Farbskalen immens. Was zu Beginn der „Session“ noch deutlich wahrnehmbar war, der Unterschied zwischen der Livemusik des Ensembles und jener, die aus der „Plattenkonserve“ kam, verwischte sich im Laufe des Geschehens zusehends, bis man schließlich an einem bestimmten Punkt nicht mehr unterscheiden konnte, was nun eingespielt und was im Augenblick auf der Bühne an Klängen produziert wurde. Entspannung, hervorgerufen durch Spannendes, Zeitgeistiges, produziert mit bereits historischen Hilfsmitteln – stammen die Turntables doch aus den 60er Jahren –, diese Gegensätze machten die gelungene Mischung dieser Aufführung aus. Ein kleiner Hinweis noch in „fremder“ Sache: Im Begleitkatalog zum Festival ist die Komposition außerordentlich gut beschrieben – und aus mehreren verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet – Prädikat: Lesenswert!
Wolfgang Mitterer lieferte zwei Tage später das absolute Kontrastprogramm. Seine Komposition „free radio“ war alles andere als entspannend. Er saß selbst am Königsinstrument der Instrumente – der Orgel – mit dem Rücken zum Publikum und bediente dabei nicht nur dieses Instrument, sondern auch zusätzlich ein seitlich aufgestelltes Keyboard. Und als ob all dies noch zuwenig Klang produzieren würde, steuerte ein Laptop, noch zusätzliche auditive Sensationen bei. Die Klangvielfalt und vor allem die Klangwucht, die Besessenheit, die Mitterer erfasst, sobald er in die Tasten greift, die konvulsivischen Bewegungen der Komposition, das Auf- und Ab-, das Anschwellen und wieder Abflauen der Klangwellen erinnern an einen elementaren Vorgang im Leben jedes Menschen – an die Geburt. Frauen, die geboren haben, wissen wahrscheinlich besser, welche Gefühle diese Musik weckt, wie sich diese Musik „anfühlt“.
Als gewaltiges Naturereignis, das über einen hereinbricht, ohne dass man es lenken oder auch stoppen könnte, wird jener Vorgang empfunden, der neues Leben auf diese Welt bringt. Die kurzen Verschnaufpausen, in denen eine Gebärende wieder Kraft sammeln muss, um die bald darauf wieder eintretenden Schmerzen der Geburtswehen zu überstehen, sind von Angst geprägt. Von einer Vorahnung auf das, was unweigerlich und mit noch größerer Vehemenz kommen wird, als das soeben Erlebte. Mitterers Klangwehen kommen auch nicht unvorbereitet. Sie bauen sich bedeutungsschwanger auf, entwickeln sich, nehmen an Stärke zu, um schließlich so durch den Konzertsaal zu brausen, dass der Schall körperlich spürbar wird. An den Eingangstüren zum Konzertsaal ist ein Hinweis nach einer EU-Vorschrift angebracht. Dieser besagt, dass aufgrund der zu erwartenden Lautstärke dem geneigten Publikum Ohrstöpsel zur Verfügung stehen. Eine Verordnung, die in diesem Falle, würde man sich tatsächlich „zustöpseln“, einer Betäubungsspritze gleichkäme, die zwar den Geburtsakt weiter ablaufen, das Elementarereignis aber gänzlich anders erfahren ließe. Mitterer selbst erscheint – schon aufgrund der assoziativen klanglichen Nähe seines Instrumentes, das dieses automatisch in Kirchenräume versetzt, – wie eine Art Antichrist. Er tobt und rast auf und mit seinem Instrument, er produziert Bilder, die keinerlei Lichtblick zulassen. Gebilde, die Organisches beschreiben, das nur in den schlimmsten Klon-Labors entstehen kann. Visionen, geboren aus Depressionen. Schimären, von denen es kein Davonlaufen gibt. Er behandelt seine Orgel so, als sei sie ein Wesen aus Fleisch und Blut und wohl deshalb beginnt sie auch, so zu klingen. Sie atmet, sie ringt nach Luft, sie presst diese wie in letzten Atemzügen aus sich heraus, um gleich darauf, nach Atem ringend, Luft wieder einzusaugen. Diesem Klangleben gegenübergestellt dominieren auditive Eindrücke aus der industriellen Großproduktion immer wieder das Geschehen, gestalten Räume stärker als Gefühle. Maschinen, in einer Fabrikhalle aufgestellt, stampfen und zermalmen, produzieren und zerstören in Permanenz das, was den Menschen zum Menschen macht. Die Individualität, die Unregelmäßigkeit, das Unfertige, Verletzbare und ständig Fehlbare wird überwalzt durch eine beängstigende Präzision, welche die Klänge der Technik auf ein Podest erheben. Der Mensch jedoch ist anpassungsfähig. Sosehr, dass er sich auch an das Schlimmste gewöhnen kann und dagegen sogar abstumpft. Immer und immer wieder spielt Mitterer das Spiel mit der Angst vor der Klangwucht.Vielleicht ein- oder zweimal in den 70 Minuten der Komposition zu oft. Einen „Tick“ zu oft, einen „Tick“ zu lange, würden unsere deutschen Nachbarn es ausdrücken, wenn sie damit sagen wollen, dass ein Hauch weniger vielleicht mehr gewesen wäre. Denn entgegen einer Geburt geschah das anfangs Unterwartete: Die Klangtsunamis begannen, durch die Gewöhnung an sie, an empfundener Stärke abzunehmen. Sowie auch die Entspannungsphasen zwischen ihnen zu einer Art Déjà-vu verkamen. Die kleine, fast unschuldige Abschlussmelodie wiederum, die dem Spuk ein Ende bereitete, hätte noch eine Viertelstunde zuvor bewirkt, dass man aus dem Geschehen herauskatapultiert worden wäre. So verkam sie zur banalen Weckmelodie, auf die man kurz vor dem Erwachen bereits mit Abscheu wartet, um sie dann ungehalten abzuschalten. Wach ist man ja sowieso schon.